Ruhrgebiet. Ohne sie läuft nichts im Land. Warum Trucker im Lockdown light trotzdem von vielen so schlecht behandelt werden.

Sie versorgen das Land, aber sich selber können sie immer öfter kaum noch versorgen. Und viele Disponenten und Lagerarbeiter sehen sie am liebsten von hinten. Der zweite Lockdown trifft die Berufskraftfahrer im Land offenbar noch schlimmer als der erste. „Die Stimmung“, weiß Jörg Schwerdtfeger, „wird immer schlechter. Viele fühlen sich wieder behandelt wie Aussätzige.“

Schwerdtfeger kann das beurteilen. 17 Jahre war er selber Berufskraftfahrer, seit einigen Jahren ist er Personalmanager einer großen Spedition in Herford und zuständig für mehr als 156 Fahrer. Gleichzeitig hat er die Initiative „Ich bin Berufskraftfahrer und habe Respekt verdient“ ins Leben gerufen– Facebook-Gruppe inklusive. „Ich höre jeden Tag, was draußen los ist.“

Nur Essen To Go an der Raststätte

Tanken und parken sind erlaubt an den Raststätten. Essen gibt es aber nur zum mitnehmen.
Tanken und parken sind erlaubt an den Raststätten. Essen gibt es aber nur zum mitnehmen. © www.blossey.eu | Hans Blossey



Die Probleme beginnen schon entlang der Autobahn. Zwar erklärt die Autobahn Tank & Rast Gruppe auf Anfrage, alle ihre Tankstellen seien geöffnet – Kaffee und Snacks gebe es aber wie vom Gesetz vorgeschrieben nur zum Mitnehmen. „Ein Brötchen auf die Hand in deinem Lkw, das ist natürlich genau das, was du dir wünscht, wenn du den ganzen Tag auf dem Bock gesessen hast“, spottet ein Fahrer im Netz und wünscht sich „mal wieder vernünftig zu essen“.

Doch das ist zumindest entlang der Autobahnen in NRW derzeit nicht möglich. Anders als etwa in Hessen oder Baden-Württemberg, dürfen die Autohöfe an Rhein und Ruhr nur „Mahlzeiten to go“ anbieten. „Wir hoffen, dass sich das schnell wieder ändert“, sagt Alexander Quabach, Geschäftsführer der Vereinigung deutscher Autohöfe. (VEDA).

Kaffeeautomaten ausgestöpselt – Toiletten abgesperrt


Aber es geht ja nicht nur um warmes Essen. Es geht auch nicht darum, dass die im Frühjahr noch
als Helden beklatschten Trucker
längst wieder beschimpft und angehupt werden auf den Straßen. „Das sind sie ja gewohnt“, sagt Schwerdtfeger. „Viel schlimmer ist, dass sie bei vielen Firmen erneut nicht willkommen sind, weil befürchtet wird, sie könnten das Virus einschleppen.“

Kaffee- und Snackautomaten sind ausgestöpselt, Toiletten abgesperrt. Fahrer sollten doch bitte aufs WC gehen, bevor sie auf den Hof fahren, fordern einige Unternehmen. Wo? Das sei nicht das Problem der Firma. „Nicht mal die Hände können wir irgendwo waschen“, klagt ein Fahrer.

Virus erschweret Anlieferung und Abholung


Man könne, sagt Rainer Bernickel, Mitbegründer der Trucker Hilfs-Organisation
Doc-Stop
, nicht verallgemeinern, nicht alle über einen Kamm scheren. „Aber“, sagt er auch, „bei vielen Firmen gibt es Probleme bei Anlieferung und Abholung.“ Denn wo früher drei oder vier Trucker gleichzeitig ihre Frachtpapiere bekamen, darf wegen Corona oft nur einer ins Büro.

Dabei wäre es nach Einschätzung der Fahrer in vielen Unternehmen leicht, die Kapazitäten zu erweitern, andere Raumaufteilung, Plexiglasscheiben, anderswo hat das ja auch geklappt“, schreibt einer im Netz. „Und wenn das nicht geht, könnte man zumindest Pieper verteilen, damit die Fahrer in ihren Lkw warten können“, schlägt ein anderer vor. „Aber nichts passiert.“

Wartezeit kann mehrere Stunden dauern



Stattdessen gibt es immer mehr Fotos, von Truckern die – teils dicht gedrängt – auf Fluren oder in Treppenhäusern warten. Ein bis zwei Stunden scheinen normal, drei bis vier können es aber auch werden. „Ich kenne Fahrer, die stehen länger in der Schlange, als dass sie auf der Straße unterwegs sind“, weiß Schwerdtfeger. Was die Angst vor der eigenen Ansteckung nicht kleiner macht und alle Zeitpläne durcheinanderbringt.

Warten auf die nächste Fuhre. Zugmaschinen am Herner Meer
Warten auf die nächste Fuhre. Zugmaschinen am Herner Meer © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich




Es lohnt sich oft gar nicht, gleich wieder loszufahren“, klagt ein Fahrer im Netz und ist offenbar kein Einzelfall. Am „Herner Meer“ im Industriegebiet „Friedrich der Große“ in Herne etwa stehen die Laster abends und am Wochenende in langen Reihen am Straßenrand. Viele von ihnen haben osteuropäische Kennzeichen. „Lange gewartet, Arbeitszeit voll“, erklärt ein Fahrer. Und sein Vordermann wartet auf einen neu vermittelten Auftrag aus der Heimat. „Muss schnell da sein, wenn Chef anruft.“

Die Unzufriedenheit bei den Betroffenen wächst

„Viele Unternehmen haben es nach dem ersten Lockdown versäumt, sich Gedanken über neue Konzepte zu machen“, ist Wolfgang Westermann, Vorsitzender des Bundes Deutscher Berufs-Kraftfahrer überzeugt. „Die dachten, das Virus kommt nicht wieder.“ Rainer Bernickel sieht das genauso. „Diese Versäumnisse müssen jetzt wieder mal die Fahrer ausbaden.“

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Wie lange sie das noch mitmachen? „Die Unzufriedenheit wird größer“, hat Schwerdtfeger festgestellt. Aber noch immer trauen sich viele Fahrer aus Angst um ihren Job noch nicht heraus aus der Anonymität und schlucken ihren Ärger herunter. „Wir sind nicht in Frankreich“, sagt Bernickel. „Da streiken die Lkw-Fahrer viele schneller und viel härter.“

Branchenkenner warnen: „Irgendwann läuft das Fass über“

Mittlerweile melden sich im Netz aber auch in Deutschland immer mehr Trucker, mit dem Vorschlag „Schlüssel abziehen und den Lkw einfach mal stehen lassen.“ Irgendwann läuft das Fass über“, warnt Westermann. „Und wenn das passiert und die Trucker streiken“, sagt Jörg Schwerdtfeger, „dann haben wir schnell tatsächlich nur noch leere Regale in den Läden.“