Düsseldorf. Es trauen sich wieder so viele Besucher in die Düsseldorfer Altstadt, dass es manchmal eng wird. Wie kann das funktionieren? Wo sind die Grenzen?

Auf den ersten Blick ist alles wie immer in der Düsseldorfer Altstadt: „Happy Hour jeden Tag“ auf der Bolkerstraße und „Frosch-Kotze 2,50 Euro“ – wer es wirklich wissen will: Vanillejoghurt, Wodka, Waldmeister –, das zieht offenbar. Ein Geiger schreitet herum vor den spanischen Restaurants in einer Seitengasse. Ob man die Partymeile als gut oder nur leidlich gefüllt wahrnimmt, hängt vom Blickwinkel und dem Takt der Bahn ab. Nur wenige wagen sich in geschlossene Räume, auf der Straße jedoch lässt sich der empfohlene Abstand von anderthalb Metern kaum einhalten, mischt man sich zwischen all die Grüppchen und Paaren, die hier langziehen auf der Suche nach Normalität.

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Wenn die sich irgendwo einstellt, eine neue Normalität beim Ausgehen, dann am ehesten in Düsseldorf oder in der Kölner Altstadt. Denn man braucht eine gewisse Dichte für dieses Experiment. Welche kreativen Wege gibt es, um wieder soziale Nähe zu ermöglichen? Wie viel körperliche Distanz ist wirklich notwendig – und in welchen Situationen? Wie verhalten die Menschen sich in der Praxis? Dabei werden ganz sicher Grenzen getestet und verletzt. Aber schlägt es gleich um in Ballermann-Verhältnisse?

Rheintreppe im Fokus

Richtig voll wurde die Rheintreppe am Freitag nicht.
Richtig voll wurde die Rheintreppe am Freitag nicht. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Tatsächlich mussten Polizei und Ordnungsamt in den vergangenen Wochen mehrmals die Rheintreppe räumen, wo sich Junge und Abgebrannte, Alternative und Alkis treffen, um ihr Flaschenbier in Gemeinschaft zu trinken. Manchmal spielt einer Gitarre, heute dröhnen ein paar Lautsprecher um die Wette. Es ist Freitagabend, bewölkt aber mild, schon gegen 20 Uhr liegt der erste besinnungslos vor der Treppe. Kurz darauf wird die Polizei auf dem Burgplatz dahinter mit imposanten 21 Einsatzfahrzeugen vorfahren, die meisten Mannschaftsbusse. Doch das ist nur eine Vorsichtsmaßnahme, alles bleibt ruhig.

Die Stadt hat alle paar Meter Abstandsstreifen auf die Stufen gepinselt, sie lassen so viel Platz, das sich rund zehn Personen nebeneinander setzen können. Gegen 22 Uhr wird es so voll, dass einzelne Leute auch die Schraffur besetzen, eine Shisha qualmt, drei junge Damen tanzen oder vielmehr schwofen sie auf der Stelle. Das scheint den Ordnungskräften offenbar noch tolerabel, denn Lautsprecheransagen und die Flutlichter bleiben aus, die – so die neue Idee – „die Aufenthaltsqualität reduzieren sollen“.

Freundeskreis (im Uhrzeigersinn von unten): Satish, Johnny, Darshan, Dan und Christian.
Freundeskreis (im Uhrzeigersinn von unten): Satish, Johnny, Darshan, Dan und Christian. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

„Ich war vergangene Woche auf der Treppe“, berichtet Satish (36), „und ehrlich gesagt hatte ich Angst. Ein paar Leute haben angefangen, Flaschen herumzukicken, es flogen Scherben.“ Deswegen sitzen Satish und seine Freunde – Studenten aus Indien, den USA und England – nun in einem der weißen Kreise, die die Stadt auf dem Kopfsteinpflaster des Burgplatz aufgebracht hat „Das war eher unterbewusst“, sagt Satish. Zumal die Bänke voll waren. Aber so ein Kreis, meint Christian (26) aus Kansas, beschreibt eben einen Raum: „Wir haben uns fast automatisch entlang der Linie gesetzt, so dass in der Mitte Abstand bleibt.“ Der Freundeskreis wird wohl einfach hier bleiben, „denn es macht keinen Sinn in eine volle Bar zu gehen.“

Der erste Ausgeh-Abend

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Das haben auch Sophie, Clara, Enisa, Pia, Paula und noch eine Paula nicht vor. Die Freundinnen aus Duisburg treffen sich das erste Mal nach dem Abitur an der Lise-Meitner-Gesamtschule wieder. „Wir haben uns alle sehr strikt an die Corona-Regeln gehalten“, sagt Paula. Und nun ist es an der Zeit, mal wieder auszugehen – bei aller gebotenen Vorsicht. Die Freundinnen wollen draußen sitzen – eine Entscheidung, die die allermeisten der Altstadt-Besucher treffen. „Hier wirkt es so wie das normale Leben“, sagt Clara. „Merkwürdig, aber irgendwie ein schönes Gefühl.“

Unterbewusst im Kreis gelandet: Sophie, Pia, Clara, Paula, Enisa und Paula (v. links).
Unterbewusst im Kreis gelandet: Sophie, Pia, Clara, Paula, Enisa und Paula (v. links). © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Merkwürdig ist wohl der weitgehende Verzicht auf Masken. In jeder Fußgängerzone sieht man sie, beim Ausgehen sind sie offenbar verpönt, obwohl stellenweise auch kein Slalom hilft, um dem Atem der anderen zu entgehen. Die Besucher auf den Straßen halten Abstände dort ein, wo es einfach ist. Sobald sie sich setzen, nehmen sie die Nähe zum Nachbarn in Kauf. Sei es auf Mauern und Treppen, aber auch auf den Bierbänken der Brauhäuser, wo sich die Gruppen mischen.

Herzliches Lachen beim Uerige. Drei gute Freunde, Künstler, Anwalt und Unternehmer, treffen sich das erste Mal wieder – und sind mit ihren jüngeren Sitznachbarn ins Gespräch gekommen über, natürlich, Fußball. Es hilft, dass sich in beiden Gruppen Kölner hergewagt haben. Einfach mal mit Fremden lachen – „das ist ja der Zauber der Altstadt“, sagt der Mönchengladbach-Fan.

„Eigentlich ist es zu eng“

„Das musste jetzt mal sein“: Wolfgang Friedrich, Michael Hendricks und Oliver Merches haben sich beim Uerige wiedergetroffen.
„Das musste jetzt mal sein“: Wolfgang Friedrich, Michael Hendricks und Oliver Merches haben sich beim Uerige wiedergetroffen. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Aber ganz so einfach wie es aussieht, hat sich Wolfgang Friedrich (62) die Platzwahl eben nicht gemacht. Wegen einer Autoimmunerkrankung gehört er zur Risikogruppe und hat sich darum bewusst „auf den Einzelplatz gesetzt“ – auch wenn kein ganzer Meter zu seinem Banknachbarn bleibt. Es ist ein Kompromiss. Doch nach „vier Monaten strenger Quarantäne“ mussten sie sich nun einfach mal wieder treffen. Friedrich blickt sich um: „Der Abstand ist zu eng. Der Achtertisch dort drüben, da müsste eigentlich einer hingehen und sagen, dass es so nicht geht. Die Leute denken, das Schlimmste liegt hinter uns, aber das ist nicht der Fall.“

Und trotzdem muss doch wieder etwas Normalität möglich sein. „Kneipen sind ein Stück Kultur. Wenn wir das nicht mehr nutzen, wird es irgendwann weg sein“, sagt Oliver Merches (51). Die Situation vergleicht er mit dem Aufkommen von Aids. „Auch dafür gibt es noch keinen Impfstoff, aber wir haben gelernt, damit zu leben.“ – Als sie jung waren, ja, da war die Liebe leicht und unbeschwert. Und heute? „Gibste noch nicht mal die Hand und stirbst auch so. Wie scheiße ist das denn?“, sagt Friedrich. Und dann ernsthaft: „Das Virus ist im Kopf und geht so schnell nicht raus.“

>> Info: Düsseldorfs Drei-Stufen-Plan

Die Stadt Düsseldorf hat vor etwa einer Woche einen Drei-Stufen-Plan vorgestellt. Grundlage ist die Zahl der Neuerkrankungen in den letzten 7 Tagen pro 100.000 Einwohner.

Liegt dieser Inzidenzwert über 30 gilt ein Musikverbot ab Mitternacht und ein Verweilverbot im Kernbereich der Altstadt ab 22 Uhr. Ebenso darf ab diesem Zeitpunkt kein Alkohol mehr außer Haus verkauft werden.

Steigt der Wert über 40 tritt eine Sperrstunde ab 1 Uhr in Kraft. Ab 50 werden Kneipen geschlossen, nur noch Restaurants dürfen öffnen.

Die Altstadt-Wirte kritisieren den Plan. Sie sehen eine Ungleichbehandlung innerhalb der Gastronomie und bezweifeln, dass sich Infektionszahlen in ganz Düsseldorf auf das Altstadt zurückführen lassen. Andererseits berücksichtigt der Plan auch nicht, dass viele Besucher von außerhalb kommen.