Velbert. Die erste Draußenschule für NRW entsteht gerade in Velbert. Wöchentlich einen Tag sollen die Kinder rausgehen. „Fachliche und soziale Lernziele.“
Ein bisschen widersinnig wirkt es schon, für eine Draußenschule ein Gebäude zu bauen. Raupen fahren, Kräne heben, Männer messen: Baustelle, eindeutig. Mitten in Velbert entsteht gerade Nordrhein-Westfalens erste Draußenschule. Der Name sagt schon alles. Naja, fast.
Das große Transparent neben der Baustelle verrät noch etwas mehr: „Grundschule Bleibergquelle. Wir lernen draußen!“ Darunter ein großes Bild von acht kurzen Beinen in lustvoll schlammverkrusteten Gummistiefeln. Mega! Sie verraten freilich auch: Eine Schönwetterschule soll das nicht werden. Sachkunde im Schnee? Denkbar.
„Viele Kinder aus der Stadt haben kaum noch Kontakt zur Natur“
Markus Berg ist der Hausherr hier: ist Geschäftsführer des „Bildungszentrums Bleibergquelle“ und Verwaltungsleiter des Diakonissenhauses, mit dem nach dem Krieg alles begann. Das Bildungszentrum betreibt auf evangelischer Basis heute eine U3-Kita, eine christliche Gesamtschule mit den Klassen fünf bis zehn und ein Berufskolleg. „Uns ist christlich wichtig“, sagt der 57-Jährige. Ob es regnet oder schneit.
Nein, im Ernst: Eine Draußenschule hat den Anspruch, dass die Kinder und Lehrer im Klassenverbund einen Tag in der Woche außerhalb des Gebäudes unterrichtet werden. Mindestens einen Tag. „Wir haben überlegt: Was brauchen Kinder heute? Da sind wir ziemlich schnell auf Natur und Nachhaltigkeit gestoßen“, erinnert sich Berg: „Viele Kinder aus der Stadt haben kaum noch Kontakt zur Natur.“
140.000 Quadratmeter Gelände, luftig bebaut und teilweise bewaldet
Da bietet das Gelände des Bildungszentrums tatsächlich Abhilfe: 140.000 Quadratmeter groß, luftig bebaut, ansonsten grün wie die ganze Umgebung; teilweise bewaldet, Gärten, zwei Bachläufe, ein Teich, Enten. In diesem Draußen soll es aber nicht nur Sachkunde geben, sondern jedes Fach: In Rechnen könnten die Mädchen und Jungen beispielsweise Eicheln sammeln und dabei gucken, wo überhaupt eine Eiche steht.
„Es ist etwas anderes, ob ich ein Eichenblatt in der Hand habe oder in einem Buch sehe.“ In Musik könnten sie Naturgeräuschen nachspüren. In Deutsch? „Waldgedichte“, fällt Markus Berg ein. Klingt ein bisschen nach, Verzeihung für den Kalauer: zurück zu den Wurzeln? „Wir wollen nicht nur Waldpädagogik machen. Man kann auch draußen mit einem Tablet recherchieren.“
„Die Kommunen müssen Schule machen, wir wollen Schule machen“
Das Wald-und-Wiesen-Konzept Draußenschule stammt aus Skandinavien, wo es alles in allem auch nicht wärmer ist als hier. Es ist langsam nach Deutschland eingesickert und hat sich seit 2008 vor allem in und um Hamburg breit gemacht. Dort heißt es auf einer Internet-Seite, dass „Schüler und Schülerinnen ökologische Zusammenhänge erkennen und Kenntnisse erlangen über die biologische Vielfalt am Ort selbst . . . Die Draußentage verfolgen neben fachlichen auch soziale Lernziele.“
In Nordrhein-Westfalen jedoch suchte man eine Draußenschule bislang vergebens. Warum? „Die Kommunen müssen Schule machen. Wir wollen Schule machen“, sagt der Geschäftsführer. Denn diese Grundschule Bleibergquelle wird eine Privatschule sein, aber im Rahmen der staatlichen Lehrpläne arbeiten.
Rund 50 Plätze in zwei ersten Klassen waren schnell vergeben
Für Schule, Mittagessen und Ganztagsbetreuung werden die Eltern rund 250 Euro monatlich bezahlen. Die kommunalen Vergleichszahlen sind zwar sehr unterschiedlich und nach Einkommen gestaffelt: Aber das liegt bei oder etwas über dem Betrag, den sehr gut verdienende Eltern an staatlichen Schulen für Ganztagsbetreuung und Mittagessen bezahlen.
Jedenfalls waren die rund 50 Plätze in zwei ersten Klassen schnell vergeben, mit denen die Draußenschule beginnt. 90 Prozent der Leute kämen wegen des Konzepts, sagt Berg. Und auch die Lehrer für das erste Schuljahr hat er schon beisammen: „Gott sorgt für uns.“
In den Klassenzimmern draußen sitzen die Kinder auf Baumstämmen
So wird es neben den acht umbauten, aber lichten Klassenräumen mit Blick ins Grüne, neben den Gemeinschaftsräumen und der Sporthalle zwei Klassen-„Zimmer“ tatsächlich draußen geben. Was man heute „Zimmer“ nennt: Da sitzen dann die Kinder auf Baumstämmen, haben Rindenmulch zu Füßen und als Sonnenschutz ein Sonnensegel - jedenfalls solange, bis der Baum in der Mitte ausreichend groß ist, den Job zu übernehmen.
Mit dem Ende der Sommerferien Mitte August beginnt der Unterricht an der Draußenschule. Ihr Gebäude wird aber erst fertig im späten Herbst. Bis es soweit ist, werden die Kinder in den Räumen der Gesamtschule auf dem Bleiberg-Gelände unterrichtet. Und nicht etwa vier Monate draußen.