Ruhrgebiet. Wandern, Waldbaden und Mikroabenteuer: Auch junge Menschen lockt es zunehmend in den Wald. Die neue Begeisterung führt aber auch zu Konflikten.

Spaziergänger, Wanderer, Jogger, Walker, Hundebesitzer, Mountainbiker, Reiter, Geocacher, Jäger, Ruhesuchende, die in Waldluft baden wollen … Das „Multitalent Wald“, sagt Thomas Kämmerling nicht ohne Witz, „ist auf vielen Feldern unterwegs.“ Der Herr über die Wälder des Regionalverbands Ruhr (RVR) beobachtet schon seit fünf Jahren, dass es mehr und mehr Menschen zurück zur Natur zieht. „Doch Corona tut noch einen Schlag drauf. Ganz grob geschätzt“, sagt der Betriebsleiter von „RVR Ruhr Grün“, seien ein Drittel mehr Besucher im Wald als im Vorjahr.

Auffällig findet Kämmerling, „dass selbst die Jüngeren verstärkt unterwegs sind“ – ja, sogar seine eigenen Söhne, die dem väterlichen Arbeitsplatz eher reserviert gegenüber standen! Aber ist dieser Effekt nachhaltig?

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„Das zeigt sich darin, dass gerade die Jüngeren wiederholt in den Wald kommen“, sagt Kämmerling. Weg vom Handy, hin zur Ruhe … So beschreibt es auch Heinrich Reuter, der das Ausfluglokal Bergerhof in Hattingen betreibt: „Junge Menschen wandern mehr. Vor allem Gruppen junger Frauen zwischen 20 und 30.“ Aber auch viele Pärchen beobachtet er in der Elfringhauser Schweiz: „Meistens sind es die Frauen, die die Rucksäcke haben. Die Männer laufen hinterher.“

Langsam kommt eine Grenze

Natürlich gibt es Konfliktpotenzial, wenn so viel mehr Menschen unterwegs sind – gerade im Ruhrgebiet. Während im Deutschlandschnitt auf einen Einwohner knapp 1400 Quadratmeter Wald kommen, ist es in der Region nur ein Zehntel. (Etwa 75.000 Hektar Wald hat das Revier.) „Die Nachfrage wächst permanent“, sagt Kämmerling. „Aber viele sagen auch, dass man langsam an eine Grenze kommt.“

Mehr „Ranger“ sind eine Reaktion darauf. Kämmerling berichtet von „gewissen Aggressionen“, seine Leute werden manchmal „verbal angegriffen“, wenn sie Besucher ansprechen, weil der Hund im Naturschutzgebiet die Bodenbrüter stört; weil der Mountainbiker abseits der vorgesehenen Pfade unterwegs ist oder der Walker auf dem Reitweg.

Auch bemerkt Kämmerling „eine steigende Vermüllung. Zum Glück ist die Witterung nicht so wie in den Vorjahren, und die Waldbrandgefahr ist niedrig.“ Reuter dagegen stellt in seinem Umfeld fest, dass der Müll nachgelassen habe. „Die Leute haben wirklich mehr Verständnis für die Natur entwickelt.“

Die Nutzergruppen zu trennen und Rückzugsräume gänzlich vor ihnen zu schützen, ist Kerngeschäft für Förster. „Darum haben wir den 42 Kilometer langen Mountainbike-Trail in der Haard geschaffen“, sagt Kämmerling. Und „das Waldbaden hat um sich gegriffen. Es ist erwiesen, dass der Wald Stress abbaut. Da ist fast ein Markt entstanden.“

Die neuen Mikroabenteurer

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Nun kommen als neue Nutzer die Mikroabenteurer dazu. Der Trend ist jung, und als „Abenteuer vor der Haustür“ qualifiziert vieles: von der Mountainbike-Tour rund um den Tagebau Garzweiler über die Kanutour auf der Wuppertalsperre bis zur Erkundung verlassener Häuser. Oft drehen sich die Mikroabenteuer aber um Übernachtungen in der Natur – was rechtlich und praktisch nicht ganz einfach ist.

„Man denkt immer, um Abenteuer zu erleben, muss man weit weg fahren und sich durch den Dschungel schlagen“, erklärt der 25-jährige Oliver W. aus Gelsenkirchen. „Aber eigentlich braucht man nicht viel. Wenn man nur draußen übernachtet, ist man schon sehr weit aus dem Alltag.“ Während des Lockdowns ist ihm „irgendwann die Decke auf den Kopf gefallen“, dann sah er eine Dokumentation über Mikroabenteuer – und drei Tage später legte er sich mit Isomatte und Schlafsack unter eine gespannte Plane auf der Halde Rungenberg. Das ist die gespaltene Pyramide mit den zwei Scheinwerfern.

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Ohne Zelt, das ist die Idee. Das Verlassen der Komfortzone. „Man ist noch ein bisschen mehr draußen als sonst“, sagt Oliver W.. „Man hört die Geräusche intensiver, kann in die Sterne schauen.“ Um den Sonnenaufgang zu erleben, hatte er sich einen Wecker gestellt, doch den brauchte er gar nicht. Zwei Wochen später hat er in der Eifel direkt am Stausee gelagert.

Es ist verboten, auf Halden zu lagern

Delia Biehl will mit Pferden im Freien übernachten. 
Delia Biehl will mit Pferden im Freien übernachten.  © HO | Privat

Auch wenn Oliver W. natürlich keinen Schaden angerichtet hat – erlaubt ist es nicht, auf Halden zu schlafen. Denn die sind Eigentum des Regionalverbands Ruhr. Und auf Privatgrund wie in Schutzgebieten sind das „Wilde Campieren“ und Lagern (Biwakieren) untersagt. So nennt man das „Schlafen unter freiem Himmel“. Man muss diese Unterscheidung machen, denn Zelten außerhalb ausgewiesener Plätze ist in NRW immer verboten, während der Biwak im „normalen“ Wald eine Grauzone ist. So oder so würden zu viele „Abseits-der-Wege-Lagerer“ wohl die Natur stören und man läuft Gefahr, mit Jägern in Konflikt kommen. Feuer, auch der Campingkocher, sind immer tabu.

Das ist Delia Biehl aus Hattingen bewusst. Darum hat sie für ihren geplanten Pferdeausritt mit Übernachtung Bauern gefragt, ob sie bei ihnen übernachten dürfe – zu ihrer Überraschung lehnten die ab. „Sie befürchteten, dass Wanderer das sehen und sich animiert fühlen.“ Was die 33-Jährige verstehen kann. „Am Wochenende sind ja mittlerweile mehr unterwegs als auf der A40“. Sie will weitersuchen, denn auch sie findet: „Für ein Abenteuer muss man keine Fernreisen machen.“

>> Info: Legal Lagern

Um das legale Übernachten unter freiem Himmel oder mit Wohnmobilen in der Natur zu vereinfachen, haben vier Studenten aus Paderborn vansite.eu gegründet. Ab Mitte Juli soll die Seite Waldbesitzer oder Landwirte mit Campern zusammenbringen.

Auch der Naturpark Hohes Venn - Eifel hat den Trend erkannt und ein Netzwerk von Naturlagerplätzen eingerichtet: www.trekking-eifel.de.