Duisburg. Wanderfalken waren in NRW schon ausgestorben. Nun gibt es wieder mehr als 260 Paare. Daran haben engagierte Hobby-Ornithologen großen Anteil.
Michael Kladny nähert sich vorsichtig einem Holzkasten. Lärm will er vermeiden, da er nicht weiß, ob der Falke zuhause ist. Durch ein kleines Loch späht der 60-Jährige dann in den Kasten hinein. Er sieht: Sand, Kies und ein Gewirr aus kleinen Knochen, den Überresten früherer Vogel-Mahlzeiten. Heute ist der Nistkasten leer. „Ausgeflogen“, sagt Kladny. „Wahrscheinlich ist der Falke auf der Jagd.“
Der gebürtige Duisburger macht sich für den Falken stark. Damit ist er nicht allein. An verschiedenen Orten im Land haben die Mitglieder der „Arbeitsgemeinschaft Wanderfalkenschutz Nordrhein-Westfalen“ (AGW-NRW) spezielle Nistkästen aufgestellt. Die Bruthilfen stehen auf den Dächern von Fabriken, in Kirchtürmen oder Industrie-Schornsteinen. Wo genau die Kästen sind, das hängen sie aber nicht an die große Glocke. „Schließlich wollen wir nicht, dass Menschen die scheuen Vögel stören.“
Gefahr durch Rotoren der Windkraftanlagen
Es gab Zeiten, da galt der Wanderfalke in NRW als ausgestorben. „Falco peregrinus“, wie der Vogel wissenschaftlich heißt, litt unter dem großflächigen Einsatz von Insektengift in der modernen Landwirtschaft. „Erst als das Pestizid DDT ab Anfang der 70er-Jahre in den westlichen Industriestaaten verboten wurde, begannen sich die Populationen langsam zu erholen“, sagt Michael Kladny, der bei der „Arbeitsgemeinschaft“ das Amt des Vorsitzenden bekleidet. „Heute gibt es jedoch ganz andere Probleme.“ Immer wieder komme es vor, dass Wanderfalken vergiftet würden; auch die Rotoren von Windkraft-Anlagen seien eine Bedrohung.
Wanderfalken sind in allen Teilen der Welt zu finden. Nur in der Antarktis kommen sie nicht vor. Die Vögel erreichen Flug-Geschwindigkeiten von mehr als 320 Stundenkilometern und gelten somit als die schnellsten Tiere der Welt. Das hohe Tempo dient den Vögeln bei der Jagd als Tarnung, weil sie aus dem toten Winkel heraus angreifen und unvermittelt aus dem Nichts auftauchen. „Wenn ein Wanderfalke mit 80, 90 Metern pro Sekunde auf seine Beute zufliegt, kommt er als Punkt auf seine Beute zu und ist für den anvisierten Vogel nicht als Gefahr zu erkennen“, sagt Michael Kladny.
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Schon seit seiner Kindheit interessiert er sich für Vögel. Stunden konnte der gebürtige Duisburger schon als Junge damit verbringen, die Tiere zu beobachten, ihrem Gesang zu lauschen und ihren gewagten Flugmanövern zuzusehen. Besonders fasziniert hatten ihn dabei die Mauersegler. „Auch sie können vom Wanderfalken überrascht werden, doch man darf sich nicht in die Dinge einmischen“, sagt Kladny. Der Bestand des Mauerseglers sei nicht durch Wanderfalken bedroht, sondern durch das Verschließen seiner Nischen im städtischen Raum oder durch den Abriss alter Gebäude, an denen die Mauersegler brüten. „Hier gibt es die Möglichkeit, rechtzeitig passenden Ersatz für die Mauersegler anzubringen“, sagt Kladny. Daher sollte beim Bau neuer Gebäude unter fachlicher Beratung das Anbringen von Brutmöglichkeiten für Mauersegler eingeplant werden. Hilfe bei der Planung könne von den zuständigen Naturschutzbehörden der Städte kommen.
Anfang der 90er-Jahre begann Kladnys Interesse für die Wanderfalken. „Und als ich dann durch Zufall an einem Industriestandort in Duisburg-Walsum zum ersten Mal einen Wanderfalken gesehen hatte, setzte ich mich mit Fachleuten der AGW-NRW in Verbindung.“ Fortan hatte Kladny, der beruflich als Vermessungstechniker arbeitet, immer ein Fernglas dabei, wenn er draußen unterwegs war. „Ich fand es schließlich faszinierend, dass ein Tier, das eigentlich hierzulande verschwunden war, plötzlich zurückkehrt“, sagt Kladny. „Und ich wollte diesen Prozess beobachten und unterstützen.“ Mit weiteren Hobby-Ornithologen zog er los, um die Besitzer von Gebäuden, die hoch aus der Landschaft herausragen, von der Idee zu überzeugen, Nistkästen auf ihren Bauwerken zu installieren. „Egal, wo wir vorsprachen: Überall gab es positive Resonanz.“
Spannende Wochen für Falken-Freunde
Offenbar zeigt es Wirkung, dass engagierte Menschen wie die Mitglieder der AGW-NRW den Falken sprichwörtlich unter die Flügel greifen. Allein in einem Nistkasten in Oberhausen-Lirich sind in den vergangenen 17 Jahren 48 Jungtiere geschlüpft. Heute beziffert Kladny den Wanderfalken-Bestand in NRW auf rund 265 Paare – und verweist dabei noch auf eine Dunkelziffer „von bis zu zehn Prozent“. Den harten Kern der „Arbeitsgemeinschaft Wanderfalkenschutz“, die unter dem Dach des Naturschutzbund Deutschland (NABU) aktiv ist, bilden ein gutes Dutzend Leute im Alter von 35 bis 80 Jahren. Für die Mitglieder der AGW-NRW haben nun spannende Wochen begonnen. Seit Ende Februar brüten die Wanderfalken. Etwa einen Monat dauert es, bis die Jungtiere auf die Welt kommen. Wenn sie drei Wochen alt sind, können sie von speziell ausgebildeten Experten wie Michael Kladny „beringt“ werden. Die Vögel bekommen dabei einen amtlichen Ring der Vogelwarte und einen Kennring, der Ablesungen vor Ort bei lebenden Vögeln ermöglichen soll.
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Hauptgründe dieser wissenschaftlichen Vogelberingung seien der Erkenntnisgewinn zum Leben, zur Gefährdung und daraus einzuleitenden Schutzmaßnahmen einer Vogelart. Spätestens wenn die Beringung ansteht, wird sich Michael Kladny wieder vorsichtig und still den Brutplätzen nähern. Er wird die Jungtiere vorsichtig herausheben und ihnen mit großer Sorgfalt die Ringe anlegen. „Das“, sagt er, „sind dann ganz besondere Momente.“
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