Bochum. Die Kunden reagieren auf die steigenden Kosten und kaufen kräftig alles, was haltbar ist und satt macht. Unterwegs in Bochumer Märkten.
Der ungläubige Blick hellt sich auf, die Hand schnellt nach vorn und greift zu. Da stapeln sich tatsächlich Mehlpackungen. „Die erste Lieferung seit drei Wochen“, sagt eine gestresst wirkende, aber nicht unfreundliche Mitarbeiterin im blauen Aldi-Nord-Kittel. Es ist später Vormittag und dieser Markt in Bochum voller als sonst zu dieser Tageszeit. Voller Kunden, nicht voller Grundnahrungsmittel. Reis und Nudeln sind aus, bis auf Lasagneblätter. „Nichts gekommen heute.“ Irgendwo noch Speiseöl, zur Not auch Olive? „Gar nichts mehr“, sagt ein Kollege im nächsten Gang.
Es ist der Tag, an dem Aldi seine nächste heftige Preisrunde angekündigt hat, am Montag wird vieles teurer, um satte 20 bis 50 Prozent, wie unsere Zeitung aus Unternehmenskreisen erfuhr. Der größte deutsche Discounter hat sich die Preisführerschaft zum Markenkern gemacht, was nach wie vor bedeutet, dass Lidl, Penny, Netto und auch die Supermarktriesen Edeka und Rewe zumindest bei ihren günstigen Eigenmarken rasch oder sofort nachziehen.
Bunkern wie zu Beginn der Pandemie: null Lerneffekt
Doch nicht allein die Gewissheit weiter steigender Preise lässt die Leute eilig einkaufen, es ist auch wieder die Angst davor, nichts mehr zu kriegen. Alles, was lange haltbar ist und satt macht, wird wieder gebunkert. Wie zu Beginn der Corona-Krise vor zwei Jahren, der kollektive Lerneffekt ist ausgeblieben. Nur sorgen sich die Leute diesmal offenkundig nicht zuerst um ihr sauberes Hinterteil, sondern ums Eingemachte. Klopapier ist noch da, Konserven kaum. Vorgekochtes in Blech geht weg wie kalte Butter.
Die soll wie viele Milch- und Fleischprodukte am Montag deutlich teurer werden, nach WAZ-Informationen um rund 30 Prozent. Noch liegt Butter im Kühlregal, aber nur irische, also teure. Die Aldi-Eigenmarke Milsani gibt es nur noch gesalzen und ungesalzen ausschließlich in der – ebenfalls irischen – Premiumvariante für mehr als zwei Euro. Der klassische Butterblock wird ab Montag ebenfalls diese Schmerzgrenze überschreiten – und ist wohl deshalb vergriffen. Wer die Frühnachrichten gehört hat, kaufte die „Deutsche Markenbutter“ schnell ein letztes Mal für 1,65 Euro das halbe Pfund.
Viel Platz in der Kühltruhe
Viel Platz ist auch in der Kühltruhe an der Stelle, wo sich sonst Schweineschnitzel stapeln. Die Fleischindustrie um Tönnies und Westfleisch hatte vor drei Wochen sofortige Preiserhöhungen gefordert und andernfalls gedroht, die laufenden Verträge nicht mehr zu erfüllen. Futtermittel und Energie sind nach Kriegsbeginn historisch teurer geworden, so dass Schweinemäster und Schlachtbetriebe zu den bisherigen Preisen nicht mehr produzieren könnten. Aldi erfüllt seinem größten Fleischlieferanten Tönnies ab nächster Woche diesen Wunsch. Am Freitag vom Schwein zu haben sind hier nur noch marinierte Grillsteaks – was nicht recht zur plötzlichen Rückkehr des Winters passen will.
„Mamma Mia“ sagt der Glückliche, der ein paar Kilometer weiter bei Netto das letzte Kilo Dinkel-Mehl aus dem Regal greift, „als ob die Leute jetzt alle selber backen“. Ein anderer Mann, der dem Inhalt seines Wagens nach ein Familienvater sein muss, sagt: „Wie vor zwei Jahren, nur wird es diesmal noch schlimmer.“ Freundlich weist er einen Öl-suchenden Mitkunden darauf hin, dass oben noch ein paar Flaschen Olivenöl stehen. „Is’ aber nix zum Anbraten“, blafft der undankbar zurück. Doch da – eine Jumbo-PET-Flasche mit gelbem Pflanzendicksaft, die Rettung? Nur für die Pommesbude daheim, es ist Frittierfett.
„Junge Frau, wie wär’s mal mit ‘ner zweiten Kasse?“
Bei Netto ist auch das Klopapier-Regal schon wieder fast leer, bis auf ein paar Rollen mit Kamillenaroma und Feuchtes. Dafür gibt es noch Reis und Nudeln. Die Konservenregale sind lückenhaft, Dosentomaten sind weder stückig noch püriert noch ganz und geschält zu haben. Auch der in viel Zuckersaft konservierte Fruchtcocktail steht nur auf dem Schild. Vielleicht hat der ältere Herr den letzten genommen – er schiebt fast ausschließlich Lebensmittel in großen Dosen vor sich her. Das Warum bleibt unbeantwortet, er ist zu sehr mit sich und dem Suchen nach Haltbarem beschäftigt.
Was beim Einkaufshopping auffällt: Vor dem Preisschock sind die Discounter voller als sonst, die klassischen Supermärkte eher nicht. Wer auch vorher schon auf die Preise geachtet hat oder achten musste, tut es jetzt erst recht und versucht zum letzten Mal zu den alten, auch schon hohen Preisen einzukaufen. Laune macht das nicht. „Junge Frau, wie wär’s mal mit ‘ner zweiten Kasse?“, kreischt eine ältere Dame nach vorne – an acht anderen Einkaufenden vorbei. Die Schlange vor Kasse 1 in diesem Netto reicht fast durch den ganzen Markt – was ein paar Chipstüten mehr in den Wagen landen lässt. Die Kassenfalle steht heute an der Hinterwand.
Es gibt eigentlich nichts mehr zu hamstern
Hamsterkäufe sind trotzdem nicht zu sehen – weil es unter den vorher schon knappen Waren fast nichts mehr zum Hamstern gibt. Und wenn doch, wird seit Wochen rationiert, auch in einem Bochumer Rewe-Markt. Das „Nur zwei Packungen“-Schild vor dem Mehlregal ist allerdings auch hier längst hinfällig geworden, alle suchenden Blicke gehen ins Leere, außer etwas weißem Staub im hinteren Eck ist nichts mehr zu sehen.
Am Freitagnachmittag ist es in diesem Rewe weder voller noch hektischer als sonst. An manchen Mangel haben sich die Einkaufenden schon gewöhnt. Seit Tagen stehen sie am Ölregal vor dem Nichts. Nur ganz oben hält es noch Gutes aus Kürbiskernen bereit, und das richtig teure, in Goldfolie gewickelte Olivenöl. Wann wieder Raps- oder Sonnenblumenöl kommt? „In den nächsten Tagen eher nicht“, sagt ein junger Mitarbeiter. Und wenn wieder welches kommt, dürfte der Preis ein anderer sein.
Draußen steht der Verkäufer der Obdachlosenzeitung inzwischen im Schneetreiben, seine Kapuze trägt bereits eine weiße Haube. Er lächelt wie immer, manchmal schleppt er Wasserkisten zum Auto, wenn er darum gebeten wird. Dass es drinnen immer teurer wird, bekommt auch er mit. Die Leute geben weniger.