Promis verspotten die Zugteilung von Hamm: In Sozialen Medien kult, dem Stadtmarketing ein Graus – was wirklich dahinter steckt. Selbstversuch!
Bahnhof Welver. Schon der Name. Hier ist nix. Nix und wieder nix. Eine Plattform, auf der dann und wann ein Zug einfährt. Ein kurzer Blick aufs Handy: Wann kommt der nächste? Zum Glück in wenigen Minuten. Denn die Gegend sieht – bei allem Respekt – nicht vergnügungssteuerpflichtig aus. Wer hier aussteigt, muss hier wohnen oder zumindest jemanden kennen und mögen, der hier wohnt.
Auf der eigenen Homepage bezeichnet sich die das Örtchen als „Der schöne Mittelpunkt Westfalens“ und verspricht ausreichende Möglichkeiten, um „Ferien zu Hause“ zu machen. Mag sein. Im Augenblick aber ist Welver kein Zufluchtsort für Erholung, sondern unfreiwilliger Schauplatz eines ebenso unfreiwilligen Selbstversuchs. Der endet kurz danach, weil die Bahn einfährt. Nächster Stop: Hamm, wo etwa eine halbe Stunde zuvor aus dem RB69 zwei Züge wurden. Der eine fuhr weiter nach Bielefeld, der andere wurde zum RB89 und steuerte Warburg an. Und Welver.
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In Hamm hat ein Vorgang stattgefunden, der schon abertausenden Reisenden Nerven gekostet hat, weil sie im falschen Zugteil saßen oder sich darin wähnten – und mitunter damit irrten. Zugteilungen sorgen vor allem bei weniger erfahrenen Reisenden für Aufregung, Nervenkitzel und Sorge um den eigenen Verbleib. Und außerdem haben sie der Stadt Hamm einen zweifelhaften Ruf eingebracht.
„Lebende Stadt der legendären Zugteilung. Nie war da jemand länger als die paar Minuten der Zugteilung“, frotzelte der Schriftsteller Sasa Stanisic etwa bei Twitter. Musikkomiker Max Goldt hat gar eine eigene Klamotten-Kollektion dazu im Fanshop. Als Hamm im vergangenen Jahr Corona-Hotspot wurde, schrieb der Journalist und Satiriker Hans Zippert in „Welt“ in Anlehnung an den täglichen Vorgang auf den Hammer Schienen: „Wie gefährlich ist das Teilen? In Heinsberg teilten sich damals viele Karnevalisten eine Bierbank, und bei Tönnies in Gütersloh wurden Schweine in Hälften geteilt.“
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Ob gefährlich oder ungefährlich – hinter Zugteilungen steckt selbstverständlich Methode, auch wenn Reisende hin und wieder daran verzweifeln. „Ein Vorteil des Kuppelns für unsere Fahrgäste sind umsteigefreie Verbindungen zu ihren Zielorten“, entgegnet ein Bahnsprecher auf Anfrage dieser Redaktion. Die Deutsche Bahn verspricht sich vom Teilen und Koppeln von Kurz- und Langstreckenzügen optimalen Einsatz von Ressourcen: „Zudem ermöglicht das Kuppeln einen optimierten Fahrzeugeinsatz: In Abschnitten mit hoher Nachfrage fahren die Züge gekuppelt und bieten somit eine höhere Sitzplatzanzahl.“
Einer dieser Sitzplätze dient diesem Text für einen weiteren Selbstversuch – diesmal freiwillig und mit weniger Stress. Hier bietet die Bahn schließlich so viel Erlebnisdichte, wie innerhalb von sechs Minuten und mit einer Maximalgeschwindigkeit von 2 km/h eben möglich ist. So viel Zeit und so viel Tempo sind für Teilung und Kupplung vorgesehen.
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Wesentlich spektakulärer ist da das Treiben auf dem Bahnsteig. „Das Zugbegleitpersonal steigt nach Ankunft des Zuges am Gleis aus und steht bei Fragen den Kunden als Ansprechpartner zur Verfügung“, beschwichtigt der Bahnsprecher. Er erklärt den weiteren Vorgang. Von der Einfahrt in den Bahnhof, bei der bereits ab 30 km/h die Luke geöffnet wird, damit die Zugteile an die entsprechenden neuen Teile gekuppelt werden können. „Das spart Zeit am Gleis.“
Während Teilung und Kuppelung greifen viele technische und kommunikative Vorgänge ineinander. Davon bekommen Passagier in der Regel wenig mit. Ihnen bleibt meist nur ein dumpfes Ruckeln, wenn zwei Zugteile aufeinandertreffen. „Der einwandfreie Kuppelvorgang zwischen zwei Zugteilen wird fahrzeugseitig genau überwacht. In seltenen Fällen kann es zu Störungen beispielsweise zu einem Kontaktproblem kommen. Dann wird der Kuppelvorgang abgebrochen und wiederholt.“
Es bleibt also genug Zeit, den richtigen Zugteil zu erwischen. Die Anzeigetafeln helfen. Und wenn alle Stricke reißen, bleiben immer noch Helfende auf dem Bahnsteig. Wer dann immer noch im falschen Teil sitzt, hat Pech. Und steigt am nächsten Bahnhof aus. In Welver zum Beispiel.
Schloss Heessen bequem mit dem Rad nach Asien
Es klingt wie ein schlechtes Wortspiel, ist aber vielmehr Laster einer Großstadt. Hamm ist im Bewusstsein vieler Menschen untrennbar mit Zugteilung verbunden. Doch das Image ist etwas irreführend, wie ein Besuch der Stadt zeigt. Hier verschwimmt die Grenze zwischen Ruhrgebiet und Münsterland, hier treffen Zechensiedlung und Industriekultur auf idyllische Landstriche und Bauernschaften.
Tobias Köbberling von der Stadt Hamm widerspricht der landläufigen Meinung: „In Westfalen, dem Münsterland und im Ruhrgebiet verbinden viele Menschen mit Hamm zuerst den Maxipark.“ Der locke mit Abenteuerspielplätzen, dem größten Schmetterlingshaus Nordrhein-Westfalens und einer Lego-Fan-Ausstellung. Und außerdem dem Wahrzeichen der Stadt, dem 35 Meter hohen Elefanten aus Glas., inklusive Aussichtsplattform.
Anders als zahlreiche geplagte Reisende tituliert Köbberling seine Stadt als „Drehscheibe für Radrouten. Es geht vorbei an den Schlössern Oberwerries und Heessen, durch das Naturschutzgebiet Lippeaue sowie den Kurpark mit Gradierwerk.“ Etwas versteckt im Umland liegt der Sri Kamadchi Ampal Tempel, einer der größten hinduistischen Tempel in Europa. Von der einen Sehenswürdigkeit zur nächsten geht es übrigens ganz bequem mit dem Rad.
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