Köln/Essen. Im Internet läuft die Gamescom 2020. Warum die Deutschen so viel wie nie an PC und Videokonsolen spielen.

Soll noch einer sagen, die Deutschen könnten nicht hören. Wer sich durch die Ausgangsbeschränkungen während der Coronakrise allein fühle, der möge doch bitte mit Freunden gemeinsam Computer spielen, riet die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu Beginn der Pandemie. „Play apart together“ lautet das Motto einer Kampagne – zu gut deutsch ungefähr „Spielt mit Abstand zusammen“. Und kaum jemand hat sich so sehr an diesen Aufruf gehalten, wie die Menschen zwischen Alpen und Nordsee. Das zeigt eine repräsentative Studie im Auftrag des Digitalverbands Bitkom im Vorfeld der an diesem Sonntag endenden Computerspielemesse Gamescom.

Sieben Stunden pro Woche zusätzlich

Danach haben die Nutzer von Computer- und Videospielen ihr Spielverhalten seit Ausbruch der Corona-Pandemie und den damit verbundenen Einschränkungen deutlich intensiviert. Mehr als jeder Zweite (55 Prozent) unter ihnen sagt, seither mehr zu spielen – durchschnittlich sieben Stunden pro Woche zusätzlich zum früheren Umfang.

Zugleich sind viele bereit, mehr Geld für Computer- und Videospiele auszugeben – durchschnittlich 24 Euro im Monat. Und es sind längst nicht mehr nur junge Leute, die zum Joystick greifen. Unter den 50- bis 64-Jährigen spielt jeder Dritte (33 Prozent), 13 Prozent sind es bei den Senioren über 65 Jahren.

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„Beim Lockdown sind die Nutzer-Zahlen nach oben gegangen“, bestätigt Jens Kosche, Deutschland-, Österreich und Schweiz-Chef von Electronic Arts, einem der größten Video- und Computerspielehersteller der Welt und gleichzeitig im Vorstand des Branchenverbandes „Game“. Die einen hätten ein altes Hobby wiederentdeckt, andere sich mit den Spielen der Kinder beschäftigt und gemeinsam mit dem Nachwuchs gedaddelt. Viele, mutmaßt Kosche, hätten für sich wohl „eine kleine Welt entdeckt, in der sie dem Corona-Stress entkommen konnten“.

Gemeinsame Online-Spiele helfen, Kontakt zu halten

Auch ältere Menschen nutzen immer öfter Videospiele.
Auch ältere Menschen nutzen immer öfter Videospiele. © dpa-tmn | Sebastian Willnow

Durchaus möglich. Denn Netflix hin und gedruckte Bücher her, in der Umfrage gab jeder zweite Nutzer (49 Prozent) an, ohne Video- und Computerspiele wäre ihm während der Corona-Krise „die Decke auf den Kopf gefallen“. Jedem dritten Gamer (31 Prozent) haben gemeinsame Online-Spiele zudem geholfen, während der Krise Kontakt zu Freunden und Bekannten zu halten.

Dieser Kontakt könnte bis Ende des Jahres sogar noch vertieft werden. Nicht nur, weil im Herbst zahllose neue Spiele erscheinen, sondern vor allem weil noch vor Weihnachten sowohl Sony als auch Microsoft ihre neue Konsolen – die Playstation 5 und die Xbox Series X – auf den Markt bringen. Nahezu jeder in der Branche rechnet dann auch damit, dass der Umsatz in diesem Jahr die 6,2 Milliarden von 2019 mühelos toppen wird.

Deutschland tritt bei Entwicklung von Spielen auf der Stelle

Deutsche Spieleentwickler profitieren davon allerdings nur in Ausnahmefällen. Zwar ist die Zahl der Firmen seit vergangenem Jahr von 614 auf aktuell 622 gestiegen, die Zahl der Mitarbeiter aber von 10.487 auf 10.071 gefallen. „Die Beschäftigtenzahlen zeigen, dass wir in Deutschland aktuell auf der Stelle treten“, sagt Felix Falk, Vorsitzender des Branchenverbandes Game, der Träger der Gamescom ist.

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Bis heute läuft die Messe noch. Dieses Mal aber finden Shows, Diskussionen und Präsentationen nur im Internet statt. Es gebe kaum eine Veranstaltung, hat Gerald Böse, Chef der Messe in der Domstadt gesagt, die besser für den Schritt ins Digitale geeignet sei als die Videospielmesse. Vielleicht ist sie es sogar zu gut. Bei einigen Herstellern wird schon lange über den Sinn von Messen diskutiert.

Branche diskutiert über die Zukunft der Messe

So sah es in den vergangenen Jahren aus, wenn in der Kölner Messe Gamescom war. Dieses Jahr ist alles virtuell.
So sah es in den vergangenen Jahren aus, wenn in der Kölner Messe Gamescom war. Dieses Jahr ist alles virtuell. © dpa | Oliver Berg

Extrem teuer seien die Stände dort, heißt es, die Zielgruppe lasse sich im Netz viel günstiger und noch zielgenauer erreichen. Außerdem, so die Sorge, werde es selbst hartgesottenen Fans angesichts von knapp 380.000 Besuchern im vergangenen Jahr mittlerweile zu voll in den Hallen. Zwei bis drei Stunden Wartezeit, um ein Spiel anzutesten, seien ja keine Ausnahme mehr.

Kosche, der sein Büro nur ein paar Kilometer Luftlinie entfernt von den Kölner Messehallen hat, kennt diese Argumente natürlich. „Aber“, sagt er in der Videoschalte mit dieser Zeitung auch, „eine digitale Gamescom kann kein Ersatz sein für das Event, das wir kennen.“ Und Felix Falk ergänzt, die Gamescom sei die entscheidende Veranstaltung für Marketing und Vertrieb der Games-Unternehmen in der zweiten Jahreshälfte.“

Manchmal hilft sie auch mit ganz einfachen Mitteln, die Erfolgschancen eines Spiels einzuschätzen. „Wenn man auf die Schlangen an den Ständen achtet“, so Kosche, „bekommt man eine Vorahnung davon, welches Spiel gut laufen wird.“

Für Fans ist die „echte“ Gamescom alternativlos

Für die Fans ist die „echte“ Gamescom nach Einschätzung des Managers alternativlos. „Viele Spiele lassen sich nur hier frühzeitig anspielen.“ Natürlich könne man Demos über das Internet streamen, aber das gehe erst ab einem bestimmten Entwicklungsstand.

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Zum Abschluss blickt Kosche noch einmal in die Spiele-Zukunft, in die er – anders als Otto-Normal-Spieler – schon den einen oder anderen Blick werfen konnte. Sowohl Playstation 5 als auch die neue Xbox Series X seien noch einmal „ein großer qualitativer Unterschied“ zur derzeitigen Generation der Spielkonsolen, verspricht der EA-Chef.

PC lässt sich von Konsolen nicht verdrängen

Aber auch ihnen werde es nicht gelingen, den klassischen PC als Spielplattform völlig zu verdrängen. Weiterhin, ist Kosche überzeugt, würden Kinder und Jugendliche an abgelegten Laptops und Tower-Rechnern der Eltern erste Schritte in die Welt der Videospiele unternehmen. Und noch immer sei es einfacher, Mutter oder Vater zum Kauf eines PC als zu Anschaffung einer Spielkonsole zu überreden. „Da kann man immer behaupten“, sagt Kosche und lächelt, „man brauche den Rechner für die Schule.“

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