Aachen. Deutschlands Pathologen widersprechen geschlossen dem Mythos, dass man nur „mit“ Corona sterbe. Auch mit der Grippe habe Covid-19 wenig gemein.

Die Befunde der Pathologen sind eindeutig: Bei der großen Mehrheit der untersuchten Todesfälle sind die Opfer an Covid-19 gestorben, nicht nur „mit“ dem Corona-Virus und an ihren Vorerkrankungen, wie oft behauptet wird. Und: Das Corona-Virus zeigt ein deutlich anderes Krankheitsbild als Influenza und kann keinesfalls mit einer normalen Grippe gleichgesetzt werden.

Diese Erkenntnisse sind nicht neu, wurden aber nun durch weitere Untersuchungen untermauert und im Detail besser verstanden, wie die drei maßgeblichen Dachverbände am Donnerstag gemeinsam erklärten. Der Bundesverband Deutscher Pathologen (BDP), die Deutsche Gesellschaft für Pathologie (DGP) und die Deutsche Gesellschaft für Neuropathologie und Neuroanatomie (DGNN) widersprechen damit auch den Mythen, die im Netz und auf Demos kursieren.

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Der BDP hat 154 Obduktionen aus 68 Instituten ausgewertet: Bei 86 Prozent der Verstorbenen war eindeutig Covid die Todesursache, nur bei einem Siebtel der Verstorbenen fanden die Pathologen keine charakteristischen Organschäden. Meist erlitten die eindeutig an Covid verstorbenen Patienten ein akutes Lungenversagen, eine „Schocklunge“, wie man sie etwa von traumatisierten Soldaten kenne, so Prof. Johannes Friemann vom BDP. „In etwa der Hälfte der Fälle waren die Lungenbläschen nicht mehr in der Lage Sauerstoff aufzunehmen.“ Bei 40 Prozent waren Blutgerinnsel die Todesursache. Fast ein Zehntel der Todesfälle war auf eine Infektion der sogenannten Endothelzellen zurückzuführen, die vereinfacht das Blut vom Gewebe trennen und ein wichtiger Bestandteil unserer Adern sind.

Die Ergebnisse widersprechen Püschels These

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Der Hamburger Rechtsmediziner Prof. Klaus Püschel vertritt die viel zitierte These, dass die Corona-Todesopfer ohnehin bald an ihren anderen Krankheiten gestorben seien (also mit statt an dem Virus). Die vom BDP untersuchten Fälle sind jedoch intensiver (als klinische Kohorte) untersucht worden. Auch diese Patienten – doppelt so viele Männer wie Frauen – hatten weitere ernsthafte Erkrankungen: Herzkreislauf (43%), Lunge (16%), Diabetes und Adipositas (12%) und Sepsis (8%). Doch als die Patienten starben, waren sie rund ein Jahrzehnt jünger als der Durchschnitt der Gesamtsterbefälle – anders als in Hamburg. Und in mehr als vier Fünfteln war Covid-19 alleinige oder wesentliche Todesursache.

Diese Untersuchung entstand, als das Deutsche Register für Covid-19-Obduktionen (DeRegCovid) noch im Aufbau war an der Uniklinik Aachen – es sammelt nun Informationen über Bioproben vieler Institutionen und unterstützt Forscher bei der Auswertung. „Auch wegen des Datenschutzes hat es einige Zeit gedauert“, erklärt Peter Boor. Die Daten werden anonymisiert, die Proben selbst bleiben bei den jeweiligen Krankenhäusern. Das Register versteht sich als Makler und Ermöglicher – eine Infrastruktur, die auch unabhängig von Covid der Forschung und Seuchenbekämpfung helfen soll.

Corona aktiviert andere Gene als Influenza

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Einige neue Studien beruhen bereits auf den Aachener Daten. „Damit ist abschließend geklärt, dass Covid-19 nicht einer normalen Influenza entspricht“, fasst Prof. Gustavo Baretton, Vorsitzender der DGP, die Ergebnisse zusammen: Gerinnsel kommen zwar auch bei Influenza vor, aber in ihrer kleinen Ausprägung (Mikrothromben) sind sie neunmal häufiger bei Covid-19. Auch der Befall der inneren Gefäßwände (die erwähnten Endothelien) ist ein Unterschied. In der Folge kommt es viel häufiger zu einem Multi-Organversagen. Eine Gen-Analyse zeigte: Es gibt zwar eine gewisse Schnittmenge, doch größtenteils aktiviert Covid-19 andere Gene als die Influenza. Was ein deutlich anderes Krankheitsgeschehen bedingt.

Das Virus gelangte bei etwa jedem dritten Verstorbenen auch ins Gehirn – über die Nerven des Riechkolbens, wie Forscher nun ebenfalls mit Hilfe der Aachener Obduktionsdaten herausgefunden haben, erklärt Prof. Till Acker, Vorsitzender der DGNN. Sie haben auch den Rezeptor identifiziert, an dem der Erreger andockt, um ins Zentrale Nervensystem zu gelangen (Neuopilin-1). Acker sieht hier einen Ansatzpunkt für weitere Studien.

In einem Brief an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) fordern die drei Spitzenverbände eine bessere Finanzierung und den Abbau bürokratischer Hürden. Denn die Zahl der Obduktionen sei „völlig unzureichend“. Die in der Abfrage bis Ende Juni gemeldeten 154 Untersuchungen entsprechen gemessen an der gesamtzahl von rund 9000 Todesfällen einer Quote von unter zwei Prozent. Bei den Krankenhaustoten allgemein liegt der Anteil mehr als doppelt so hoch.