Ruhrgebiet. Mit dem „Sofortprogramm Innenstadt“ bekämpft das Land Leerstände. Inzwischen sind daraus erste Läden geworden - oft etwas speziellere.
Der Gorilla ist unverkäuflich. Die Figur hockt auf einer Sitzbank vor dem Schaufenster, guckt grimmig und ist doch so eine Art Maskottchen. „Kuro“ heißt er, abgeleitet von dem Geschäft in seinem Rücken, „Kupferrot“ - kupferrot wie die Haarfarbe der Inhaberin. Klingt alles in allem nach einem Konzept.
Mit zwei Händchen für Dekoration hat Christine Borkes im Dorfzentrum von Neukirchen-Vluyn Anfang September dieses Geschäft eröffnet. Handgemachtes gibt es bei der 35-Jährigen: Kinderkleidung etwa, wiederhergestellte Stühle mit peppigen Sitzkissen, mehrfarbige Kerzen, kleine Hebammen aus Filz, Pusteblumen im Glas. Und noch 1000 Sachen mehr, die 21 Frauen und Männer aus der Region herstellen. Naja, insgesamt ist ein Mann darunter.
„Natürlich ist es mutig, aber das ganze Leben ist mutig“
Borkes arbeitet zwei Tage in der Woche als Assistentin einer Geschäftsführung in Essen und vier Tage hier. „Natürlich ist es mutig, aber das ganze Leben ist mutig.“ Ein Förderprogramm der Landesregierung, das „Sofortprogramm Innenstadt“, hat die Gründung ermöglicht. „Ohne das Programm hätte ich das nicht gemacht. Auch, weil ich ein Mensch der Zahlen bin“, sagt Borkes.
Das Programm soll Städten helfen, die vielen Leerstände zu verringern. Das Geschäftsmodell sieht vor: Der Vermieter verzichtet auf 30 Prozent der regulären Miete. Der Mieter zahlt nur 20 Prozent. Die Differenz trägt ganz überwiegend das Land, ein bisschen auch die jeweilige Stadt.
„Mich faszinieren Umsetzung und Geschwindigkeit. Wie lange dauert eine Idee?“
„Jeder muss einen Teil der Belastung tragen“, sagt der oberste Wirtschaftsförderer von Duisburg, Andree Haack. Das Programm ist erfolgreich angelaufen: Essen, Bottrop, Dortmund, Witten, Mülheim, alle dabei - alles ist besser als Leerstand.
In Bochum hat Christopher Baer ganze sechs Tage gebraucht, sein neues Ladenlokal einzurichten, und das Ergebnis nennt er „so ein bisschen Berlin-Style“. „Mich faszinieren Umsetzung und Geschwindigkeit. Wie lange dauert eine Idee?“ Rhetorische Frage. In seinem „Baer-Store“ gibt es nachhaltige Produkte, nicht billig, aber preis-wert. Textilien aus Alpaka-Wolle, Sonnenbrillen aus recycelten Fischernetzen, ausgefallene Lampen und Alkoholika - selbst das Material der Regenjacken hatte schon ein vorheriges Leben.
Nach zwei Jahren sollen die subventionierten Geschäfte sich möglichst tragen
„Wärme für die Seele“ steht groß draußen, „Wärme für den Körper“ steht groß drinnen, und das trifft es irgendwie auch, obwohl die Schilder aus Baers früherem Geschäftsleben stammen: Er hat Produkte aus Schafswolle auf dem Weihnachtsmarkt verkauft. Kein Weihnachtsmarkt? Da mietete er ein Ladenlokal. Zack, da kam der zweite Lockdown. Aber in den wenigen geöffneten Wochen „war die Resonanz gut. Deshalb habe ich mich auch getraut.“
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Auch der 48-Jährige profitiert von dem Sofortprogramm. Es ist angelegt auf zwei Jahre, in denen Baer versuchen wird, sich mitten in der Innenstadt zu etablieren. „Ich habe ja meine Kunden für diese Dinge vorher nicht gekannt und muss mich in sie hineinfühlen“, sagt er. Die programmatische grüne Leuchtschrift jedenfalls hängt schon: „Werte“. Natürlich nicht in LED, sondern in Neon.
Es sind häufig etwas andere Läden, die zu starten versuchen
Dieses Etablieren ist so gewollt: Das Sofortprogramm Innenstadt soll ja keine sozusagen zweijährigen Eintagsfliegen fördern, sondern ist angelegt auf Dauerhaftigkeit, um Innenstädte vor Verödung zu schützen. „Diesen wieder Leben einzuhauchen und sie lebendig und attraktiv zu erhalten, ist eine große Herausforderung“, sagt etwa Dorothee Feller, die Regierungspräsidentin in Münster.
In Bottrop, das in ihr Präsidium fällt, verhandelt die Stadt „mit sieben Interessenten, die uns ihre Konzepte präsentieren“, so die Chefin der Wirtschaftsförderung, Dorothee Lauter. Hier, aber auch in den anderen Städten, fällt durch die Bank auf: Es sind häufig etwas andere Läden sind, die mit dem Sofortprogramm zu starten versuchen.
Handgemachtes, Nachhaltiges, Veganes oder auch einfach nur Hübsches
Wie der „Baer-Store“ in Bochum, ein „mykraut“ in Essen oder ein Fachgeschäft für spanische Kartoffelspezialitäten in Bottrop. Handgemachtes, Nachhaltiges, Veganes oder auch einfach Hübsches ist recht typisch derzeit unter den vorgestellten und umgesetzten Konzepten. Der Vielfalt und Anziehungskraft einer Innenstadt kann das nur gut tun - wenn es sich tatsächlich hält.
Und damit zurück ans linksrheinische Ende des Ruhrgebiets, nach Neukirchen-Vluyn zu Christine Borkes und Kuro. Ihr Geschäft ist sehr gut angelaufen. „Wenn es so weitergeht, sehe ich überhaupt kein Problem, dass ich es fortführe“, sagt sie. In diesen Tagen hat sie einen Termin bei der Steuerberatung. Die Frage: Wie würde es sich auswirken, wenn ich jemanden anstelle?