Ruhrgebiet/Düsseldorf. Ob es nur der Skandal um Kardinal Woelki ist? Wer aus der Kirche austreten will, wartet im Ruhrgebiet bis zu drei Monate auf einen Termin.

Der Skandal um Kardinal Rainer Maria Woelki ist für sie der vielzitierte Tropfen im Fass: Andrea Kramer (45, Name geändert) will raus aus der Kirche, es reicht ihr. Endgültig. Die spannende Frage: Wann bekommt sie einen Termin beim Amtsgericht Düsseldorf, um ihren Entschluss zu Papier zu bringen? „Das ist ja fast, als wollte man sich eine Karte für ein Popkonzert bestellen, wo jeder hin will“, erzählt sie, nachdem sie mal wieder im Internet gescheitert ist -- als die Behörde Resttermine eingestellt hat. Auch die sind ruckzuck ausgebucht.

Es kehren womöglich wieder mehr Menschen der Kirche den Rücken in diesem Jahr als 2020.
Es kehren womöglich wieder mehr Menschen der Kirche den Rücken in diesem Jahr als 2020. © dpa | Ingo Wagner

Düsseldorf hat schon aufgestockt, bietet mittlerweile rund 340 Termine im Monate, es reicht offenbar nicht immer, der Stau ist unübersehbar. Und der Hinweis aus dem Amtsgericht, dass man übrigens auch zum Notar gehen könne, um die Formalitäten zu erledigen, kommt nicht von ungefähr. Genau das macht Andrea Kramer schließlich. Kostet am Ende 70 Euro statt 30, dafür beglaubigt der Notar ihre Unterschrift (20 Euro extra) und schickt den Antrag ab (weitere 20 Euro).

In Köln brach der Server wegen Woelki zusammen

In Köln, dem Epizentrum der Bistumskrise, brach der Server für den Buchungsservice im Netz unlängst zusammen, mehr Symbolkraft lässt sich für die Zerstörungskraft der Woelki-Debatte wohl kaum finden. „Wir hatten zeitgleich rund 5000 Zugriffsversuche“, berichtete da ein Sprecher des Amtsgerichts, so etwas habe es, solange er sich zurückerinnern könne, noch nicht gegeben. 1500 Termine stehen in Köln monatlich zur Auswahl, mehr als irgendwo sonst in Nordrhein-Westfalen.

Eine 89-jährige Kölnerin lässt sich in der „FAZ am Sonntag“ mit dem Satz zitieren, das Bistum habe ihr „stufenweise den Hals gebrochen“, es sei eine Geschichte von „Ernüchterung und Enttäuschung“ – es fasst die Stimmung bei austrittswilligen Katholiken vermutlich gut zusammen. Pfarrer berichten von zermürbten und entsetzten Gläubigen in der Domstadt. Und Kölns Stadtdechant Robert Kleine, oberster Repräsentant der katholischen Kirche in der Stadt, hat tatsächlich gesagt, er könne derzeit niemandem einen Austritt aus der Kirche verdenken.

Bochum hat erst im Mai wieder Termine frei

Das Rheinland rumort – und das Ruhrgebiet?

Die Kirche erlebt schwere Zeiten.
Die Kirche erlebt schwere Zeiten. © dpa | Julian Stratenschulte

Auch hier geht die Zahl der Kirchenaustritte vermutlich wieder hoch, wenn man die Eindrücke in den Gerichten sammelt. „Wir sind bis Anfang Mai ausgebucht“, antwortet Bochums Amtsgerichtsdirektor Oliver Hoffmann auf die Frage nach Terminen. Die Januar-Zahlen für Austritte lägen deutlich über denen im Januar 2020. „Und das“, unterstreicht Hoffmann, „war ja noch vor Corona.“ Er gehe davon aus, „dass wir uns wieder auf das Niveau von 2019 zubewegen.“

2019 traten laut Justizministerium mehr als 120.000 Menschen in NRW aus der Kirche aus, ein Rekordwert, der die bis dahin geltende Höchstmarke von 2018 um ein Drittel übertraf. Im vergangenen Jahr kehrten knapp 90.000 Menschen der Kirche offiziell den Rücken. Im Lockdown reduzierten die Gerichte das Angebot allerdings auch deutlich, was die Zahlen zum Teil erklären dürfte.

310 Austritte in Dortmund seit Jahresbeginn

Bitte warten: eine Wartenummer für den Antrag auf den Austritt aus der Kirche beim Amtsgericht.
Bitte warten: eine Wartenummer für den Antrag auf den Austritt aus der Kirche beim Amtsgericht. © dpa | Oliver Berg

„Ein Anstieg von Anfragen ist spürbar“, sagt Dortmunds Amtsgerichtssprecher Michael Tebbe, vor Mai gibt es keine Chance, seinen Antrag vor Ort zu stellen. Dass man nur acht Austrittswillige pro Tag bediene, liege an der Corona-Lage. „Früher haben wir das im Zehn-Minuten-Rhythmus gemacht, heute lassen wir eine halbe Stunde Luft“, sagt Tebbe und erklärt: „Wir wollen ja nicht, dass sich Menschen auf den Fluren begegnen.“ Bis 22. Februar habe man 310 Austritte für dieses Jahr registriert. Tebbe: „Fünfzig Prozent mehr als letztes Jahr.“

Essen bearbeitet zehn Anträge pro Tag

Tebbes Kollege Michael Schütz vom Amtsgericht Essen stützt die Dortmunder Sicht. „Nach subjektiver Einschätzung gibt es eine verstärkte Nachfrage seit Dezember, Januar“, teilt er schriftlich mit. Termine bis Ende April habe man vergeben, zehn Anträge würden pro Tag aufgenommen und bearbeitet. In Oberhausen ist die Lage offenbar etwas entspannter, ab April sind Termine frei, heißt es beim Gericht. Auch Duisburg gibt Entwarnung: „Derzeit gestaltet sich hier die Terminvergabe – abgesehen von den pandemiebedingten Einschränkungen – grundsätzlich unproblematisch“, schreibt Gerichtssprecher Rolf Rausch.

Ob noch etwas zu kitten ist, wenn der Kölner Kardinal Woelki im März tatsächlich ein neues Gutachten über den Umgang des Bistums mit sexualisierter Gewalt vorstellt? Für Andrea Kramer aus Düsseldorf, die nun aus der Kirche ausgetreten ist, gewiss nicht: „Diese Entscheidung mache ich bestimmt nicht mehr rückgängig.“

>>> INFO: Warum kostet der Kirchenaustritt Gebühren?

Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass Gebühren für den Austritt aus der Kirche zulässig sind. Die Richter erklärten, dass der Austritt ein staatliches Verwaltungsverfahren in Gang setze. Dieses sei erforderlich, weil die Kirchensteuern vom Staat erhoben werden. Zudem verlangen viele Kommunen keine oder nur ermäßigte Gebühren, wenn ein Antragsteller bedürftig ist (Urteil vom 02.07.08, Az. 1 BvR 3006/07). In den Stadtstaaten Berlin und Bremen sowie in Brandenburg ist der Austritt kostenlos.