Ruhrgebiet. Ein Modellversuch sorgt für Ärger. Wenn Apotheker impfen wollen, müssen Ärzte Arzneien abgeben dürfen – fordert ihr Verband im Bereich Nordrhein.
Wenn Apotheker impfen wollen, müssen Ärzte auch Medikamente abgeben dürfen – findet Frank Bergmann, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO). Er fordert Gespräche „über ein erweitertes Dispensierrecht für Ärztinnen und Ärzte“. Jetzt, da der Modellversuch „Grippe-Impfung in Apotheken“ deutlich ausgeweitet und um drei Jahre verlängert wurde.
In NRW machte die AOK Rheinland/Hamburg im vergangenen Oktober den Anfang, unter anderem in Essen, Duisburg, Oberhausen und Mülheim. 400 Versicherte der Krankenkasse impfte in der Grippesaison 20/21 erstmals kein Arzt, sondern ein Apotheker gegen Influenza. 150 Apotheken in vier ausgewählten Regionen wurden dafür eigens geschult. In diesem Jahr beteiligen sich in 500 nordrheinische Apotheken – und darüber hinaus 700 weitere in anderen Landesteilen: AOK Nordwest und Apothekerverband Westfalen-Lippe stiegen mit ins Projekt ein; am letzten Freitag ging es in Dortmund los. Erklärtes Ziel der Aktion? Nicht: die Ärzte ärgern, sondern: die Impfquote steigern. In kaum einen anderem Land Europas ist sie so niedrig wie in Deutschland.
Ärzte: Impfen ist originär ärztliche Aufgabe
Und siehe, die Zahlen stiegen. Ob es nun am neuen Angebot der Apotheken vor Ort lag, oder daran, dass die alten Appelle der Ärzte endlich fruchteten, der Anstieg vielleicht nur der Pandemie geschuldet war – ist Ansichtssache. Fakt ist: Über 1,2 Millionen Menschen im Bereich der KVNO erhielten im „Corona-Winter“ 20/21 eine Grippeschutzimpfung – fast 200.000 Menschen mehr als in der Vorsaison, und das, obwohl es zeitweise an Impfstoff mangelte. Die Auswertungen des Versuchs, so eine Sprecherin der AOK Rheinland/Hamburg, zeigten, „dass vor allem Versicherte die Impfung in der Apotheke in Anspruch genommen haben, die sonst nicht für die Grippeimpfung zum Arzt gegangen wären“. Das decke sich, ergänzt Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbands Nordrhein, mit den Ergebnissen aus anderen Ländern – wo Apotheken schon lange impfen, und das nicht nur gegen Influenza.
Deutsche Ärzte halten das Impfen aber für eine „originär ärztliche Aufgabe“, sie kritisierten den Modellversuch von Anfang an. Nun, so KVNO-Chef Bergmann, ließe sich etwa Notdienstpatientinnen und -patienten nicht mehr vermitteln, warum sie nach einer Behandlung in einer ambulanten Bereitschaftsdienstpraxis „die zumeist kilometerweit entfernte nächstgelegene Notdienst-Apotheke aufsuchen müssen“, um ihre Medikamente zu erhalten. Solche mühevolle Zusatzfahrten könnten Patienten erspart bleiben, wenn ihr Arzt oder ihre Ärztin einen „Grundstock an Medikamenten“ direkt vor Ort ausgeben dürfte, Schmerzmittel oder gängige Antibiotika etwa.
Was sie zur Zeit nicht dürfen. Laut „Dispensierrecht“ dürfen das in Deutschland nur Apotheker. So soll unter anderem vermieden werden, dass der, der Arzneien verordnet, auch daran verdienen kann.
Aufweichung des Apothekenmonopols
Doch Bergmann will nicht nur das Apothekenmonopol aufweichen. Er werde, kündigte er jüngst an, die 19.500 Vertragsärzte der KVNO noch einmal „ausdrücklich darauf hinweisen, dass Arzneimittel für den Sprechstundenbedarf auch ganz unkompliziert über den Onlineweg bestellt werden können, statt dies wie bisher über die Apotheke vor Ort zu tun“.
Klingt wie eine Kampfansage.
Man setze sich zusammen mit anderen KVen, beteuert hingegen KVNO-Pressesprecher Christopher Schneider „bereits seit langem“ für ein ärztliches Dispensierrecht ein, vor allem im ambulanten Notdienst. „Wenn der Gesetzgeber grünes Licht für Impfungen in Apotheken gibt, muss er konsequenterweise auch mögliche Versorgungsverbesserungen durch Ärzte unterstützen.“
Apotheker: Wir sollten jetzt die impfen, die keinen festen Hausarzt haben
Thomas Preis, der Apotheker, nennt Bergmanns Replik auf die Ausweitung des Modellversuchs einen „normalen Reflex“. Dass niedergelassene Mediziner künftig nur noch online Medikamente bestellen, fürchtet er nicht. „Die Apotheken vor Ort sind für die Arzneimittelversorgung der Arztpraxen unverzichtbar.“ Das zeige sich aktuell wieder bei der Versorgung mit Corona- und Grippe-Impfstoffen. Apotheken, die impfen, erfüllten, so Preis, zudem doch nur den Auftrag des Gesetzgebers: die schlechte Impfquote zu verbessern. Ärzte und Apotheker könnten sich dabei gut ergänzen, Apotheken sollten jetzt „besonders diejenigen impfen, die keinen festen Hausarzt haben“.
Dass die KVNO (und andere) im Gegenzug nun das Dispensierrecht auch für sich einfordern, ärgert den Verbandschef dennoch. Die Apotheker seien „studierte Arzneimittel-Spezialisten“ und Arzneimittel so „sensible“ Produkte, dass nur mit fachkundiger Beratung gefährliche Neben- und Wechselwirkungen erkannt werden könnte: „Immer noch müssen zu viele Menschen wegen falsch angewendeter oder zu viel eingenommener Arzneimittel im Krankenhaus behandelt werden“, sagt Preis.
„Nicht bloß ein kleiner Piks“
Ähnlich argumentieren die Ärzte – wenn es um die Sicherheit beim Impfen geht. „Auch eine Grippeimpfung ist nicht nur mal eben ein kleiner Piks“, sagt Christopher Schneider von der KVNO. Nur ein Arzt könne entscheiden, ob ein Patient geimpft werden dürfe oder nicht, ob etwa Vorerkrankungen oder Allergien dagegen sprächen. Bei plötzlichen Impfreaktionen könne es zudem entscheidend sein, „unmittelbar medizinische Gegenmaßnahmen einzuleiten“. „Daher sind Impfungen durch Ärzte zu erbringen“, sagt Schneider.
„Grippe-Impfungen sind sehr sicher und deshalb gut geeignet, auch in der Apotheke verimpft zu werden“, kontert Apotheker Preis. „Wir sind überzeugt, dass sich bald noch weitere Krankenkassen unserem Vertrag anschließen werden.“
>>> INFO: Das Dispensierrecht
Die „Medizinalordnung“, 1241 vom Kaiser Friedrich II. erlassen, legt die Trennung von Arzt und Apotheker fest. Davor waren Ärzte sowohl für Diagnose und Therapie als auch für Herstellung und Abgabe von Arzneimitteln zuständig.
Unter Dispensierrecht versteht man die gesetzliche Erlaubnis, Medikamente herzustellen, zu lagern und zu verkaufen – also im Grunde, das Recht eine Apotheke zu führen. Humanmediziner dürfen in Deutschland lediglich Arzneien für den Sprechstundenbedarf vorhalten.