Essen. Corona allein macht nicht einsam, sagt der Psychologe Sebastian Bamberg. Die Pandemie verschärft das Problem jedoch – was nicht nur schlecht ist.

Seit November steckt das Land im Lockdown, zum zweiten Mal bereits. Und ein Ende der Pandemie-bedingten Kontaktbeschränkungen ist kaum zu erkennen. Das soziale Leben liegt brach, Freunde treffen, so wie früher, ein ungezwungenes Miteinander in der Gruppe – kaum noch möglich. Wie Menschen darunter leiden und was hilft, untersuchen Wissenschaftler der FH Bielefeld. Der Psychologe Prof. Sebastian Bamberg (60) berichtet über das Projekt „(Gem)einsam durch Corona“.

Gegen Corona hilft Abstand. Aber wer Abstand hält, bleibt allein. Wie einsam macht Corona?

Bamberg: Acht bis zehn Prozent aller Menschen beschreiben sich als sehr oder ziemlich einsam. Das war schon vor Corona so – aus dem letzten Jahr gibt es noch keine Zahlen. Aber ich denke, es ist auch nicht die Pandemie, die Menschen einsam macht. Sie wirkt eher als Beschleuniger bei bestimmten Persönlichkeitsstrukturen.

Was sind Risikofaktoren?

Evolutionsmäßig sind wir auf Kooperation programmiert. Und auch psychologisch betrachtet, ist es sehr nützlich darauf zu achten, nicht aus der Gruppe ausgeschlossen zu werden. Wer der Gefühl hat, er fällt raus, er findet keinen Anschluss, leidet. Fehlende Kommunikations-Kompetenz ist der Hauptgrund für Einsamkeit. Wer denkt, ich kann nicht mit anderen, ich bin nichts wert und ich kann das nicht ändern – ist gefährdet, der gerät in einen schwer zu durchbrechenden Teufelskreis. Wir nennen das „kognitives Trias“.

Alle Teenager sind genervt, aber nicht alle sind jetzt depressiv

Prof. Sebastian Bamberg: Einsamkeit ist der soziale Tod, sagt der Psychologe.
Prof. Sebastian Bamberg: Einsamkeit ist der soziale Tod, sagt der Psychologe. © FH Bielefeld

Wer ist besonders betroffen? Vor einem Jahr, als Seniorenheime strikte Besuchsverbote verhängten, waren es vor allem die Alten...

Die damalige Isolation in den Heimen fand ich unethisch. Da hätte man andere Lösungen finden müssen. Inzwischen leiden aber auch die Jungen, die vermissen ihre Peer Groups sehr. Die Zeit der Pubertät ist geprägt von dem Wunsch, eine eigene soziale Identität zu entwickeln. Und dazu muss man sich austauschen, da spielen die Freunde eine sehr wichtige Rolle. Aber auch, wenn alle Teenager derzeit genervt sind, werden natürlich nicht alle depressiv. Für Singles gilt dasselbe. Mancher lebt aus freiem Willen und gern allein, bei anderen sind es mangelnde Skills, die dazu führten. Der wird es auch nun schwerer haben.

Kann auch jemand einsam sein, der nicht alleine lebt?

Ja. Auch wer von anderen umringt ist, kann sich allein fühlen, wenn sein Bedürfnis nach Kontakt, nach Beziehung nicht befriedigt wird.

Einsamkeit ist der soziale Tod

Wie krank macht Einsamkeit?

Einsamkeit ist der soziale Tod. Plakativ gesagt, schadet sie aber auch der Gesundheit so sehr wie 15 Zigaretten täglich. Das haben Studien zum Sterberisiko gezeigt. Spannend sind die kausalen Faktoren, die das vermitteln. Wer einsam ist, trinkt vielleicht aus Kummer mehr. Oder er hat chronisch Stress deswegen, was sein Immunsystem anfälliger für Erkrankungen wie Krebs macht.

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Was hilft? Sie haben verschiedenste Ansätze zusammengetragen, analysiert, bewertet und kommen zum Schluss, am wirksamsten seien „sozial-kognitive Trainingsinterventionen“. Das heißt...

...bei dem anzusetzen, was das Individuum mitbringt. Es gibt verhaltenstherapeutisch basierte Konzepte, übrigens auch als App, die darauf zielen, den erwähnten Teufelskreis aufzubrechen, die Menschen wieder in die Lage versetzen, miteinander zu kommunizieren, sich nicht länger zurückzuziehen. Denn wer sich uninteressant fühlt, wird auch so wahrgenommen.

Ihr Vorschläge reichen von „Umarmvorhang“ bis „Hoffnungsbrief“...

Im Fokus stand, was man Institutionen empfehlen kann. Denn es gibt viele tolle Ideen. Aber nicht alle wirken Einsamkeitsgefühlen entgegen. Am Seniorenheim eine Besucherbox aufzustellen, klingt gut, reicht aber nicht. Gruppenzentrierte Ansätze wirken als besser die, die aufs Individuum zielen. In England gab es eine Studie zur Einsamkeit, in der in einem Altenheim verglichen wurde, ob die Bewohner mehr von gemütlichen Nachmittagen mit Schlagermusik oder Fotos-Gucken profitierten oder von kurzen Runden, in denen die Neugestaltung des Essensraums diskutiert wurde. Es waren letztere, eindeutig. Die Heime sollten daher nicht unbedingt darauf schauen, wie sie wieder mehr Besucher ins Haus bekommen, sondern wie sie den Alltag für die Bewohner trotz Corona gemeinsam gestalten können.

Ernst wird es bei Kontrollverlust

Und wenn ich allein lebe: Wie merke merke ich, dass ich ein ein ernstes Problem mit dem Alleinsein habe, dass ich vielleicht professionelle Hilfe benötige.

Einsamkeitsgefühle sind so normal wie Langeweile. Und ab und an gar nicht so schlecht. Aber wenn Sie ein Gefühl des Kontrollverlust entwickeln, wenn Sie meinen, Sie haben es gar nicht mehr in der Hand Kontakte herzustellen, dann brauchen sie Hilfe. Das Problem ist nur: Betroffenen sind dann auch nicht mehr dazu in der Lage, sie sich zu suchen… Weshalb man auch hierzulande mal über Einsamkeitsberater nachdenken könnte, die in England längst durch die Viertel ziehen und aktiv Hilfe anbieten. Oder über städtebauliche Konzepte, die Raum für Begegnung bei Neubauten mitdenken, oder über Wohnformen wie Mehrgenerationenhäuser… Das Problem hat nicht nur eine persönliche, sondern auch eine gesellschaftliche Ebene.

Aus dieser Warte betrachtet: Könnte es sogar hilfreich sein, dass Corona das Thema Einsamkeit verschärft?

Sicher, Corona wirkt wie ein Brennglas. Das Phänomen ist nicht neu, gehört zu unserem modernen Lebensstil. Aber vor einem Jahr hätten Sie mit mir darüber kein Interview geführt.

Werden nach der Pandemie aus all den Einsamen eigentlich plötzlich Partylöwen?

Nein. Das Problem wird bleiben. Aber viele werden überschäumend feiern, denke ich. Ich erwarte für den Sommer eine endlose Partyzeit.

>>>> INFO: Das Projekt (Gem)einsam durch Corona

Einsamkeit ist schädlicher als Rauchen, Fettleibigkeit und Bewegungsmangel lautete die Ausgangsthese der Fachhochschule Bielefeld für ihr Projekt „(Gem)einsam durch Corona“. Das Forscherteam um Prof. Sebastian Bamberg und den Sozialarbeitswissenschaftler Prof. Udo Sellmeyer studierte und analysierte die vorliegende Forschung, trug praktische Vorschläge zusammen, suchte fächerübergreifend nach Lösungsangeboten für die aktuelle Situation und bewertete sie: Am Ende entstand eine Website mit vielen kreativen, sehr konkreten Ideen: Das hilft gegen die Einsamkeit in Zeiten der Pandemie, so setzt man es um, und das bringt es. Zielpublikum sind sowohl Privatpersonen wie Pflegekräfte in Heimen.

Da wird etwa erklärt, was ein „Umarmvorhang“ ist (ein Duschvorhang mit angenähten Ärmeln zum kontaktlosen Knuddeln) und was er taugt (leider nicht wirklich viel); wie eine mobile Eisdiele funktioniert (schon besser) oder gemeinsamer Sport via Videochat (ziemlich gut). Es geht um digitale Kommunikation und Ideen, die Gruppenerlebnisse auch unter Corona-Bedingungen möglich machen. Die Wirkung von Hofkonzert, Orgel-Lkws (!) und Video-DJs wurde untersucht, aber auch bewährte, nur langsam vergessene Wege, miteinander in Kontakt zu bleiben: das Briefe schreiben etwa. Hilft übrigens richtig gut gegen die Einsamkeit, sagen die Experten.

Eine letzte, süße Idee soll zudem nicht unerwähnt werden, obwohl sie bei der Experten „durchfiel“: Weitergabe von Rezepten, nennen sie es unter der Überschrift „Gemeinschaft geht durch den Magen“. Und so funktioniert’s: Die Oma verrät dem Enkel eines ihrer Lieblingsrezepte, etwa das für ihre heiß begehrten Plätzchen. Der Junge backt sie und schickt der Oma via Post ein Paket zur Probe-Verkostung. Wenn das nicht tröstet und verbindet, was dann?

Mehr Infos und weitere konkrete Tipps unter www.einsam-durch-corona.de