Essen. Viel Online, weniger „echtes Erleben“: Die Talenttage 2020 sind andere als frühere. Verzichtbar sind sie nicht, sagt Bärbel Bergerhoff-Wodopia.

Vom 16. bis 26. September finden zum 7. Mal die „Talenttage Ruhr“ statt, Leitprojekt des Initiativkreises Ruhr im Bereich Bildung. Rund 100 Initiativen, Hochschulen, Unternehmen, Kammern, Vereine und Kommunen aus der Region zeigen, wo Talente zu finden sind und wie Nachwuchsförderung dank gezielter Bildungsangebote trotz Coronapandemie gelingen kann. Bärbel Bergerhoff-Wodopia (66), Bildungsbeauftragte des Initiativkreises, und Vorstandsmitglied des Hauptförderers RAG_Stiftung, erklärt im Gespräch mit der WAZ, im Corona-Jahr anders ist – und warum man auf die Veranstaltung nicht verzichten kann.

Es gab weit mehr Angebote, als Sie in den elf Tagen unterbringen konnten. Trotz oder wegen Corona?

Die Corona-Pandemie hat uns zum Umdenken gezwungen. Alle Akteure haben ihre Angebote überprüft und auch ganz neue Ideen entwickelt, insbesondere für digitale Formate. Diese Flexibilität und Kreativität haben mich sehr beeindruckt. Dennoch werden wir in diesem Jahr weniger Veranstaltungen realisieren als in den Vorjahren.

An die 200 werden es sein, der größte Teil findet allerdings als Online-Workshop, Video-Chat oder ähnliches statt. Fesselt das genauso wie echtes Erleben vor Ort?

Man darf nicht vergessen, wir haben es mit Digital Natives zu tun. Und die letzten Monate haben gezeigt, dass gut durchdachte digitale Formate große Stärken haben. Allerdings kann dies das echte Erleben zum Beispiel von Handwerkstätigkeiten nicht ersetzen. Grundsätzlich sehe ich dieses Ausnahmejahr als Chance: Wir können jetzt viel Neues ausprobieren und die Formate, die gut funktionieren, künftig weiter nutzen.

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Auf wie viele Teilnehmer hoffen Sie?

Als wir im April die Entscheidung treffen mussten, alle größeren Veranstaltungen abzusagen und auch die Vor-Ort-Veranstaltungen auf maximal 30 Personen zu beschränken, war uns klar, dass wir das Vorjahresniveau nicht erreichen werden. Aktuell planen wir damit, rund 5.000 Personen begrüßen zu können. Unsere Erwartung aus dem Frühjahr ist damit deutlich übertroffen. Und dazu kommen noch die digitalen Teilnehmer.

Bärbel Bergerhoff-Wodopia: Abzusagen wäre das falsche Signal gewesen.
Bärbel Bergerhoff-Wodopia: Abzusagen wäre das falsche Signal gewesen. © Foto: Lina Nikelowski/RAG-Stiftung

Haben Sie überlegt, die Veranstaltung wegen der Pandemie ganz abzusagen?

Unsere Prämisse war immer: Die Gesundheit aller Beteiligten steht an erster Stelle. Die Talenttage aber ersatzlos zu streichen, kam für uns nicht in Frage. Denn wir tragen eine besondere Verantwortung gerade den Talenten gegenüber, die es ohnehin schwer haben. Chancenbenachteiligte Kinder und Jugendliche haben die Schließungen von Schulen und außerschulischen Lernorten besonders getroffen. Nicht alle von ihnen konnten von ihren Eltern ausreichend Unterstützung beim Distanzlernen erhalten. Es wäre ein falsches Zeichen gewesen, ihnen auch noch die Talenttage als Chance zu nehmen, ihre Stärken zu entdecken

Was mehr muss passieren, damit aus der aktuellen Gesundheits- und Wirtschaftskrise keine soziale Katastrophe wird?

Die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen müssen noch stärker in den Blickpunkt aller Akteure rücken. Kinder haben sowohl ein Recht auf den Schutz ihrer Gesundheit, als auch ein Recht auf Bildung und Teilhabe. Es gilt daher, Konzepte zu finden, die die richtige Balance zwischen beidem schaffen. Wenn dies erneut ein zeitweises Distanzlernen bedeutet, dann benötigt wirklich jedes Kind auch eine gute digitale Ausstattung. Und es braucht digitale Lernkonzepte, die auf die unterschiedlichen Voraussetzungen der Kinder eingehen. Die RAG-Stiftung engagiert sich gerade auf diesem Feld bereits seit mehreren Jahren.

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Stichwort: Ausbildungsplatzsuche. Die gestaltet sich in diesem Jahr ja noch schwieriger als zuvor...

Insbesondere Jugendlichen, die noch keinen Ausbildungsplatz haben oder sich noch nicht im Klaren darüber sind, welche Ausbildung am besten zu ihren Stärken passt, lege ich die Talenttage ans Herz. Nirgendwo sonst können sie bessere Einblicke in ganz unterschiedliche Ausbildungsberufe erhalten und Kontakte knüpfen, die ihnen den Einstieg in das Berufsleben erleichtern können.

Die Talenttage Ruhr gelten längst bundesweit als einzigartiges Bildungsprojekt. Worin liegt für Sie deren größter Erfolg?

Für jeden ist etwas dabei. Sie bieten in fast allen Städten des Ruhrgebiets elf Tage lang Angebote entlang der gesamten Bildungskette: vom Kita-Kind bis zum Studierenden. Sogar für Eltern gibt es spezielle Angebote. Ein weiterer wichtiger Erfolgsfaktor ist sicherlich auch das starke Netzwerk aus Bildungseinrichtungen und Unternehmen sowie weiteren Akteuren der Region. Unser Ziel ist es, die Talenttage Ruhr als starke Marke für Talentförderung im Ruhrgebiet zu verankern.

Es wird Bewerbungscoachings geben und Stipendienberatung, Hip-Hop- und Märchen-Workshops, Schnuppernachmittage in Finanzamt und Kliniken, die Landesgartenschau in Kamp-Lintfort ist dabei, der Wissenschaftspark in Gelsenkirchen – und viele mehr. Welches ist Ihr persönliches Highlight 2020?

Da kann ich mich nicht festlegen. Besonders spannend finde ich den rein digitalen Workshop „Du musst wissen, wer Du bist, um andere von Dir zu überzeugen!“ der Joblinge. Sich über die eigenen Interessen, Stärken und Fähigkeiten bewusst zu werden, das finde ich wichtig. Dafür stehen ja auch die Talenttage insgesamt.

Info und Programm: www.talenttageruhr.de