Ruhrgebiet. Ab sofort darf wieder geshoppt werden: Erste Geschäfte öffneten Montag für Kunden mit Termin. Und hängten ihr Gefühl ins Schaufenster: „Endlich!“

Sie haben die Freude ins Schaufenster gehängt. „ENDLICH“ steht in Großbuchstaben vor der Damenmode, „Wir dürfen wieder!!!“ mit drei Ausrufezeichen bei der Konkurrenz, „Wir freuen uns auf euch!“ drei Geschäfte weiter. Am Montag öffnen fast alle Einzelhändler wieder für ihre Kunden, nur mit Termin, aber immerhin: Aus „Click and Collect“ wird „Click and Meet“ – Bescheidsagen muss man immer noch, aber statt „Abholen“ ist jetzt „Treffen“ erlaubt. Mit echten Menschen und Gesprächen.

Zwölf Wochen Pause, da haben sie es glatt verlernt. „Wie geht das noch mal, Bummeln?“, fragt die erste Kundin am Montagmorgen, dabei ist „Bummeln“ schon etwas viel verlangt in der kleinen Boutique in Essen-Werden. Aber im „Freudenhaus“ – was für ein Name zum freudigen Ereignis! – können sie Blusen, Kleidern, Hosen ab heute wieder persönlich begegnen, dürfen anfassen, anprobieren, fühlen. Und wäre das Wetter nicht eher winterlich, es wäre zugleich der pure Frühling: Leichte Stoffe, frische Farben, das Land lockert sich, auch in der Mode.

„Die Leute sind verrückt nach schöner Ware“

„Sie dürfen wieder reinkommen!“ Birgit Vossmann in Essen-Werden.
„Sie dürfen wieder reinkommen!“ Birgit Vossmann in Essen-Werden. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

„Die Sucht ist da“, hat Chefin Birgit Vossmann schon am Donnerstag geahnt, als die neue Corona-Schutzverordnung noch gar nicht in Buchstaben gegossen war. „Die Leute sind verrückt nach schöner Ware.“ Sie habe ja auch nichts ausgeben können, sagte ihr eine Frau am Telefon, das spätestens seit Freitag dauerklingelte: Kundinnen machten Termine, gleich Montag um zehn, bitte, danach im Halb-Stunden-Rhythmus.

Und trotzdem schießt Birgit Vossmann jetzt schon wieder zur Ladentür, ein Keil hält sie einen Spalt offen: „Sie dürfen ruhig reinkommen, ich habe noch einen Termin frei!“ Frauen, sagt sie, schlendern ja einfach vorbei und schauen, Männer, das weiß sie aus eigener Erfahrung mit der Herrenmode („Männersache“) ein paar Häuser weiter, planen mit Terminkalender. Aber immerhin sind wieder Menschen da; „gut“, sagt Leni Fiedler, 77, „dass wieder Leben in der Stadt ist.“

Suchen und Buchen am ersten Tag: Noch haben nicht alle Geschäfte offen

Endlich wieder anprobieren: Inhaber Onur Canbaz (r.) hilft im Mülheimer Modegeschäft Hardes einem Kunden in ein Sommerjackett.
Endlich wieder anprobieren: Inhaber Onur Canbaz (r.) hilft im Mülheimer Modegeschäft Hardes einem Kunden in ein Sommerjackett. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Nun hält sich das noch etwas in Grenzen, noch machen nicht alle Geschäfte mit. Manche der großen, heißt es, mussten erst ihr Personal aktivieren, ein Terminsystem aus dem Boden stampfen, die Handynummer des Inhabers reicht da nicht. Immerhin, meldet der Handelsverbands Nordrhein-Westfalen, wollen 95 Prozent aller Einzelhändler mitmachen, vielleicht noch nicht heute, aber noch in dieser Woche. Allerdings erwartet nur etwas mehr als die Hälfte, dass sich das auf die Umsätze positiv auswirkt. In Werden hängt an manchen Läden noch das „Click and Collect“ an der Tür, drinnen ist das Licht aus. Es ist ein Suchen und Buchen am ersten Tag: Wer hat offen, wer noch nicht?

In Gelsenkirchen hat Sedad Abdulla Erfolg: Er steht mit einer vollen Einkaufstüte vor einem Modegeschäft: „Es war sehr nötig, ich brauchte neue Kleidung“, sagt er mit einem Lachen. Im Modehaus Schmitz freut sich Inhaber Roman Schmitz über die Öffnung: „Die Kunden und wir haben darauf hingefiebert.“ Man habe Kompetenz vor allem bei der Beratung, „wir freuen uns, dass wir das wieder ausspielen können“. Ob der Termineinkauf die Einzelhändler allerdings rettet, ist umstritten. Man könne die Verluste der Vormonate nicht wieder reinholen, sagt der Gelsenkirchener Buchhändler Dirk Niewöhner. „Das Geld ist einfach weg.“

Eintrag auf einer Adressliste ist Pflicht für alle Kunden

Nicht nur an der Ladentür, auch wieder drinnen: Der Einzelhandel darf wieder verkaufen.
Nicht nur an der Ladentür, auch wieder drinnen: Der Einzelhandel darf wieder verkaufen. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

In Duisburg vergibt Tedi Termine an der Ladentür, 15 Minuten müssen reichen für Rein und Raus, Saturn erhöht auf 20 Minuten. In Recklinghausen, Bochum und Gelsenkirchen bilden sich vor größeren Läden lange Schlangen. Zara verlangt Kontaktaufnahme online, bei H&M geht der Server in die Knie, der Kaufhof macht alles möglich: QR-Code, Telefon, Internet, Pappkärtchen am Eingang. Registrieren muss sich jeder, im „Freudenhaus“ ist die Adressliste am Mittag sieben Kunden lang.

Nummer sechs ist eine Frau, die gar nichts gekauft hat, aber mal eben Dampf abgelassen: Dass sie sich hier eintragen muss, obwohl sie zu zweit im Laden sind! „Im Supermarkt ist Gedränge, aber nach deiner Adresse fragt dich da keiner. Es ist nicht zu verstehen.“ Aber in der Boutique Pflicht, sei’s drum.

Neue Kleider endlich wieder anfassen: „Dann haste was in der Hand“

Leni Fiedler schreibt ihren Namen schon früh auf den Bogen an der Kasse, sie sagt, dieser Montag sei ihr „Erlebnistag“: Es hat ihr vor allem „das Menschliche gefehlt“. Eine rosa gemusterte Hose sucht sie sich aus, nebst passendem Pullover, endlich wieder nach persönlicher Beratung. Natürlich war sie auch im Internet, „das muss man ja“, aber jetzt: „Das kann man wenigstens anfassen“, sagt die 77-Jährige und knautscht eine Handtasche, dass das Papier darin raschelt. „Dann haste mal was in der Hand.“

Birgit Vossmann hat in den vergangenen Wochen auch an der Tür Ware ausgegeben, sie hat sich ein bisschen erkältet dabei, und „Spaß hat das nicht gemacht“. Aber immerhin. Das Telefon klingelt, eine Frau hat einen Gürtel im Fenster gesehen, dazu eine Tasche in Pink. „Sie können auch gern kommen“, sagt Birgit Vossmann. Viertel vor fünf, die Kundin ist sprachlos vor Freude über die neuen Möglichkeiten. Eine andere nutzt eine zeitliche Lücke, streift staunend vorbei an den Kleiderständern voll Frühlingspastell. „Was suchen Sie denn?“ Die Frau strahlt: „Gar nichts.“

>>INFO: SO FUNKTIONIERT „CLICK AND MEET“

Seit Montag dürfen die Geschäfte in NRW Kunden nach vorheriger Anmeldung („Click and Meet“) und in begrenzter Zahl wieder bedienen – wenn in den jeweiligen Städten und Kreisen die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen 7 Tagen unter der Marke 100 liegt.

Bund und Länder hatten sich am Mittwoch auf dem Corona-Gipfel über das weitere Vorgehen in der Pandemie verständigt. Möglich ist nun „die Öffnung des Einzelhandels für sogenannte Terminshopping-Angebote“, also „Click and Meet“.

Es gilt allerdings weiterhin die Maskenpflicht, die Einkaufszeit soll begrenzt werden. Pro angefangene 40 Quadratmeter Verkaufsfläche darf ein Kunde einkaufen. Die Kontaktdaten zur Nachverfolgung von Infektionsketten müssten im Geschäft hinterlegt werden.