Köln/Düsseldorf. Nach Vertuschungsvorwürfen gegen den Kölner Erzbischof Rainier Woelki ist jetzt der Vatikan am Zuge. Woelki räumte am Freitag Versäumnisse ein.

Nach Vertuschungsvorwürfen gegen den Kölner Kardinal Rainer Woelki will dieser nach Angaben des Erzbistums nun den Papst um eine Prüfung bitten. Woelki hatte im Jahr 2015 Missbrauchsvorwürfe gegen einen Düsseldorfer Pfarrer aus seinem Zuständigkeitsbereich nicht dem Vatikan gemeldet. „Um die gegen mich erhobenen kirchenrechtlichen Vorwürfe zu klären, bitte ich den Heiligen Vater um eine Prüfung in dieser Frage“, sagte Woelki nun nach Angaben des Erzbistums vom Freitag.

„Es bleibt dabei: Versäumnisse im Umgang mit sexualisierter Gewalt müssen offengelegt werden, unabhängig davon, gegen wen sie erhoben wurden. Dies bezieht auch mich ein.“ Zuvor hatte der „Kölner Stadt-Anzeiger“ berichtet.

Woelki soll Missbrauchs-Verdacht vertuscht haben

Das Erzbistum hatte laut Bericht am Donnerstag bestätigt, dass Woelki den Vorwurf des Kindesmissbrauchs gegen den Priester seinerzeit nicht nach Rom weitergegeben hatte. Betroffen von den Vorwürfen ist auch Woelkis Vorgänger, Kardinal Joachim Meisner.

Zur Begründung hieß es in der Mitteilung des Erzbistums von Freitag, der Gesundheitszustand des mittlerweile verstorbenen Geistlichen in Düsseldorf habe damals eine weitere Untersuchung des Falls verhindert. Zudem habe der Anzeigenerstatter deutlich gemacht, dass er sich nicht weiter zu der Sache äußern wolle. „Dies führte dazu, dass die Einleitung einer kanonischen Voruntersuchung und damit auch eine Meldung an die Glaubenskongregation unterblieben ist“, erklärte das Erzbistum.

Erzbistum Köln: Rom muss Fall jetzt prüfen

„In der kirchenrechtlichen Bewertung dieses Sachverhalts gibt es in der Berichterstattung der vergangenen Tage verschiedene Rechtsauffassungen in der Frage, ob dennoch eine kanonische Voruntersuchung hätte durchgeführt werden müssen, deren Ergebnis dann an die Glaubenskongregation hätte gemeldet werden müssen“, teilte das Erzbistum mit. Als Konsequenz schalte Woelki nun Papst Franziskus ein. Sobald eine Prüfung in Rom erfolgt sei, werde das Erzbistum dies öffentlich mitteilen.

Bei den Vorwürfen geht es um die Tat eines Priesters in späten 1970er-Jahren. Das Opfer, damals ein Junge im Kindergartenalter, habe den Missbrauch im Jahr 2010 beim Bistum mittels einer Mail angezeigt. Zugleich wollte das Opfer aber weder eine kirchenrechtliche noch eine strafrechtliche Anzeige erstatten, so Kirchenkreise.

Woelki soll kirchenrechtliche Voruntersuchung gestoppt haben

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Der mutmaßliche Täter war ein alter Bekannter Woelkis, bei dem dieser zeitweise als junger Priesteranwärter in Köln arbeitete. Als die Mail des Opfers 2010 eintraf, war Woelki bereits zum Weihbischof in Köln aufgestiegen. Er gehörte also zur engeren Führungsriege, der damals Joachim Kardinal Meisner vorstand, und hätte somit von den Vorwürfen wissen müssen. Woelki selbst wurde 2014 Erzbischof von Köln.

Nach Darstellung des „Kölner Stadt-Anzeiger“ soll Woelki im Jahr 2015 nach Sichtung von Personalunterlagen verfügt haben, dass den einschlägigen Missbrauchsvorwürfen gegen den 1929 geborenen Pfarrer Johannes O. nicht weiter nachgegangen, keine kirchenrechtliche Voruntersuchung eingeleitet und der Fall nicht an den Apostolischen Stuhl in Rom gemeldet wurde. Und das mit der Begründung, dass der Pfarrer „nicht vernehmungsfähig“ gewesen sei. Ein solches Agieren von Bischöfen wäre eine kanonische Straftat mit Sanktionen im Höchstfall bis zur Amtsenthebung.

Kölner Erzbischof Woelki war bei beschuldigtem Pfarrer einst Diakon

Bemerkenswert: Woelki hatte, mutmaßlich in Kenntnis der Vorwürfe, den Verdächtigen noch 2012 zu seiner Kardinalsfeier nach Rom eingeladen, so Kirchenkreise.

Das Erzbistum erklärte auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“, Woelki habe versucht, den konkreten Tatvorwurf recherchieren zu lassen. Der „sehr verschlechterte Gesundheitszustand“ von Pfarrer O. sowie die Entscheidung des Opfers, nicht an der Aufklärung mitwirken und sich keiner Konfrontation mit dem Beschuldigten aussetzen zu wollen, hätten die Einleitung einer kanonischen Voruntersuchung unmöglich gemacht. Dazu sagte der Tübinger Kirchenrechtler Bernhard Anuth dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, das Kirchenrecht biete keinen solchen Ermessensspielraum.

Woelki kannte den 2017 in Düsseldorf gestorbenen O. seit seiner Ausbildungszeit zum Priester. In den Jahren 1983/84 war er als Praktikant und Diakon in O.s Pfarrgemeinde Sankt Katharina tätig. Danach blieb er dem Pfarrer über Jahrzehnte eng verbunden. Von den Vorwürfen gegen O. erfuhr er nach Bistumsangaben in „allgemeiner“ Form bereits 2011 als für Düsseldorf zuständiger Weihbischof.

Kirchenrechtler: „Unentschuldbare Verfehlung im Amt“

Kardinal Meisner unterließ schon damals Schritte, die das Kirchenrecht und die bischöflichen Leitlinien zum Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs vorschreiben. Das Bistum erklärte dazu, der Gesundheitszustand von Pfarrer O. sowie der Wunsch des Opfers hätten eine Konfrontation O.s mit den Vorwürfen verhindert.

Die Tat selbst datiert laut „Kölner Stadt-Anzeiger“ in die späten 1970er Jahre. Das Opfer war ein Junge im Kindergartenalter. Nach heute geltendem Strafrecht hätte der Täter wegen der Schwere des Verbrechens im Fall einer Verurteilung vor einem staatlichen Gericht mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren zu rechnen gehabt.

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Das Opfer zeigte den Missbrauch 2010 beim Erzbistum Köln an. Nach Prüfung des Falls zahlte das Erzbistum ihm eine Summe von 15.000 Euro - das Dreifache der sonst üblichen 5000 Euro. Dies zeigt, dass die zuständigen Stellen den Fall als besonders gravierend ansahen.

Laienorganisation fordert Einschreiten aus Rom

Anuth sagte, generell sei jede Vertuschung eines Missbrauchsfalls durch den Ortsbischof seit Juni 2019 in Rom meldepflichtig und müsse in einem eigenen kirchlichen Ermittlungsverfahren untersucht werden. Anuths Münsteraner Kollege Thomas Schüller von der Universität Münster sagte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, so wie das Erzbistum selbst die Abläufe und Entscheidungen Woelkis darstelle, habe es sich um eine „unentschuldbare Verfehlung im Amt“ gehandelt.

Die katholische Laienorganisation „Wir sind Kirche“ zeigt sich angesichts der Vorwürfe entsetzt: „Wir beobachten die hochdramatischen Vorgänge von Köln mit großer Sorge. Das Verfahren dort ist höchst undurchsichtig und nicht nachvollziehbar“, sagte Sprecher Christian Weisner auf Anfrage unserer Redaktion.

Er verwies bei der Frage nach möglichen Konsequenzen wie einem Rücktritt darauf: „Auch für Woelki gilt die Unschuldsvermutung: Aber er hatte den großen Aufklärer gegeben, nun sollte er sich an seinen Worten messen lassen.“ Weisner forderte für „Wir sind Kirche“ ein Einschreiten Roms: „Es wird höchste Zeit, dass der Vatikan sein Augenmerk auf die Vorgänge in Köln richtet, damit die Regeln im Umgang mit solchen Missbrauchsvorwürfen eingehalten werden. Wir brauchen eine von Rom überwachte Untersuchungskommission.“ (dpa/mi)