Essen. Smart Hospital: Weltklasse-Technik steckt im neuen OP-Zentrum für Augen und HNO der Uniklinik Essen. 63 Millionen Euro flossen in den Neubau.

Der Bildschirm über der Liege in OP 1 misst stolze 55 Zoll – und zeigt eine halbierte Paprika in gigantischer, 36-facher Vergrößerung, dreidimensional, jedes einzelne Samenkorn groß wie eine Faust. Ein medizinisches Problem mit Hals, Nase, Ohren oder Augen hat die Frucht nicht, sie dient an diesem Tag, da das Uniklinikum Essen seinen neuen Hightech-OP-Trakt für HNO- und Augenheilkunde offiziell vorstellt, lediglich der Anschauung. Menschen werden heute hier nur in den anderen sieben Sälen operiert.

63 Millionen Euro flossen in den dreigeschossigen Neubau, das Land finanzierte ihn mit Mitteln aus seinem „Medizinischen Modernisierungsprogramm“; eine Ambulanz im Erd- und ein Hornhautlabor im Untergeschoss gehören dazu. „Ein Operationszentrum wie dieses“, schwärmt Prof. Jochen Werner, der ärztliche Direktor und Vorstandsvorsitzende der Essener Universitätsmedizin (UME), selbst HNO-Spezialist, „findet man in ganz Europa so schnell nicht.“ In den acht OP-Sälen, die sich HNO- und Augenklinik teilen, steckt Technologie auf allerhöchstem Niveau; Technik, „die man teilweise noch gar nicht käuflich erwerben kann, die eigens für uns entwickelt wurde“, berichtet Prof. Stephan Lang, Direktor der HNO-Klinik und spricht von „einem neuen Zeitalter der Patientenversorgung“. „Das hier“, betont er, „ist die Zukunft!“

Komplett digitalisiert, voll integriert und eine grüne Welle an der Wand

Die OP-Säle seien komplett digitalisiert, über Glasfaser voll integriert, „Netzwerkanschluss in jeder Richtung“, erklärt sein Stellvertreter, Prof. Stefan Mattheis – und das ohne Kabel auf dem Fußboden! Wo jetzt die Paprika zu sehen ist, sähe der Operateur sonst in Großaufnahme, wo er operiere, „in fantastischer 3-D-4-K-Auflösung“ mittels „Orbeye“-Kamera. Auf anderen Monitoren (65 Zoll!) lassen sich Bilder der OP-Planung aufspielen, MRT- oder CT-Aufnahmen. Mittels Virtuell Reality Brillen und Navigationssystemen könne man „direkt in den Kopf des Patienten hineinlaufen“ (auch wenn die bislang nur als Planungstool eingesetzt werden) oder dem Patienten im Vorfeld des Eingriffs sehr plastisch erklären, wie man vorgehen werde. Während des Eingriffs kann der Patient zur Beruhigung Musik hören, oder den „Tahiti Sunset“ auf einem der Monitore bewundern.

Blick in einen anderen Operationssaal: Während in OP 1 die neue Technik offiziell vorgestellt wird, ist sie hier schon im Einsatz, bei einer echten OP.
Blick in einen anderen Operationssaal: Während in OP 1 die neue Technik offiziell vorgestellt wird, ist sie hier schon im Einsatz, bei einer echten OP. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Die Wände sind aus weißem, patentiertem Glas, antibakteriell „für immer“; eine schmückt eine grüne Welle, sie symbolisiert die akustische Reise eines Lauts durch das Innenohr. Die Belüftung ist aufs Feinste ausgetüftelt, das künstliche Licht im Raum mit den großen bodentiefen Fenstern (vor zwei Millionen Euro teuren Lamellen!) folgt dem natürlichen Biorhythmus, ist morgens kühler als am Nachmittag; lässt sich während einer OP aber beliebig verändern. Blaues Licht etwa verstärkt bei endoskopischen Eingriffen die Kontraste, grünes beugt bei langen Operationen der Ermüdung vor. Ein mit „Laser“ beschrifteter Knopf an wieder einem anderen Gerät schließt, wenn man ihn drückt, automatisch alle Türen und fährt die Jalousien herunter. Zehn „Raumszenarien“ lassen sich für Standards einprogrammieren.

„Das ist nicht bloß Technologie-Gimmick“

4000 OPs zählt die Essener HNO-Klinik jährlich, 6000 die Augenheilkunde. „Wir machen alles ab Schulter aufwärts“, sagt Mattheis. Cochlea-Implantationen und (vor allem kindliche) Tumor-OPs gehören zu den Schwerpunkten der UME, für solche OPs reisen Patienten auch von weit her an. Prof. Nikolaos Bechrakis, Direktor der Klinik für Augenheilkunde, betont, auch sie würden vom neuen OP-Zentrum deutlich profitieren. „Das ist nicht bloß Technologie-Gimmick.“ Nun seien auch Bilder etwa vom Augenhintergrund in einer Auflösung möglich, die bisher nicht einmal denkbar war.

Seit Ostern wurde der OP-Betrieb sukzessive in den Neubau verlagert. Wer mit der neuen Technik arbeitet, wurde eigens geschult. „Unbedarft kann man da nicht rangehen, aber diese Technik macht das Leben nicht schwerer, sondern deutlich leichter“, schwärmt Bechrakis, der ein wenig zu spät zum Termin erscheint – weil er operieren musste: eine Narbe auf einer Netzhautoberfläche entfernen, eine Netzhautablösung verhindern, Katarakt. Die neue Welt, in der er habe „eintauchen“ dürfen, habe ihn „extremst motiviert“, sagt der Augen-Spezialist. Seinen Studenten, hofft er, werde es genauso gehen.

„Wir erwarten hier viel Besuch“

Tatsächlich, erläutert Werner, der ärztliche Direktor, habe man sich sehr bewusst dafür entschieden, OP-Saal 1 mit 70 Quadratmetern doppelt so groß wie einen normalen OP zu bauen. „Wir erwarten hier viel Besuch, Studenten, aber auch internationale Fachleute.“

Auf dem Monitor links neben der Paprika unter dem Auge der Orbeye-Kamera läuft während der Veranstaltung weitgehend unbeachtet ein Film in bester Qualität. Er entstand als Stream in der vergangenen Woche bei einer OP von Stefan Mattheis in eben diesem Saal. Er zeigt, wie der Arzt aus dem Kopf eines kleinen Kind einen Tennisball-großen Schädelbasistumor rausholt. Sorgfältig, Stückchen für Stückchen, durch die Nase, geleitet und unterstützt von der Spitzentechnik im neuen OP-Saal. Dem Kind, erzählt Mattheis, geht es wieder „sehr gut“.