Witten. Seit vielen Jahren klagt die Uni Witten/Herdecke über beengte Verhältnisse. Jetzt entsteht ein Neubau aus Holz und großen Ambitionen.
So ein bisschen wollen sie an der privaten Universität Witten/Herdecke ja immer auch die Welt verbessern, das zeigen schon die Fahnen vor dem Hauptgebäude: „Soziale Verantwortung fördern“ oder „Zur Freiheit ermutigen“ flattert da im Wind. Direkt dahinter hat der Anspruch auch handfest Gestalt angenommen: Da baut die Uni ein neues, großes Campus-Gebäude. Aus Holz. Komplett.
„Hier stehen wir quasi in der Bibliothek“, sagt Oberbauleiter Simon Pfeffer. Mit etwas Phantasie, ja: Da stehen bisher nur Arbeitsbühnen und Stützen, da liegen Baupläne, und große Packungen Mineralwolle warten darauf, dass sie jemand auspackt. Der Schwabe Pfeffer ist gelernter Zimmerer, studierter Bauingenieur und ein erfahrener Abteilungsleiter bei der Baufirma „Züblin Timber“, und er nennt den Bau daher „ein großes, anspruchsvolles Holzbauprojekt.“
„Das ist insgesamt viel anspruchsvoller, als ein Wohngebäude hochzuknallen“
Weil er so viele Funktionen aufnimmt, ist ein jeder Flügel anders: für die Bibliothek, in der wir schon waren; für Seminarräume, Büros, ein Bistro, Veranstaltungssäle, studentische Arbeitsplätze – und zu allem sinnvollen Überfluss wird man die Zwischenwände auch noch nach Bedarf versetzen können. „Das ist insgesamt viel anspruchsvoller, als ein Wohngebäude in der Größe hochzuknallen oder ein Hotel mit lauter gleichen Räumen.“
Es muss aber sein. In einem Besprechungsraum im alten Hauptgebäude sagt Jan Peter Nonnenkamp, der Kanzler der Hochschule: „Auch mit viel Knautschen war klar, dass wir einen Neubau brauchen.“ Seit 15 Jahren fühlt man sich leicht eingeengt, es wird ja auch immer voller mit jetzt 2700 Studenten. „Wir wollten nicht irgendwas bauen, sondern etwas, auf das wir stolz sind“, sagt Nonnenkamp. Das langfristige Ziel sei ein „grüner Campus“ – und der Holzbau entsteht auf einem früheren Parkplatz. So.
Das Gebäude soll 1200 Tonnen klimaschädliches CO2 binden
Daher kommt es, dass in der Stahlregion Ruhrgebiet nun ein Holzgebäude entsteht, das in dieser Größe in Deutschland selten ist. Fast 7000 Quadratmeter Geschossfläche auf 3,5 Etagen in Hanglage. Das Fichtenholz stammt aus nachhaltigem Anbau, es wird nicht imprägniert, es wird keine Klimaanlage geben, sondern Ventilatoren – und 1200 Tonnen klimaschädliches CO2 soll das Gebäude auch noch speichern.
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Es sieht nach Arbeit aus und riecht nach Holz. Männer passen einen langen Balken ein, dort hinten lässt einer sein Sägeblatt kreischen, und ein beladener Sattelzug aus Aichach ruckelt sich auch gerade auf das Baustellengelände. Am Firmensitz in der bayerischen Kleinstadt werden 10.000 Einzelteile aus Holz millimetergenau vorgefertigt, verpackt und nach Witten gefahren. „Davon verbauen wir zwei bis drei Ladungen am Tag“, sagt Pfeffer mit Blick auf den Sattelzug.
Die Montage von Fertigteilen beschleunigt das Bauen um das Vier- bis Fünffache
Einige wenige Teile sind dann doch aus Beton: Fundament und Sockel, weil es dem Holz nicht gut täte, in der Erde zu stehen. Und die Treppenhäuser natürlich, wegen des Brandschutzes. Bei der Gelegenheit, Herr Pfeffer: Kann das hier nicht ganz leicht abbrennen? Kann es nicht. Zwölf Zentimeter dicke Vollholzwände sind das. Dickere Böden. Und die Feuerwehr kommt ja auch nicht mehr im Spritzenwagen.
Die Montage der Fertigteile – Pfeffer nennt es lieber „herumpuzzeln wie bei Lego“ – führt zu einem enormen Tempo: vier- bis fünfmal schneller als Betonbau. Vor zwei Wochen konnten die Arbeiter aus den erhöht gelegenen Baucontainern noch ins Wittener Grüne schauen, jetzt sehen sie den Wald vor lauter Holz nicht mehr.
In rund einem Jahr soll das Gebäude in Betrieb gehen
Anfang September erst hat der Holzhochbau begonnen, und am 5. November werden sie bereits Richtfest feiern. Unter dem Einfluss von Wind und Wetter wird das Gebäude sich über die Jahre verändern, sagt Nonnenkamp, der Kanzler: „Aber die Welt und die Menschen verändern sich auch ständig.“
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22 Millionen Euro lässt sich die Uni den ambitionierten Neubau kosten. Er soll im Spätsommer 2021 fertig werden und zum Wintersemester 21/22 in Betrieb gehen. In ziemlich genau einem Jahr. Die rund 2700 Studenten können dann auch hier dem folgen, was an diesem sturmumtosten Morgen auf einer weiteren Fahne steht: „Nach Wahrheit streben.“