Ruhrgebiet. Aus einer beliebig ollen Straßenecke hat eine Dortmunder Initiative einen Westentaschenpark geschaffen. Der ist ein Vorreiter. Andere folgen.

Susanne Lilienfeldt ist jetzt auch noch perfekt im Hänger-Fahren. „Ich kann überall wenden“, sagt die Dortmunderin, die ja eigentlich aus dem Künstlerischen kommt. Doch seit Anfang 2020 kümmert sie sich mit der Mit-Initiatorin Barbara Koch und einem festen Stamm von inzwischen vielleicht 30 Frauen und Männern um eine hilfsbedürftige Straßenecke da, wo die Wohnbebauung der Nordstadt und der Betrieb des Hafens aneinanderstoßen. Hardcore-Ruhrgebiet - hätten sie hier nicht einen kleinen Garten und Park angelegt. „7000 Schmetterlinge“ mit Namen.

Und die waren im Sommer auch da. „Das Artensterben ist das größte Problem unserer Zeit. Wenn wir etwas tun, kommen auch die Insekten wieder“, sagt Lilienfeldt. Wo früher nur Brennnesseln wuchsen und wenigstens den vielen Müll gnädig und grün verdeckten („Müll wächst auch nach“), da ist ein sogenannter „Pocket Park“ („Westentaschenpark“) entstanden. Gemüse, Obst, Bäume, Schatten, Wege, Sitzbänke und Sitzsteine, zwei Wassertanks: „Ein Wohlfühlort für Tiere und Menschen“, sagt die 54-Jährige: „Und er ist für immer gedacht.“

Umgestaltet wurde eine Straßenecke, wie es zehntausende gibt im Ruhrgebiet

An der Ecke Kesselstraße/Landwehrstraße in der Dortmunder Nordstadt wirbt ein Schild um weitere Mitstreiter und Mitstreiterinnen.
An der Ecke Kesselstraße/Landwehrstraße in der Dortmunder Nordstadt wirbt ein Schild um weitere Mitstreiter und Mitstreiterinnen. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Und so kommt es, dass der Weg etwa von einer internationalen Konferenz über Nachhaltigkeit in New York zur Ecke Landwehrstraße/Kesselstraße in Dortmund gar nicht so weit ist - einer Ecke, die vor einem Jahr noch so aussah wie etwa 10000 andere im Ruhrgebiet. Aber das muss ja auch bei denen nicht so bleiben: Städte und Initiativen im Ruhrgebiet machen sich zusehends daran, kleinste Wäldchen, Parks und Gärten im öffentlichen Raum anzulegen. Beobachter sprechen von einem „neuen Freiraumtyp, gärtnerisch gestaltet in städtischer Umgebung“. Man kann es auch so sagen: Kleinvieh macht auch Sinn.

Bochum etwa will fünf Westentaschenparks anlegen - kleine Grünflächen, die schnell zu erreichen sind und die der Erholung und dem Klima dienen. Bänke will die Stadt aufstellen, Wege anlegen, Stauden und Hecken pflanzen. Der Kostenpunkt: fünfstellig. „Versiegelte Flächen kommen zu einem späteren Zeitpunkt auch in Frage, aber das ist dann aufwändiger“, so die Stadt.

Kleinste Wälder können zusammengenommen eine beträchtliche Wirkung entfalten

In Herne kreisen solche Vorstellungen, in Schwelm, Kleve, Aachen, Dortmund; in Moers fordert die Studie „Grün Inne Stadt“ gleich eine ganze klimaangepasste Innenstadt einschließlich dazu passender „attraktiver Erlebnisräume“ - und mit einer kleinen Grünanlage an einem Parkplatz hinter dem Rathaus könnte es damit losgehen.

Essen, Dortmund oder Bochum mit ihrer dicht bebauten Landschaft denken auch an winzigste Wäldchen. So klein, dass Kritiker befürchten, das bringe gar nichts. Dietwald Gruehn würde da widersprechen wollen, der Landschaftsökologe von der Technischen Universität Dortmund: „Schafft man auf vielen kleinen Flächen Wälder, können sie dennoch zusammengenommen eine beträchtliche Wirkung entfalten und das Stadtklima positiv beeinflussen“, sagt er.

Für Parklein und Gärtchen gilt dasselbe. 650 Quadratmeter sind es etwa an der Landwehrstraße in Dortmund, und da gehört schon ein zuvor ungenutzter Schulgarten hinzu. Heute spricht das Dortmunder Künstlerhaus, das das Projekt an der schrömmeligen Ecke unterstützt und die Fläche gepachtet hat, von einem „Garten für Artenvielfalt“.

„Wir wollen das weitertragen. Das ist Nachhaltigkeit.“

Auch die Gemüse­pflanze Mangold ist in dem Westentaschenpark gewachsen.
Auch die Gemüse­pflanze Mangold ist in dem Westentaschenpark gewachsen. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Für Susanne Lilienfeldt, die das mit anstieß, hat sich dadurch der ganze Blick auf ihre Stadt verändert. „Wenn ich jetzt durch Dortmund gehe, sehe ich überall: Da könnte man etwas machen, und da könnte man etwas machen . . .“ Ihre Erfahrung ist: „Die Leute wollen ja. Die warten nur darauf, dass auch einer anfängt.“

Mehr als anderthalb Jahre haben Lilienfeldt und ihre engsten Mitstreiterinnen jetzt jeden Samstag an ihrer Lieblingsecke verbracht, um aus einer wilden Kippe einen Park zu machen. Und aus der nächsten Ecke?„Ich würde das auch beruflich machen, aber man muss ja von etwas leben.“ Um ihn zu erhalten, braucht es das anhaltende Engagement der Leute. Susanne Lilenfeldt sagt es so: „Wir wollen das weitertragen. Das ist Nachhaltigkeit.“