Dortmund. Zur Zeit können die Gesundheitsämter die Infektionsketten wieder nachverfolgen. Was aber, wenn die Inzidenz erneut steigt?

Sie atmen durch, sie atmen noch nicht auf. Ja, die Inzidenzzahlen sind soweit gesunken, dass die Gesundheitsämter derzeit wieder alle Infektionsketten nachverfolgen können. Aber was ist, wenn die Zahl der Infizierten sich durch die Mutationen wieder explosionsartig erhöht? „Wir sind viel besser vorbereitet als im Herbst“, sagt Frank Renken. Leiter des Gesundheitsamtes Dortmund. Im November aber, gibt er unumwunden zu, „hatten wir die Kontrolle verloren. Und das wird in keinem Gesundheitsamt der Umgebung anders gewesen sein.“

Der Einsatz der Bundeswehr war extrem hilfreich

Bis zu einer Inzidenz von 100, hatte Renken beim Einzug der Bundeswehr ins Dortmunder Gesundheitsamt im Oktober 2020 geschätzt, könne man Corona-Infektionsketten noch nachverfolgen. „Die Soldaten haben uns auch massiv geholfen“, blickt er zurück. Genau wie „Aushilfen“ aus anderen Ämtern und zusätzlich eingestelltes Personal. Irgendwann aber lag die Inzidenz bei 230 (Text-Link). „Das war damals dann trotz des hohen Personaleinsatzes nicht zu schaffen.“

Und der Leiter des Gesundheitsamtes erklärt auch warum. In den schlimmsten Wochen habe man 2000 Personen pro Tag kontaktieren müssen. Besetzt, nicht erreichbar, der deutschen Sprache nicht mächtig – „längst nicht jeden erreichen sie mit dem ersten Anruf.“ Aber der zweite, dritte oder gar vierte Versuch kosten Zeit. Und die ist bei der Kontaktverfolgung ohnehin schon knapp. „In der Regel“, so Renken, „sind damals drei bis vier Tage vergangen, bevor ein Mensch mit Symptomen die Bestätigung hatte, dass er Corona-Positiv (Text-Link) ist und wir von ihm erfahren haben. Erreicht man dann seine Kontakte erst einen oder zwei Tage später, ist nicht mehr viel zu machen.“

Teile der Bevölkerung kann man nicht erreichen

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Einen „nennenswerten Teil“ der Bevölkerung habe man allerdings grundsätzlich nicht erreichen können. Menschen mit Migrationshintergrund, die weder deutsche Zeitungen lesen noch deutsches Radio hören. „In der türkischen Community ist das kein großes Problem.“ Aber je kleiner die Bevölkerungsgruppe sei, desto größer sei das Bedürfnis, sich nur aus Heimatmedien zu informieren. „Dort erfährt man aber nicht, was in Dortmund wichtig ist.“

Zum Beispiel wie ernst die Lage ist in der Stadt, in der man lebt. „Im November war es sehr schlimm, sagt Renken. „Ohne Lockdown wäre es noch schlimmer geworden.“ Mit Schließung der Schulen und Geschäfte aber kehrt die Kontrolle über die Infektionsketten im Dezember zurück. Natürlich kennt Renken alle Probleme, die solche Schließungen mit sich bringen. Aber, sagt er, „im Lockdown wird die Welt überschaubarer“.

Das Wissen ist größer geworden

Kurz vor den ersten Lockerungen ist die Inzidenz in Dortmund am Dienstag erstmals wieder auf unter 50 gesunken. Das Personal im Gesundheitsamt ist wieder reduziert, aber immer noch stärker als vor der Pandemie. Derzeit können Renkens Mitarbeiter nicht nur Infektionsketten nachverfolgen, sie können sogar untersuchen, warum es an lokalen Hotspots zu Ausbrüchen gekommen ist.

Frank Renken: „Sind besser vorbereitet als im Herbst.“
Frank Renken: „Sind besser vorbereitet als im Herbst.“ © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Renken weiß, dass sich das durch die verstärkt auftretenden Mutationen alles schnell wieder ändern kann. „Aber“, sagt er, „grundsätzlich sind wir besser vorbereitet, als im Herbst.“ Die Bevölkerung wohl auch. „Das Wissen ist größer geworden, die Menschen werden schlauer.“ Oft wissen sie bei ersten Anzeichen einer Infektion, was sie tun und was besser lassen sollten. Und immer wieder haben sie sich schon Gedanken über mögliche Kontaktpersonen gemacht und eine Liste zusammengestellt, wenn das Amt anruft. „Das hilft“, weiß Renken.

Software wurde mehrfach verbessert

Genau wie die Technik im Amt. Dort soll eine spezielle Software namens „Sormas“ künftig bei der Identifizierung und Überwachung von Kontaktpersonen helfen. Wiederholt nachgebessert macht sie mittlerweile Mehrfacheingaben von Daten überflüssig. Demnächst soll sie zudem den Informationsfluss zwischen einzelnen Gesundheitsämtern erleichtern.

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Stand jetzt, glaubt Renken, könne man im Dortmunder Gesundheitsamt die Infektionsketten bis zu einer Inzidenz von 250 nachverfolgen, selbst wenn die Zahlen schnell steigen sollten. „Wir haben mittlerweile Leute, die wir nicht mehr einarbeiten müssen.“ Irgendwann aber, ist er sicher, helfe es nicht mehr, das Personal immer weiter aufzustocken. „Mit telefonieren alleine ist es ja nicht getan.“ Verbindungen müssen gezogen und abgefragt, Zusammenhänge hergestellt werden, an die die Betroffenen oft selber nicht denken. Renken: „Dafür brauchen sie Leute mit jahrelanger Erfahrung im Gesundheitswesen, das lernen Sie nicht in ein paar Monaten.“