Bad Münstereifel. Viele Menschen haben ihre Erbstücke in den Fluten verloren. Eine Pfarrerin vermittelt über eine Online-Plattform Weihnachtsschmuck mit Tradition.

„Es ist furchtbar kalt“, sagt Maria Wolf. „Die Heizung ballert wie im tiefsten Winter.“ Und dennoch: „Es zieht von unten.“ Seit fünf Monaten lebt die 43-Jährige mit ihrem Mann und den fünf Kindern im ersten Stockwerk des alten Bauernhauses. Die Erft, die sich wieder ruhig durch Bad Münstereifel schlängelt, füllte im Juli Keller und Erdgeschoss. Papa Jan wäre ohne den blitzartigen Griff eines Nachbarn nicht mehr da. „Wir hatten Glück“, sagt Maria Wolf. „Aber jetzt geht es mir schlechter als während der Flut.“

„Es ist eine trostlose Zeit“, sagt Judith Weichsel, die als Pfarrerin in der Flutseelsorge die Schicksale der Menschen vor Ort kennt. Nur in wenigen Fenstern hängen Lichterketten, Schneeflocken und Sterne. An mancher Ecke steht ein geschmückter Tannenbaum, umgeben von Schutt und Dreck. Der „Wasserfall aus Lichtern“, wie die gebürtige Essenerin die Beleuchtung der Mauer an der Erft in Erinnerung hat, ist nicht mehr als das: eine Erinnerung.

„In den ersten Wochen war der Tatendrang enorm“, sagt Judith Weichsel. Jeder habe in Gummistiefeln im Schlamm gestanden und mitangepackt. Nun aber heiße es: „die Zeit durchhalten“, so die 44-Jährige. „Jetzt bröselt es. Die Kraft ist am Ende.“ Und mit dem bevorstehenden Weihnachtsfest wachse die Sehnsucht. Auf den Weihnachtsmarkt gehen, eine Tanne kaufen, das Haus festlich schmücken: „Die Menschen sehnen sich nach Normalität.“

Weihnachtsbörse: Baumschmuck für Flutbetroffene

Bad Münstereifel war im Juli eine einzige Seenlandschaft. „Alles, was nicht auf dem Speicher war, ist weg“, sagt Judith Weichsel. Was lagert man nicht alles im Keller? Winterschuhe, Bastelkram, Christbaumkugeln, das Weihnachtsgeschirr von Oma. „Die ganzen Erinnerungsstücke sind verloren, das ist einfach wahnsinnig traurig“, sagt die Pfarrerin – und will helfen.

Gemeinsam mit der Diakonie Euskirchen richtet sie eine Online-Plattform ein. Menschen können dort Fotos von ihrem Baumschmuck hochladen und Teile ihrer Familientradition weitergeben an jene, die alles verloren haben. „Die Kinder sind groß, ich möchte mich verkleinern“, schreibt etwa eine ältere Frau, die ihre Glasanhänger verschenken möchte.

„Die Erbstücke, die den Menschen in den Flutgebieten fehlen, die gibt es bei vielen anderen noch“, sagt Judith Weichsel. Schätzchen, die man behält, weil sie zu schade zum Wegschmeißen sind. „Es tut gut, Freude zu verschenken.“

Weihnachten im Flutgebiet: „Zum Schmücken bin ich noch nicht gekommen“

Maria Wolf vermisst die Girlande mit den kleinen goldenen Kugeln, die jedes Jahr das Treppengeländer schmückte. 120 Türchen, 24 für jedes Kind, baumelten an der Schnur. In diesem Jahr liegen die Adventskalender gestapelt in der Küche. „Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben eine Plastikgirlande gekauft“, erzählt Wolf, die die Tannenzweige noch im vergangenen Jahr aus dem Garten holte. „Zum Schmücken bin ich allerdings noch nicht gekommen.“ Gerne hätte sie die Kugeln ihrer Großmutter wieder an den Baum gehängt. „Aber die kann ich mir ja schlecht wünschen.“ Oder?

Auch interessant

„Was gebraucht wird, ist Mitmenschlichkeit“, sagt Judith Weichsel und kramt zwei beigefarbene Päckchen aus der Tasche. Der Plastikdeckel hat einen Riss, hält nicht mehr richtig auf dem Karton. „Von Oma“, sagt sie und drückt ihrer Freundin Maria die silberfarbenen Kugeln in die Hand. Sie gehörten den Großeltern ihres Mannes. „Wir wollten sie nie wegschmeißen, aber unser Baum ist komplett bunt. Da passen die kühlen Silberkugeln nicht so recht“, sagt Weichsel. „Sie sind zwar nicht von deiner Oma, aber von einer echten Oma!“

Brief an den Nikolaus: „Ich bin so traurig“

Viele Geschenken hätten die Kinder in den vergangenen Monaten erhalten, sagt Maria Wolf. Doch im Grunde wünschten sie sich nur, dass alles ist wie früher. Ihre achtjährige Tochter habe dem Nikolaus einen Brief geschrieben: „Ich bin immer so traurig. Ich weiß gar nicht, wie ich wieder glücklich werden soll“, zitiert die Mutter und sagt: „Das ist einfach fruchtbar.“

Zumindest das Erkerfenster möchte Maria Wolf noch schmücken in diesem Jahr. „Wir hatten immer einen großen Weihnachtsbaum“, erinnert sich die 43-Jährige. Doch seitdem die siebenköpfige Familie gemeinsam auf einer Etage lebt, sei nicht einmal Platz für eine kleine Tanne.

Eine Tradition aber behielten die Wolfs bei: „Wir backen ganz viel gemeinsam“, erzählt Mutter Maria. Zwar nicht in der geliebten Landhausküche, „aber wenigstens ist es dann für ein paar Stunden warm“.

Weitere Informationen:

  • Unter ekir.weihnachtsboerse.de können Menschen ihre Weihnachtsdekoration an Flutbetroffene verschenken.
  • Die Weihnachtsbörse sei aber keinesfalls nur für Betroffene aus dem Kreis Euskirchen, sagt Judith Weichsel von der evangelischen Kirchengemeinde in Bad Münstereifel. „Erft, Wupper, Ruhr und Ahr: Es hat uns alle getroffen!“