Ruhrgebiet. Ab 16. März müssen alle Beschäftigten im Gesundheitsbereich nachweisen, dass sie geimpft oder genesen sind, die Klinikdirektorin wie der Koch.

Wann (und ob) die Impfpflicht für alle Bürger kommt, steht noch in der Sternen. Für Beschäftigte im Gesundheitsbereich hingegen ist sie längst Gesetz, am 10. Dezember 2021 von Bundestag und Bundesrat so beschlossen. Chefarzt wie Küchenhilfe müssen deshalb bis 15. März gegenüber ihrem Arbeitgeber nachweisen, dass sie vollständig geimpft oder genesen sind; nicht-Immunisierte dürfen nicht mehr neu eingestellt werden. Was bedeutet die „Einrichtungsbezogene Impfpflicht“ für eine Branche, die nicht erst seit Corona unter Personalmangel leidet? Wie gehen Kliniken, Praxen, Heime, Rettungsdienste, Geburtshäuser und ambulante Pflegedienste in NRW damit um?

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Die über 10.000 Beschäftigten der Essener Universitätsmedizin (UME) wurden längst per Newsletter informiert. Wer noch ungeimpft sei und bis 15. März vollständig immunisiert sein wolle, heißt es darin, müsse sich beim Personalärztlichen Dienst bis spätestens 31. Januar seine erste und bis spätestens 1. März seine zweite Impfung abgeholt haben. Seit vergangener Woche bietet das Klinikum in den eigenen Impfstraßen dafür Extra-Termine an. 96 Prozent der Mitarbeitenden sind nach Angaben von Achim Struchholz, dem Leiter der Konzernkommunikation, bereits jetzt immunisiert. Das heißt aber auch: rund 400 Beschäftigte sind ungeimpft, „eine relevante Anzahl“, räumt Struchholz ein; man arbeite intensiv an einer weiteren Steigerung der Impfquote. Denn der Verlust jeder einzelnen Stelle schmerze. Aus seiner Sicht gehört die Immunisierung für Beschäftigte im Gesundheitswesen aber zum Berufsbild, sie sei erforderlich, auch wenn sie tief in die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen eingreife. „Aber in der Abwägung wiegt die Verantwortung für unsere Patientinnen und Patienten sowie für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schwerer.“

Eine Weiterbeschäftigung gilt als Ordnungswidrigkeit

Liegt der Nachweis bis zum Stichtag nicht vor, muss der Arbeitgeber das zuständige Gesundheitsamt informieren. Dieses kann dem betreffenden Mitarbeiter daraufhin Zutritt und Tätigkeit in der Einrichtung verbieten. Erst danach gilt eine Weiterbeschäftigung als Ordnungswidrigkeit, für die 2500 Euro Bußgeld fällig werden. Das Klinikum Dortmund (4600 Mitarbeiter, letzte offizielle Impfquote im August: 90 Prozent) will eine Namensliste aller Ungeimpften erstellen und sie am 16. März weiterleiten. Beschäftigte, die die Arbeitsstätte anschließend nicht mehr betreten dürften, erhielten auch keinen Lohn mehr. „Wo keine Leistung, da kein Gehalt“, erklärte Sprecher Marc Raschke.

Genauso so sieht es die St. Elisabeth-Gruppe, zu der verschiedene Kliniken in Herne, Bochum und Witten, Hospize und Altenpflegeeinrichtungen zählen. Das neue Gesetz sei aber kein großes Thema, da die überwiegende Mehrheit der 6.600 Mitarbeiter (95 Prozent) geimpft seien, so Geschäftsführer Theo Freitag.

„Wir können auf keinen einzigen Mitarbeiter, keine einzige Mitarbeiterin verzichten“

Für die Praxen vor Ort erwartet Monika Baaken, Sprecherin des Hausärzteverbands Nordrhein, ebenfalls keine Probleme. „An dieser Front ist noch Ruhe“, sagt sie, anstrengende Wochen erwarteten die niedergelassenen Kollegen aus anderen Gründen. Stichwort Omikron. Die aktuelle Impfquote in den Praxisteams sei zudem „sicherlich sehr hoch: „Die haben den Impfprozess doch aktiv begleitet, sich früh mit dem Thema auseinander gesetzt, müssen sich auch selbst schützen.“ Fraglich sei aus ärztlicher Sicht eher: „Reicht wirklich eine Einrichtungsbezogene Impflicht?“

Am schwersten trifft das neue Gesetz wohl die ambulante und stationäre Altenpflege. „Wir können auf keinen einzigen Mitarbeiter, keine einzige Mitarbeiterin verzichten“, betont Christian Woltering, der Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrtspflege NRW. Die darin zusammengeschlossenen sechs Spitzenverbände betreiben in NRW unter anderem 1331 stationäre Pflegeeinrichtungen sowie 885 ambulante Pflegedienste – und zählen 580.000 Mitarbeitende sowie mehr als 570.000 ehrenamtlich Tätige.

Impfstatus der Beschäftigten wurde nie zuvor offiziell erhoben

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er Impfstatus der Beschäftigten sei bislang nie behördlich erhoben worden, erklärt Woltering. Eigenen Statistiken zufolge liegt die Impfquote bei über 90 Prozent im gesamten Pflegebereich (stationär und ambulant). „Bei denen, die drumherum arbeiten, also in der Küche, am Empfang, in der Wäscherei oder als Hausmeister, liegt sie sicher etwas darunter“. Aber auch diese Menschen seien unverzichtbar, „wir haben so einen großen Mangel an Personal, in allen Bereichen“. Schon aus „Eigeninteresse“ hoffe man daher, dass kein einziges Beschäftigungsverbot ausgesprochen werde. Jeder in der Branche wisse, dass dieses dann auch ein Kündigungsgrund sein könne. Die „Einrichtungsbezogene Impfpflicht“ kann in Wolterings Augen zudem nur der erste Schritt hin zu einer allgemeinen Impfpflicht sein. „Und wenn wir die bis Mitte März hätten, gäbe es noch weniger Gründe für Beschäftigte im Gesundheitsbereich, sich nicht impfen zu lassen und anderswo einen neuen Job zu suchen.“

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Korian, führender privater Anbieter von Betreuungs- und Pflegedienstleistungen für Senioren in Deutschland, betreibt in NRW 58 Einrichtungen mit rund 4900 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen – von denen etwa 92 Prozent geimpft sind. Man beobachte, so Pressesprecherin Tanja Kurz, „eine gewisse Unsicherheit in Bezug auf die bisher verabreichten Impfstoffe“, setze auf Aufklärung und Gespräche. „Fakt“ sei aber auch, so Kurz, dass eine Einrichtungsbezogene Impfpflicht „für die Personalsituation auf dem deutschen Pflegemarkt nicht förderlich“ sei. Gesundheit und Schutz vulnerabler Gruppen vor dem Virus habe oberste Priorität, daher sei man „offen“ für diese Impflicht, hieß es, „wir können aber auch Mitarbeiter:innen verstehen, die sich durch die Begrenzung der Impfpflicht auf bestimmte Berufsgruppen ungerecht behandelt fühlen.“ Pflegeheim-Bewohner erhielten ja auch Besuch, nähmen außerhalb der Häuser am sozialen Leben teil. „Wir sehen die Bekämpfung des Virus als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, so Kurz.

Gesundheitsämter sehen sich vor einer Aufgabe „jenseits aller Möglichkeiten“

Auch Hebammen schließlich müssen Impfung oder Genesung künftig nachweisen. Arbeitsrechtlich werfe das Gesetz noch viele Fragen auf, die im Detail geklärt werden müssen, erklärt der Landesverband der Hebammen NRW, man lasse den Gesetzestext derzeit juristisch prüfen. „Wir vertreten Hebammen, deren Meinung zum Thema Impfen die ganze Bandbreite abdeckt – von der Kollegin, die am liebsten nur noch im 2G+-Umfeld arbeiten würde, bis hin zur Kollegin, die Sorgen wegen der Impfung hat“, heißt es in einer Stellungnahme. Der Verband habe „weder die Kompetenz, noch die Legitimation oder das Mandat“ sich für oder gegen eine Impfpflicht zu äußern. Da es sich um ein Gesetz handele, erübrige sich diese Überlegung zudem, so die 1. Vorsitzende Barbara Blomeier. Wie viele Hebammen bereits geimpft seien, kann sie nicht sagen. „Wir schätzen, dass sich die Zahl der geimpften Hebammen ähnlich verhält wie die Impfquote in der gesamten Bevölkerung und auch in den Pflegeberufen.“

Ein letztes Problem bleibt zudem: Wie soll auch das alles noch überprüft werden? Die bereits mit Kontaktnachverfolgung und Quarantäne-Kontrollen überlasteten Gesundheitsämter der Städte sprechen von einer Riesenaufgabe „jenseits aller Möglichkeiten“ (Bottrop), fürchten zudem massive Auswirkungen auf die Versorgung ihrer Bürger und haben „viele offenen Fragen“. Zumal neben den Ungeimpften auch die Atteste der aus medizinischen Gründen Nicht-Impfbaren auf ihre Richtigkeit hin kontrolliert werden müssen.... Bottrop wandte sich in seiner Not schon an Land und Bund; der Städtetag will sich in dieser Woche mit dem Thema befassen.

>> INFO: Nachweispflicht

Die Nachweispflicht besteht laut „Gesetz zur Stärkung der Impfprävention gegen Covid 19 und zur Änderung weiterer Vorschriften im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie“ nicht nur für Pflegekräfte und ärztliches Personal, sondern für alle Beschäftigten im Gesundheitsbereich (Festangestellte, Leiharbeiter, Auszubildende, Praktikanten und Ehrenamtliche).

Also etwa auch für: Reinigungs- und Servicekräfte oder Küchenpersonal, Orthopädietechniker, Fußpfleger oder Friseurin; Geschäftsführung und Heimaufsicht sowie rechtliche Betreuer.

Abgelaufene Nachweise müssen aktualisiert werden. Das am 10. Dezember 2021 beschlossene Gesetz ist bis Ende 2022 befristet.