Essen. In Dortmund starb jetzt eine Schwangere (25) an ihrer Covid-Infektion. Eine Impfung hätte sie retten können, sagt ihr Arzt. Die Stiko zögert.

Die Frau war erst 25 – und schwanger, als sie wegen einer Corona-Infektion und schwerer Atemnot ins Dortmunder Klinikum eingeliefert wurde. Ende vergangener Woche starb sie trotz aller Bemühungen auf der Intensivstation. Das Baby konnte mit einem Kaiserschnitt gerettet werden, seine Mutter aber wird es nie kennen lernen. Dabei könnte die junge, nicht vorerkrankte Frau noch leben, meint Prof. Thomas Schwenzer, Direktor der Dortmunder Frauenklinik. Wäre sie nur geimpft gewesen.

Mit einem flammenden Appell an alle Schwangeren, sich immunisieren zu lassen, wandte sich Schwenzer nach dem „Drama“ in seiner Klinik an die Öffentlichkeit. Er nennt es den „ultimativen Anlass“, denn die Zahlen schwerer Corona-Infektionen bei ungeimpften Schwangeren in Dortmund häuften sich derzeit – auf niedrigem Niveau, berichtete er etwa den Ruhrnachrichten (RN). Vier bis fünf Fälle seien es derzeit, deutlich weniger zwar als während zweiter und dritter Pandemie-Welle, aber in den Monaten zuvor sei es schließlich „ganz ruhig“ gewesen.

In Bochum: Glücklicherweise nur milde Verläufe und wenige Fälle

Schwangere mit schweren Verläufen einer Covid19-Erkrankung findet man auch auf Intensivstationen. In Dortmund starb am Freitag eine junge Frau. Ärzte plädieren vehement für eine Impfung.
Schwangere mit schweren Verläufen einer Covid19-Erkrankung findet man auch auf Intensivstationen. In Dortmund starb am Freitag eine junge Frau. Ärzte plädieren vehement für eine Impfung. © dpa | Christophe Gateau

Im Bochumer Elisabeth-Hospital, wo die Gynäkologie des Katholischen Universitätsklinikums (KKB) angesiedelt ist und jährlich rund 1400 Kinder zur Welt kommen, haben bislang insgesamt 15 positiv getestete Frauen entbunden. Sie wurden isoliert, doch: „Die Geburten verliefen komplikationslos“, berichtet Dr. Peter Kern, Chefarzt der Geburtshilfe im „Eli“. Auch in den Augusta-Kliniken in Bochum waren es seit Frühjahr 2020 „glücklicherweise lediglich zwei Handvoll Schwangere bzw. Gebärende, bei denen eine Corona-Infektion im Vorfeld klar war oder in der Klinik festgestellt worden ist“, so Benedikt Gottschlich, dort der leitende Arzt der Geburtshilfe. „Hier zeigten sich bei allen Patientinnen milde Verläufe und sie wurden von uns mit dem Neugeborenen zusammen in Isolation behandelt.“

Dr. Antonella Iannaccone, Oberärztin mit Schwerpunkt Geburtshilfe und Perinatalmedizin am Essener Uniklinikum, berichtet von aktuell zwei schwangeren Patientinnen mit Covid-Infektion. Insgesamt wurden in Essen seit Beginn der Pandemie an die 90 Betroffene behandelt, „mit ganz unterschiedlich schweren Verläufen“: „Viele Frauen kamen symptomlos, wurden erst im Screening als positiv erkannt, aber es gab auch sehr schwere Fälle“, erinnert sich die Medizinerin. Acht werdende Mütter benötigten eine Betreuung auf der Intensivstation. Alle Frauen überlebten die Infektion, eine einzige verlor ihr Baby. „Allen anderen Neugeborenen ging es gut“, berichtet Iannaccone – auch den beiden Zwillingspärchen, die infizierte Mütter zur Welt brachten.

Höheres Risiko für Schwangerschaftskomplikationen

Die Deutsche Gesellschaft für Perinatale Medizin sammelt bundesweite Zahlen: Die 157 registrierten Kliniken meldeten ihr bisher (Stand: 19. August 2021) genau 2800 mit Covid 19 infizierte Patientinnen. Bei 105 wurden schwere Verläufe („Intensivstation oder schlimmer“) beobachtet. Von den 2319 bis dahin geborenen Kindern wurden 26 positiv auf Sars-CoV-2 getestet, 323 kamen zu früh, noch vor der 37. Schwangerschaftswoche zur Welt.

Zu Beginn der Pandemie hatte man geglaubt, dass Schwangere eine Covid-Infektion mindestens so gut wie nicht schwangere Frauen gleichen Alters „verpacken“. „Mittlerweile ist klar, dass Schwangere häufiger schwere Krankheitsverläufe haben und auch die Schwangerschaftsverläufe negativ beeinflusst werden können“, erklärt der Bochumer Experte Gottschlich. Präeklampsie (Schwangerschaftsvergiftung), Früh- und Totgeburten träten „signifikant häufiger“ auf, fanden etwa Forscher der Uni Montreal heraus, die Daten von fast 450.000 (davon 7.569 infizierten) Schwangeren analysierten. Der Dortmunder Gynäkologe Thomas Schwenzer erklärte im RN-Interview, das Risiko für eine werdende Mutter mit Infektion, auf der Intensivstation zu landen, sei sechsmal so groß wie das vergleichbarer Nicht-Schwangerer; das zu sterben: gar 26-mal so hoch.

Mediziner empfehlen die Impfung für Schwangere, die Stiko zögert noch

Hebammen sind enttäuscht, dass es keine klare Empfehlung der Stiko für oder gegen eine generelle Impfung von Schwangeren gibt. Werdende Mütter seien völlig verunsichert.
Hebammen sind enttäuscht, dass es keine klare Empfehlung der Stiko für oder gegen eine generelle Impfung von Schwangeren gibt. Werdende Mütter seien völlig verunsichert. © dpa | Caroline Seidel

Die Ständige Impfkommission (Stiko) indes rät Schwangeren nicht grundsätzlich zur Impfung, nur solchen mit Vorerkrankungen oder hohem Expositionsrisiko. Ihre Aufgabe ist die Abwägung von individuellem Nutzen gegen individuelles Risiko, doch noch mangele dafür an belastbaren Daten. Ärzte dürfen Schwangere im Einzelfall und nach ausführlicher Aufklärung dennoch bereits jetzt impfen. Deren Fachverband DGGG, die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, räumt ebenfalls ein, dass es noch an Langzeitstudien fehle, sprach sich aber bereits im Mai klar für die Immunisierung Schwangerer aus, empfahl dazu den Impfstoff Comirnaty (Biontech/Pfizer) oder das „Covid-19-Vaccine“ von Moderna.

Die Dortmunder Tote, so Prof, Schwenzer im RN-Interview, sei gesund gewesen, nur leicht übergewichtig „wie zwei von drei Schwangeren“. Ihr „Risikofaktor an sich“, so vermutet er, sei die Schwangerschaft gewesen. Impfungen mit mRNA-Vakzinen würden zuverlässig vor schweren Verläufen schützen und zeigten ein „sehr günstiges Nebenwirkungsprofil“. Auch Benedikt Gottschlich orientiert sich an der Empfehlung der DGGG und rät Schwangeren – und Stillenden – zur Impfung, „da kein Impfstoff in der Muttermilch nachzuweisen ist, wohl aber schützende Antikörper über die Muttermilch aufs Kind übergehen und einen Nestschutz hervorrufen können.“ Seine Frau, ergänzt Gottschlich, habe sich in der Stillzeit impfen lassen. „Sie hätte es aber auch schon in der Schwangerschaft getan, wobei zu der Zeit noch nicht genügend Impfstoff zur Verfügung stand...“

Hebamme: Betroffene Frauen sind total verunsichert

Derzeit, das beobachtet auch Antonella Iannaccone, die Essener Oberärztin, steigen die Fallzahlen wieder. „Eine Folge des Nicht-Impfens der Schwangeren“, sagt sie – und rät wie ihre Kollegen Schwangeren zur Immunisierung, denn:. „Das Risiko einer Infektion ist einfach höher als das der Impfung“. Letzteres tendiere, so Iannaccone, „gegen null“; sei nicht größer als das für Nicht-Schwangere, wie US-Studien zeigten. Etwa die Hälfte ihrer Patientinnen folgt ihrem Rat, lässt sich impfen. Die andere Hälfte nicht. „Viele sind in Sorge, wollen lieber bis nach der Entbindung warten, weil die Stiko die Impfung eben ja noch nicht empfiehlt.“

Was Barbara Blomeier, die 1. Vorsitzendes des Landesverbands der Hebammen in NRW, wirklich wütend macht. „Wir haben weder die Aufgabe noch die Kompetenz Schwangeren beim Thema Impfung zu- oder abzuraten“, sagt sie. Doch dass die Stiko sich nicht zu einer klaren Entscheidung durchringen könne, sondern „rumeiert“, ärgert sie maßlos. Schwangere würden dadurch weiter verunsichert, ihnen die Entscheidung allein aufgebürdet – und die komplizierte Suche nach einem impfwilligen Arzt dazu. „Das kann man sich derzeit nicht erlauben“, findet Blomeier.

Gerade erst hat die Hebamme eine junge Frau betreut, die vor einer Woche entbunden hat. Sie wollte sich impfen lassen, fand aber keinen Arzt, der es tun wollte. „Einzelne Gynäkologen lesen vielleicht die Empfehlungen ihres Fachverbands, aber viele sagen: Mit ist die Nummer zu heiß.“. Auch im Impfzentrum schickte man die Frau wieder weg. Erst ein paar Tage nach der Geburt erhielt die frischgebackene Mutter dann endlich die ersehnte Impfung. Blomeier: „Und der Stress muss ja wohl nicht sein...“.

>>>> INFO: Tote auch im Kreis Unna

Bereits im Oktober vergangenen Jahres soll einem Bericht der Ruhrnachrichten zufolge im Kreis Unna eine an Corona erkrankte Schwangere gestorben worden. Die junge, wohl ebenfalls nicht vorerkrankte Frau war Mutter von Zwillingen, erwartete ihr drittes Kind. Auch dieses Baby überlebte, es wurde in der 30. Schwangerschaftswoche (SSW) „geholt“, berichtet die Zeitung am Dienstag.

Der leitende Arzt des Impfzentrums vor Ort, Stephan Spanke, schloss sich dem Bericht zufolge jetzt dem Appell von Prof. Schwenzer an. Auch er rät Schwangeren eindringlich zur Impfung „am besten bereits in der ersten Schwangerschaftswoche“.