Duisburg. Duisburg will endlich einen Schlussstrich ziehen, aber die schlechten Nachrichten reißen nicht ab. So kämpft die Stadt für ein besseres Image.
Zehn Jahre sind vergangen, der Gerichtsprozess ist zu Ende, aber der 24. Juli 2010 wird für immer Teil der Duisburger Stadtgeschichte sein: Im Gedränge der Loveparade starben an jenem Tag 21 junge Menschen, mindestens 650 wurden an Körper und Seele verletzt, ungezählte leiden unter den Folgen bis heute. „Die Loveparade-Katastrophe“, sagt die damalige NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, „ist eine offene Wunde am Herzen der Stadt.“ Vielleicht, aber es sind schon Narben zu sehen, andere (Stadt-)Geschichten haben die Verletzungen überdeckt – auch sie waren und sind oft keine guten.
Was hat die Loveparade mit Duisburg gemacht? Mancher, auch in verantwortungsvoller Position, tut sich schwer, darüber zu reden. Verweist auf offizielle Stellen, wägt seine Worte vorsichtig, lehnt ein Gespräch sogar ab: „Daran kann man sich nur die Finger verbrennen.“ Das Thema sei kalt, sagt einer. Das ist seine Aussage auch und in dieser Form ganz offensichtlich nicht wahr, aber was er meint, ist: Duisburg redet nicht mehr jeden Tag und nicht mehr nur über das Unglück. „Das grundsätzliche – auch mediale – Interesse an dem Thema“, bestätigt Anja Kopka als Sprecherin des Oberbürgermeisters, „hat über die Jahre stark nachgelassen.“ Das habe sicher nicht nur, aber auch mit dem inzwischen abgeschlossenen juristischen Verfahren zu tun.
Deutschland guckt oft nach Marxloh
Und, das wenigstens sagt fast jeder: Es gibt so viele andere Dinge, die die Stadt seither beschäftigen – und viele davon sind ebenfalls nicht angetan, ein positives Image zu fördern. Wenn Deutschland nach Duisburg schaut, dann guckt es oft nach Marxloh, diesen wohl bekanntesten Stadtteil mit seinen Schwierigkeiten, den deshalb schon Kanzlerin wie Bundespräsident besuchten. Dann schaut es auf den Oberbürgermeister, der mehrfach öffentlich klagte über Sozialmissbrauch krimineller Zuwanderer aus Südosteuropa. Es könnte auch diverse Großinvestitionen angucken, aus denen nichts wurde, den Hauptbahnhof, der marode und immer noch nicht umgebaut ist, oder nun auf das Coronavirus, das in der Stadt phasenweise stärker grassierte als anderswo.
Die Loveparade ist darüber nach hinten gerückt, von ihr wird „negativ abgelenkt“, wie ein Duisburger frustriert sagt. Ein anderer spricht von „Desillusionierung“, von dem einfach nicht weichen wollenden Gefühl: „Hier ist es besonders schwierig, gerade bei uns passiert immer was.“ Es sei zu einer Grundhaltung geworden in dieser Stadt, in der die traurigen Erzählungen zwar nicht mehr unbedingt von der Loveparade handeln, aber immer mit ihr beginnen.
„Es gibt in Duisburg nichts mehr zu vermarkten“
Negative Bilder, das weiß auch der Marketing-Laie, werden allenfalls übermalt von neuen, schönen Bildern. Nur, die gibt es kaum aus Duisburg. Ein damaliger Marketingmann soll sich nach der Loveparade so verabschiedet haben, man erzählt sich das bis heute: „Es gibt hier nichts mehr zu vermarkten.“
So gerne würden die Strategen mit dem größten Binnenhafen der Welt werben, mit dem ruhmreichen
MSV, mit dem Zoo. Aber dem Fußballverein geht es auch schon wieder nicht gut, und große, gelungene Veranstaltungen, die in Erinnerung bleiben könnten, gibt es kaum. „Wir haben“, sagt Hermann Kewitz, Vorsitzender des Bürgervereins proDuisburg, „wenig positive Sachen entgegenzusetzen gehabt, um einen Stimmungswandel zu erreichen.“
Große Angst vor neuen Fehlern
Viele Jahre, sagt einer, der schon immer in der Stadt lebt, „ging hier gar nichts mehr“. Bei Genehmigungsverfahren selbst für kleinere Veranstaltungen, berichten engagierte Bürger, sei die Verwaltung zurückhaltend geblieben, sei „kein Risiko für nichts mehr“, eingegangen, aus „Angst, noch einmal Fehler zu machen“. Das war ja einer der Vorwürfe der Staatsanwaltschaft im Prozess: dass das Technofest fehlerhaft geplant worden sei. Mancher Duisburger findet die Sorge lähmend, „dass wir uns nun nie mehr befreien können von den Bedenkenträgern“. Hermann Kewitz wertet auch das als „Zeichen, dass wir die Loveparade noch nicht wirklich verarbeitet haben“.
Eine Liste des Scheiterns auf dem Gelände
Die Liste des Scheiterns auf dem Gelände der Loveparade selbst ist ja lang. 24 Jahre lang schon liegt der ehemalige Güterbahnhof inzwischen brach. Gescheitert sind seit 2010 Pläne für Möbelhäuser, ein neues Stadion, das Einkaufszentrum „Multi Casa“. Einem Outlet-Center schob die Bürgerschaft selbst einen Riegel vor. Seit 2018 nun gehören die 30 Hektar der Stadt, sie will das Filetstück am Bahnhof endlich „zurückholen in das Stadtgeschehen“.
Ein „Stadtquartier am Alten Güterbahnhof“ ist jetzt geplant, Wohnen, Arbeit, Freizeit soll es geben, ein Gestaltungswettbewerb läuft. Baubeginn wird indes nicht vor Ende 2023 sein. Inzwischen sind die Bagger angerollt, um die alten Hallen abzureißen, deren Ruinen neben der A59 grüßen. Sieben Millionen Euro kostet das allein. „Mit diesem Abbruch“, hat Oberbürgermeister Sören Link unlängst gesagt, „wird der Aufbruch eingeleitet.“
Aus der rissigen Mauer wächst eine Brombeerranke
Zumindest für das Gelände. Dort erinnern mehrere Gedenktafeln, die Namen der Toten und ihre Bilder an das Unglück. Die Rampe, auf der es zum tödlichen Gedränge kam, hat man um gute 20 Meter verengt, aber immer noch führen gemalte Schattenrisse durch den Tunnel dorthin, zum Unglücksort hin werden es immer mehr. Nach der Einstellung des Gerichtsverfahrens im Mai hat jemand einen mitfühlenden Brief abgelegt, die Margeriten daneben sind schon wieder verwelkt. Aus der rissigen Mauer gleich neben der alten Treppe, über die sich so viele zu retten versuchen, wächst eine Brombeerranke. Sie trägt Früchte.
„Die Stadtgesellschaft war warmherzig und empathisch“
Nach Einschätzung von Hermann Kewitz ist „die Duisburger Stadtgesellschaft auf würdige Weise mit der Loveparade umgegangen“, sei warmherzig und empathisch gewesen. Wenn Duisburger über die Ereignisse vor zehn Jahren reden, ist viel von „wir“ die Rede. Man grenzt sich ab von der Stadtverwaltung, „es“ ist nicht Duisburg passiert, es ist nicht der Stadt passiert, „es ist uns passiert“, so hätten viele Bürger das empfunden, sagt auch Kewitz. Weshalb sie auch Schuldzuweisungen persönlich genommen hätten. Und das Schuldgefühl.
Trotzdem schaut Duisburg inzwischen nach vorn, sagt Sprecherin Anka Kopka, „ohne die Vergangenheit zu negieren“. Sie habe den Eindruck, „dass es der Stadt mehr und mehr gelingt, auch auf andere Facetten aufmerksam zu machen“. Irgendwann in diesen Jahren erfanden die Leute von „Onkel Stereo“, einem hippen Laden in der Innenstadt, den Spruch „Berlin kann jeder. Duisburg muss man wollen“. Eine trotzige Liebeserklärung, aber eine, die für das Selbstverständnis der Duisburger steht. So wie das neue Stadt-Motto: „Duisburg ist echt“.
Gerade zum Beispiel ist Duisburg „echt überrascht“: Essen, Dortmund, Düsseldorf, so viele große Städte in der Nähe verlieren gerade ihre Kaufhäuser, aber in Duisburg darf Karstadt bleiben und der Kaufhof auch. Ausgerechnet hier! Das, reagiert ein Bürger der Stadt, „ist für mich das größte Wunder“.
Fünfteiliger Podcast über die Loveparade-Katastrophe in Duisburg
Doch wie und warum kam es bei dem Techno-Festival zum tödlichen Gedränge? Wieso wurden die Sicherheitsbedenken ignoriert? Und wie gehen die Betroffenen heute mit dem Erlebten um? Der Podcast geht diesen Fragen nach. Ein Podcast ist quasi eine Reportage zum Hören, abrufbar über das Internet auf waz.de/loveparade und Streaming-Apps wie zum Beispiel Spotify, Apple Podcasts, Audio Now oder Deezer.
Ab dem 24. Juli erscheinen fünf Podcast-Folgen.
- Hier geht es zum ersten Teil: Loveparade-Podcast: „Da unten sterben Menschen“