Dortmund. Die Dortmunder Polizei warnt zur Vorsicht vor Taschendieben. Die griffen zuletzt bei Gästen auf Café-Terrassen zu – die Täter waren Kinder.
Kühles Getränk auf dem Tisch, Nase in die Sonne – und Handtasche über die Stuhllehne. Der Klassiker an Frühlingstagen wie diesen, allein: Punkt drei kehrt die Szene schnell ins Drama. In Dortmund warnt die Polizei vor Kindern, die den entspannten Moment ausnutzen und die Taschen kurzerhand mitnehmen. Mehrfach passiert in der vergangenen Woche, die Polizisten fahnden nach Dieben im Grundschulalter, die nur so tun, als würden sie spielen.
Die 64-Jährige genießt den Nachmittag im Außenbereich einer Bar am Westenhellweg. Viertel vor drei am vergangenen Dienstag, in der Nähe spielen ein paar Kinder, zehn, vielleicht elf Jahre alt, wird die Frau später sagen. Sie selbst blickt auf ihr Smartphone, ist eben abgelenkt – da ist die Tasche weg. Eben hing sie noch im Rücken der Besitzerin, nun fehlt sie, ebenso eines der Kinder. Folgen kann die Frau ihm nicht, sie lässt ihre EC-Karte sperren, geht zur Polizei.
Mit den Kindern sind auch die Wohnungsschlüssel fort
Einige Tage später sind die Kinder sogar noch kleiner. Sieben bis neun Jahre alt, werden Zeugen später aussagen: Sie bummeln am Samstag gegen halb fünf die Kleppingstraße entlang, die Cafés haben ihre Stühle in die Fußgängerzone gestellt. Auf einem sitzt ein 56-Jährige, auch sie hat ihre Handtasche über die Lehne gehängt. EC-Karte, Personalweise, Smartphone, Wohnungsschlüssel sind wenig später fort, die Kinder auch. Sie haben sich auf der Flucht getrennt, später wird man sie wiedersehen in einer größeren Menschengruppe.
Das ist typisch, weiß Polizeisprecher Peter Bandermann, und auch wieder nicht: Die Ermittler wissen von „reisenden Tätergruppen“, unterwegs von Stadt zu Stadt. Eine Stunde blieben die vielleicht, stehlen oder lassen es die Kinder tun, und seien auf und davon. Untypisch sei solches Verhalten für die kleinen Diebe selbst: „Siebenjährige begehen nicht solche Straftaten.“ Weshalb der Verdacht groß ist, dass es hier einen organisierten Hintergrund gibt.
Drängeln, schieben, rempeln: Die Taschendiebe machen mit
Warnungen vor Taschendieben sind auch in Dortmund nicht neu, oft haben sie gerade vor Weihnachten Konjunktur – das Gedränge auf Märkten und in Geschäften zieht die Täter an. Sie drängeln mit, rempeln, leeren arglosen Passanten die Taschen. Bandermann weiß zur Genüge, wie das geht: wie sie auf Bahnsteigen, auf Rolltreppen, überall dort, wo es eng ist, die Gelegenheit nutzen, Börsen greifen oder Mobiltelefone und die Beute blitzschnell durchreichen. „Die Sachen gehen binnen Sekunden durch fünf oder sechs Hände.“
So gesehen, hatten auch die Langfinger Corona-Flaute: Als der Einzelhandel zu hatte, die Gastronomie geschlossen, als die Büros leer waren und es also keine Mittagspausen gab, in denen Menschen draußen saßen, da gab es diese „Alltagssituationen“ kaum, um Beute zu machen. Laut Polizeistatistik ging die Zahl der Taschendiebe im ersten Pandemiejahr im Jahresvergleich um bundesweit gut elf Prozent (10.418 Taten) zurück. Nun aber, so der Polizeisprecher in Dortmund, nutzten die Täter „die neue Leichtigkeit aus“. Weshalb er bei allem Genuss empfiehlt, „die Wertsachen immer im Blick zu halten“. Oder in einer verschließbaren Innentasche, sofern die Sommerkleidung so eine überhaupt hat.
Werte gehen verloren
Denn auch die Polizei weiß, was da in einem unbeobachteten Augenblick verloren geht: „Die liebgewonnene Tasche, vielleicht ein Geschenk zum 18. Geburtstag“, ein Mitbringsel aus dem Urlaub, die habe mindestens einen ideellen Wert und oft auch einen hohen Geldwert. Dazu das neue Smartphone, mit privaten Daten, Fotos, den Kontakten und dem Kalender. Das Portemonnaie mit Scheinen darin und den Ausweispapieren: Deren Wiederbeschaffung allein geht ordentlich ins Geld. Und dann womöglich auch noch Schlüssel: Haustür, Auto, Firma – nicht auszudenken, wenn eine komplette Schließanlage ausgetauscht werden muss!
Und die Kinder können damit nicht einmal etwas anfangen. Sie rennen schnell, sind kaum einzuholen, strafrechtlich kaum zu belangen. Und schon in der nächsten Stadt am nächsten Stuhl, ehe sich Opfer und Polizei versehen. „Wie soll man da“, fragt Peter Bandermann, „einen Fuß in die Tür bekommen?“