Herdecke. 350 steile Stufen führen zum Glück: Jungwinzer Elias Sturm baut hoch über dem Hengsteysee Wein an. Für den Namen steht der Urgroßvater Pate.
Die süßesten Trauben hängen bekanntlich am höchsten, aber das hier ist nun wirklich sehr hoch. 350 Stufen, schmal, dafür umso höher, führen hinauf Richtung Gipfel, es ist ein Schwitzen und Schnaufen – und dann hängt da oben noch gar nichts! Dies soll ein Weinberg erst noch werden: Der Student und Winzerpraktikant Elias Sturm hat am Steilhang des alten Koepchenwerks oberhalb des Hengsteysees zwischen Hagen, Herdecke und Dortmund hoffnungsvoll die ersten Reben gesetzt.
Vorsicht, fehlende Stufe, Beerensaft, Taubendreck und Dornenranke, aber Sturm nimmt den Berg, wie sein Name schon sagt. „Wenn man sich viel im Hang bewegt“, warnt der 21-Jährige, „merkt man das überall.“ Am Wochenende haben sie hier oben gerodet, Brombeeren, Brennnesseln, Farn und Engelwurz, alles mannshoch. Die „Malocherarbeit“ hat die Freunde aus der Herdecker Kindheit „an die Grenzen gebracht“, am Ende des Tages reichte die Kraft nur noch für ein Bier und dann das Bett.
Trauben für 3000 Flaschen Wein
Bier und Grillwurst, damit hält Elias Sturm die Jungs bei Laune, der Wein ist ja noch nicht fertig. Aber das soll was werden: In fünf Jahren vielleicht, dann will er erstmals so richtig ernten, von 3000 Rebstöcken auf 3500 Quadratmetern Trauben für 3000 Flaschen, und damit wäre er immer noch ein „Mikrowinzer“. Der Architektur-Student, der Praktika bei Winzern machte in Italien und im Rheingau, mag die Lebenslust und am liebsten Weißwein, er probiert sich und den Weinbau schon bei seinem Onkel im Garten, aber jetzt soll es etwas Größeres werden.
Die Bauern mochten ihr Land nicht hergeben, da kam die Idee mit dem Koepchenwerk: Das kennt jeder Spaziergänger, der schon atemlos den Kopf in den Nacken legte am Fuß des Pumpspeicherkraftwerks, hier wurde schon vor bald 100 Jahren mit Wasser Strom erzeugt. Auch von der A 1 aus ist die Landmarke zu sehen. Inzwischen gehört die historische Anlage der Stiftung Industriedenkmalpflege, die den Hang dankend freigab für den jungen Visionär. Fünf Jahre darf er erstmal machen, träumt schon von Patenschaften, Führungen und Weinproben im alten Schieberhaus.
„Wir müssen uns jeden Quadratmeter erkämpfen“
Und was wäre das für eine Aussicht: links die Hohensyburg, unten der Hengsteysee, gegenüber Hagen, so grün, wie es nur geht. Zugleich aber Industriekultur, links und rechts die alten, gigantischen Druckrohrleitungen des Pumpwerks, unten das denkmalgeschützte Betriebsgebäude, an der Treppe das leere Versprechen der alten Seilwinde: „Signal 3x Auf“. Es gibt auch noch Schienen, aber der Beton darunter wird die Last der Ernte nicht mehr halten, sie werden dereinst die Trauben bergauf lesen und bergab tragen müssen, alles von Hand.
Denn vor die Labsal hat der liebe Gott die Mühsal gestellt. Elias Sturm sagt: „Wir müssen uns jeden Quadratmeter erkämpfen.“ Erstmal ist nur das Gestrüpp gefallen, „eine wilde Sache“ im doppelten Sinn, am Tag danach muss Sturm neue Stiele hochschleppen, die Harken sind gebrochen. Nun müssen sie alles „runterziehen“, noch so „eine Deppenarbeit“, es soll ein riesengroßer Kompost werden. Zum Pflügen haben sie einen Karren gebaut, den eine Winde den Berg hochziehen soll, bislang haben sie das Ding bloß auf gerader Strecke probiert. Hier ist 45 Grad Gefälle.
Glaube an Mondphasen
Zwei Jahre hat Sturm nun Zeit für die Vorbereitung, 15 Reben hat er im Frühjahr probehalber gesetzt, sie sind alle angegangen. „Voll cool“, sagt Elias Sturm, er sagt das oft. Die Pflanzrechte sind beantragt, über sowas entscheidet die EU, die richtige Rebe will noch gewählt sein. Dornfelder fressen die Vögel, Riesling muss man spritzen, aber es soll alles „biobiobio“ werden. Eine Wissenschaft für sich sei das, spannend auch und schließlich: „Wenn man keine Pestizide braucht, nehme ich dafür auch den Glauben an Mondphasen in Kauf.“
Experten haben dem Jung-Winzer gesagt, sein „project:vino“ könne gelingen, „sehr geil“ sogar. „Ein bisschen verrückt“, das sagten sie auch, denn „man kommt schlecht dran“. Der Boden aber, sagt Elias Sturm, sei „top“. Hier sind die Ausläufer des Ardeygebirges, Süd-Ost-Ausrichtung, in 30 Zentimetern Tiefe kommt Schiefer, außerdem Sand und Ton, „das gibt eine gute Fruchtnote“. Für einen Wein, der auch schon einen Namen hat: „Willi und Arthur“ soll er heißen. Arthur nach dem Gründer des Koepchenwerks, Willi nach Wilhelm Kranz, Urgroßvater von Elias und einst Betriebsleiter hier.
Über Sturms Kopf, an der stählernen Brücke, rankt schon etwas. Aber das ist kein Wein, das ist Hopfen! Einer von den Jungs wollte da gleich Bier anbauen, das geht doch auch? Aber, aber, hat Elias Sturm da gemahnt: „Lasst uns erstmal eins fertigmachen.“