Essen. Die ersten Clubs öffnen: Besuch im 19Down in Essen, wo zuerst die Masken und dann viele Hemmungen fallen. Türsteher mit hohem Kontrollaufwand.
Die Luft ist so rein wie nach einem Gewitter. Wo früher allerhand Körperausdünstungen in die Nase strömten und noch viel früher Nikotinrauchschwaden Kopf und Club vernebelten, atmen Feierwütige nun tief durch. Nicht nur, weil sie keine Maske mehr tragen müssen. Dank neu eingebauter Lüftungs-Anlage wird die Luft zehn Mal pro Stunde komplett ausgetauscht, ist auf der Facebookseite des Clubs 19Down zu lesen.
Der Laden an der Rüttenscheider Straße in Essen gehört an diesem Freitagabend zu den wenigen im Ruhrgebiet, die dank neuer Coronaschutzverordnung und vom Ordnungsamt genehmigten Hygienekonzept bereits öffnen dürfen. Allerdings nicht für alle. Enttäuscht und schimpfend zieht eine junge Frau mit ihren beiden Freunden ab. „Und ein Schnelltest reicht nicht?“, fragt sie hörbar genervt Türsteher René.
Eine Stammkundin macht extra einen PCR-Test – für rund 70 Euro
Wie die junge Frau wird Renés Security-Team an diesem Abend noch viele abweisen müssen. Feiern darf nur, wer geimpft oder genesen ist oder einen negativen PCR-Test vorweisen kann, der nicht älter als 48 Stunden ist. Rund 70 Euro kostet ein solcher Test. „Wir haben eine Stammkundin, die das sogar gemacht hat, extra für heute Abend. Einen Genesenen haben wir auch schon eingelassen, der große Teil unserer Gäste aber ist geimpft“, zieht René gegen 23 Uhr eine erste Zwischenbilanz. Akribisch werden vor der Tür QR-Codes auf Handys mit Personalausweisen abgeglichen, in der Schlange gilt Maskenpflicht.
Wer drin ist, den erwartet ein unbeschreiblicher Wow-Moment. Direkt nach dem Einlass fallen die Masken. Darunter zum Vorschein kommen glückselige Gesichter. Wie lange hat man das nicht mehr gesehen! Die Tanzfläche ist schon kurz nach dem Einlass brechenvoll, ein Warm-up braucht hier niemand. In diesen Post-Lockdown-Zeiten beginnt das Nachtleben viel früher. Kurz nach Mitternacht lassen René und sein Team bereits niemanden mehr hinein. Bei 150 Leuten ist Schluss in dem kleinen Kellerclub, der 19 Stufen unter der Erde liegt.
Das Gefühl, das in dieser Nacht alle durchströmt? „Befreiend!“
„Befreiend“, bringt die 18-jährige Canan das Gefühl auf den Punkt, das in dieser Nacht alle durchströmt. Eine Frau nippt am Wodka-Red-Bull ihres flirtenden Gegenübers. Hände fliegen zu Klassikern von Snoop Dog und Seeed in die Höhe. Körper schmiegen sich dicht an dicht, als die ersten Beats der gerappten Liebeserklärung „Die Eine“ durch den Club schallen. Fast akrobatisch mutet das an, was hier manch eine zwischen dröhnenden Boxen vollführt. In anderthalb Jahren geschlossener Clubs hat sich viel Energie angestaut, die jetzt mit vollem Körpereinsatz explodiert. Sorgen vor einer Corona-Infektion hat niemand der Befragten. Dass alle geimpft oder genesen sind, finde er gut und biete die größtmögliche Sicherheit, sagt etwa Sascha (44) aus Köln.
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„ So viel Nähe auf einmal ist erst ungewohnt aber fühlt sich so gut an. Es ist so schön, all die Leute von der Uni wieder zu sehen“, sagt Studentin Nada (21), die seit dem ersten Lockdown im März keinen Club mehr von innen gesehen hat. Fabienne (25) und Alissa (24) sind aus Mülheim und Duisburg nach Essen gereist. Die Freundinnen feiern sich selbst und den frisch bestandenen Bachelor im öffentlichen Dienst. Es ist nicht ihr erster Clubabend in diesem Jahr, erzählen sie: „Wir sind vor zwei Monaten sogar extra nach Niedersachsen gefahren, weil die Läden dort schon öffnen durften.“ Die Zeit davor sei hart gewesen. „Ständig wurde über Kinder geschrieben, die nicht mehr miteinander spielen dürfen. Natürlich war das auch schlimm. Aber unsere Generation wurde viel zu oft vergessen, von der Politik und auch in den Medien“, findet Alissa.
Julian (23) und Christian (31) sind das erste Mal seit einem Jahr wieder gemeinsam aus. An gleicher Stelle hatten sie im August 2020 Julians 22. Geburtstag gefeiert, in geschlossener Gesellschaft war das damals möglich. „Wir waren Feuer und Flamme, heute hierher zu kommen, wir haben so lange gewartet!“, sagt Christian und Kumpel Julian ergänzt: „Jetzt hier so unbeschwert zu feiern, macht einfach nur Spaß. Ich habe das so vermisst!“
Clubbetreiber fordert einheitliche Kapazitätsgrenzen für alle
Clubbetreiber Bastian Herzogenrath steht an diesem Abend selbst an den Plattentellern, sein DJ hat kurzfristig abgesagt. In der vergangenen Woche hatte er zum ersten Mal nach neuem Konzept öffnen dürfen. In den Vormonaten war sein Laden provisorisch ein „Nachtcafé“, um überhaupt Einnahmen zu garantieren – strenge Kontrollen des Ordnungsamts inklusive. Die Menschen seien dankbar und glücklich, endlich wieder „richtig“ feiern gehen zu können, ohne Maske oder Abstand.
Herzogenrath ist ebenfalls froh, dass es endlich wieder los geht – wenn auch mit Kapazitätsbeschränkung von 80 Prozent. In Dortmund, erzählt er, soll diese Begrenzung nun fallen, wenn die Clubs einen fünffachen Luftaustausch je Stunde garantieren können. Darauf hätten sich Stadt und Betreiber geeinigt. „Es ist wünschenswert“, sagt Herzogenrath, „wenn es hierzu eine einheitliche Regel für alle gäbe.“ Ungeachtet dessen glaubt der Familienvater fest an die Zukunft der Branche. Im Herbst öffnet er nur wenige hundert Meter Luftlinie entfernt im Girardethaus einen neuen Club.