Essen. Die Veranstaltungsbranche liegt am Boden, das Konzert in Düsseldorf soll ein Signal sein. Bundesverbandschef Jens Michow ärgert das Gerangel.
Die Entscheidung über das viel debattierte Konzert in Düsseldorf mit Sarah Connor, Bryan Adams und anderen fällt Ende August mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen in der Corona-Krise. Auch für die gesamte Veranstaltungswirtschaft, deren Geschäft komplett zusammengebrochen ist, ein wichtiger Termin. Wir sprachen darüber mit Professor Jens Michow, Präsident des Bundesverbands der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft.
Blickt die Branche mit besonderer Anspannung auf die Entscheidung über das Konzert, das am 4. September in Düsseldorf stattfinden soll?
Michow: Das tut sie. Wir respektieren jede Anordnung, die dem Infektionsschutz dient. Aber Herr Lieberberg will doch an allererster Stelle demonstrieren, dass wir imstande sind, Veranstaltungen penibel
auf der Grundlage jener Anordnungen und aller hygienischen Voraussetzungen durchzuführen. Er erfüllt diese Voraussetzungen überobligatorisch. Was kann man mehr erwarten? Es wäre für die Politik fatal, wenn sie nun die von ihr selbst gesetzten Rahmenbedingungen willkürlich ändert.
Sehen Sie in diesem Termin eine Art Startschuss, der vieles in Bewegung setzen kann?
Startschuss wäre zu weit gegriffen, denn niemand sollte dem Trugschluss erliegen, dass Veranstaltungen auf der Grundlage der Belegung von Spielstätten mit nur einem Viertel ihres Fassungsvermögens irgendeinen wirtschaftlichen Sinn machen. Die Hallen erwarten trotzdem die Zahlung der ansonsten üblichen Miete, Zeitungen schalten Veranstaltungsanzeigen nicht für ein Viertel des Preises und die Airlines fliegen Künstler aus dem Ausland auch nicht günstiger ein. Aber es könnte vor allem kleinere Formate geben, die sich dann doch irgendwie unter Einhaltung aller Hygienevorschriften unter Zurückschrauben üblicher Erwartungen durchführen ließen, zumal es dafür nun eine gewisse Förderung durch die Beauftragte für Kultur und Medien geben wird.
Aber ein Signal wäre Düsseldorf schon?
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Es kann ein Signal sein. Damit könnte gezeigt werden, dass Veranstalter imstande sind, alle behördlichen Regelungen sorgfältig umzusetzen und den erforderlichen Infektionsschutz zu gewährleisten. Wenn nun aber selbst die Einhaltung aller Bestimmungen nicht ausreicht, um wenigstens die ein oder andere größere Veranstaltung stattfinden zu lassen, wäre Düsseldorf leider lediglich ein Signal dafür, dass es keinen Sinn macht, mit großem Aufwand Veranstaltungen im Rahmen des Erlaubten zu planen, weil stets damit gerechnet werden muss, dass erteilte Genehmigungen widerrufen werden.
Wie bewerten Sie das politische Gerangel um die Veranstaltung?
Das aktuelle politische Gerangel um das Stattfinden der Veranstaltung ist gänzlich kontraproduktiv. Wir begrüßen und akzeptieren jede Maßnahme des Infektionsschutzes. Aber ich halte es für inakzeptabel, dass
Politiker – zumal über die Medien - nun ein Veranstaltungsprojekt kritisieren, das von den zuständigen Behörden genehmigt wurde und bei dem erkennbar die Einhaltung aller schließlich von ihren eigenen Landesbehörden erlassenen Infektionsschutzverordnungen gewährleistet ist. Ich vermisse ein Gefühl dafür, dass es hier nicht lediglich um die Gewinnerzielungsabsicht von Unternehmern sondern auch um unser Kulturangebot, die aktuell verzweifelte Lage unserer Künstlerinnen und Künstler und auch darum geht, den Menschen allgemein wieder die Zuversicht zu vermitteln, dass es so langsam auf der Grundlage aller Vorsichtsmaßnahmen eine Rückkehr zur Normalität geben wird. Dafür wäre das Stattfinden kultureller Veranstaltungen genau das richtige Signal.
Wie dringend benötigt die Branche dieses Signal?
Nicht nur die Branche benötigt das Signal, um wieder Mut zu schöpfen, dass es irgendwie weitergeht. Es wäre auch wichtig für alle Künstler und Künstlerinnen, für das Publikum sowie für die vielen Dienstleistungsunternehmen, die wirtschaftlich vom Live-Geschäft abhängen. Es ist höchste Zeit, dass alle wahrnehmen, dass es Ansätze für ein Ende der Lethargie gibt und dass trotz aller Widrigkeiten zumindest Versuche unternommen werden, wieder ein Kulturangebot auf die Beine zu stellen – in der Hoffnung, dass sich die Politik und die Behörden an die von ihnen selbst veröffentlichten Vorgaben halten.
Welche Zahlen liegen Ihnen vor über die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise für die Branche?
Die Veranstaltungsbranche sowie die Künstler sind durch die Krise weitaus härter betroffen als jeder andere Wirtschaftszweig unseres Landes. Wir gehen mittlerweile davon aus, dass bis zur Entwicklung eines Impfstoffes eine normale Geschäftslage nicht eintreten wird. Das kann bekanntlich noch viele Monate
dauern. Einnahmeverluste und Schäden haben wir bisher nur bis Ende September errechnet, da ja derzeit noch nicht in Stein gemeißelt ist, wie es ab Oktober weitergeht. Wir haben dargelegt, dass die Musikwirtschaft insgesamt Verluste in Höhe von rund 5,5 Milliarden Euro erlitten hat. Davon entfiel mit rund 4,3 Milliarden Euro der größte Teil auf Konzert-, Tournee- und Festivalveranstalter sowie Künstlervermittler. Die Verbände haben sodann im April einen Hilferuf veröffentlicht, mit dem sie von der Politik zehn Prozent dieses Einnahmeverlustes als Billigkeitsmaßnahme zur Kompensation der entgangenen Einnahmen – mithin ca. ein Drittel des Betrages - forderten.
Daraus sind im Programm „Neustart Kultur“ 150 Millionen Euro geworden.
Ja, und davon werden die Veranstalter nur einen Teil erhalten. So dankbar wir für diese Hilfe sind – sie wird leider bei weitem nicht ausreichen, um die Branche tatsächlich für einen Neustart fit zu machen.