Dortmund. Jedes Wochenende ist die Polizei in Dortmund im Großeinsatz gegen Raser auf dem Wall. Warum die Szene trotzdem immer wieder kommt.

Die einen kommen schon in Zeiten, da ist Corona nur ein Bier. Die anderen sind relativ neu dabei auf der blechernen Party, die jedes Wochenende am Wall in Dortmund steigt. Sie lärmen, sie rasen, sie feiern. „Nix Wildes“, sagen sie. „Unerträglich“ nennen es die Anwohner. Seit Wochen ist die Polizei dort deshalb jeden Freitag und Samstag im Großeinsatz, verteilt Platzverweise, erstattet Anzeigen, zieht Autos aus dem Verkehr. Beenden können sie den nächtlichen Radau bisher nicht.

500 PS sind keine Seltenheit mehr

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„Die Szene hat sich verändert“, sagt Falko Haarhaus, Erster Polizeihauptkommissar und Leiter der Verkehrsinspektion 1 in Dortmund. Vor allem hat sie sich aufgespalten. „Wir unterscheiden mittlerweile Poser, Dater, Tuner und Raser.“ Wobei die Grenzen teilweise fließend sind. Die Raser machen der Polizei die größten Sorgen. „Höchst gefährlich“ nennt Haarhaus die jungen Männer mit ihren leistungsstarken Autos. „500 PS sind längst keine Seltenheit mehr.“

Hunderte junge Leute treffen sich jedes Wochenende in Dortmund. Die Polizei ist stets mit dabei.
Hunderte junge Leute treffen sich jedes Wochenende in Dortmund. Die Polizei ist stets mit dabei. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Mit ihnen kommen sie nach Dortmund, kommen zum Wall. Früher mal die ringförmige Stadtbefestigung, heute mit bis zu vier Spuren auf jeder Seite eine der Hauptverkehrsstraßen Dortmunds – eine Art Nürburgring für Amateure. Verabredet wird sich im Netz, Kontakt unterwegs über das Smartphone gehalten.

Polizei: „Fahrer sind völlig überfordert“

Langsam rollen dann immer wieder zwei oder drei Autos an eine rote Ampel. Kaum wird es gelb, treten die Fahrer das Gaspedal ins Bodenblech. Immer wieder kommt es auch zu „Einzelrennen“. „Da will dann einer testen, wie schnell das Fahrzeug beschleunigen oder welche Geschwindigkeit zwischen den Ampelphasen erreicht werden kann “, weiß der Erste Polizeihauptkommissar. Für ihn ein „höchst riskantes, gänzlich unkalkulierbares und zudem verbotenes Verhalten“.

„Völlig überfordert“ seien die jungen Männer mit der Leistungsfähigkeit ihres rasenden Untersatz, hat Haarhaus immer wieder vor Ort festgestellt.

Mehrere schwere Unfälle in den vergangenen Monaten

„Die merken gar nicht, dass sie ihre Autos gar nicht im Griff haben.“ „Kontrollillusion“ nennt das ADAC-Verkehrspsychologe Ulrich Chiellino. „Die Fahrer blenden den Faktor Zufall aus und sind überzeugt, dass sie das Risiko beherrschen und glauben, da passiert schon nichts.“ Ein Irrtum, wie mehrere schwere Unfälle in den vergangenen Monaten gezeigt haben.

Schleichen statt rasen. Direkt auf dem Wall kontrollieren die Polizisten.
Schleichen statt rasen. Direkt auf dem Wall kontrollieren die Polizisten. © dpa | Bernd Thissen

Auch deshalb ist Tempo 30 eingeführt worden am Wall. Und das wird kontrolliert. Meist mit Großeinsätzen. Auf verengten Fahrbahnen mit Tempogrenze 10 Km/h oder dem langgezogenen Parkplatz, den die Szene „Boxengasse“ nennt. Dabei erfahren die Beamten dann auch, wem die PS-Boliden gehören. In vielen Fällen sind das Leasing-Unternehmen oder Mietwagenfirmen. Was die jungen Männer nicht daran hindert, auf Fotos im Netz in und vor dem Wagen in die Handykamera zu strahlen oder mit röhrendem Motor und gigantischer Soundanlage dem anderen Geschlecht zu imponieren.

Prahlerei im Internet

Mehr Schein als Sein also. Aber das stört die meisten nicht. „Mal so einen Wagen zu fahren, löst bei manchen Menschen ein echtes Glücksgefühl aus“, sagt Chiellino. „Vor allem, wenn man sich in einem Milieu bewegt, in dem Autos einen hohen Stellenwert haben.“ Prahlerei im Netz mit fremden Autos interessiert die Polizei eher nicht. Sie sieht ein ganz anderes Problem durch leasen und mieten. „Wenn einem etwas nicht gehört, ist es vielen auch egal was damit passiert.“ Wer früher Wochen oder Monate lang Geld und Zeit in sein Fahrzeug steckte, weiß Haarhaus, „der ging damit sehr vorsichtig um. Das ist heute durchaus anders.“

Viele langweilen sich in Zeiten von Corona

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Warum die Szene nach Dortmund kommt, kann Haarhaus schnell erklären. „Gut zu erreichen, und wenn kein Corona ist, gibt es auch ein großes Unterhaltungsangebot.“ Warum sie in diesen Wochen aber immer wieder kommen, obwohl die Polizei ihnen auf den breiten Reifen steht, ist schwieriger zu erklären. „Langeweile“, bieten viele der Kontrollierten den Beamten als schlichte Antwort an.

Chiellino ist allerdings überzeugt, dass noch mehr dahinter steckt. Da sei zum einen der der „Reiz des Verbotenen“. „Jede Szene lebt auch vom Druck von außen.“ Außerdem so der Psychologe, fehle vielen jungen Leuten das Unrechtsbewusstsein. „Der Kopf sagt nicht, dass es falsch ist, was man da macht.“

„Dann kommt plötzlich das große Erwachen“

Zumindest sagt er es lange Zeit nur sehr leise. Erste Ansprachen bewirken oft nur wenig, bestätigt Haarhaus. Werden aber Führerscheine kassiert und/oder Fahrzeuge eingezogen, ändere sich das schlagartig. „Dann kommt plötzlich das große Erwachen.“ Die Polizei in Dortmund will dann auch nicht aufhören mit ihren Weckrufen. „Wir reden nicht von Kavaliersdelikten“, stellt Haarhaus klar. Deshalb werden wir konsequent weiter kontrollieren, bis das auch der letzte begriffen hat.“