Essen. Nach dem Germanwings-Absturz mit 150 Toten forderten Angehörige mehr Schmerzensgeld von der Lufthansa. Nun hat das Gericht sein Urteil verkündet.
Von 184 Hinterbliebenen war Klaus Radner aus Düsseldorf am Mittwoch der einzige im Gerichtssaal. Der einzige, der hörte, was die Zivilkammer des Essener Landgerichts entschieden hat:Gut fünf Jahre nach dem ein Flugzeug der Germanwings auf seinem Weg von Barcelona nach Düsseldorf abstürzte bekommen die Angehörigen der Opfer nicht mehr Schmerzensgeld.
Und schon gar nicht von der Lufthansa. Klage abgewiesen, Termin geschlossen. Klaus Radner (65) hatte „Gerechtigkeit erwartet“, er ging mit einer „schweren Enttäuschung“.
Germanwings-Unglück: 150 Menschen starben
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Es war den Klägern eigentlich nicht ums Geld gegangen: Die Schmerzensgeld-Klage war für sie ein Vehikel, tatsächlich wollten sie öffentliche Aufklärung. Wollten wissen, wer schuldig ist am Tod von 150 Menschen, wer Verantwortung trägt, wieso niemand verhindert hat, was Klaus Radner so sagt: „Der Copilot hat drei meiner Liebsten umgebracht.“ Seine Tochter, sein Enkelkind, sein Schwiegersohn starben an jenem am 24. März 2015, als Andreas Lubitz (27) ihr Flugzeug auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf in ein französisches Bergmassiv steuerte.
„Kein Geld der Welt“ aber würde ihnen ihre Kinder wiedergeben, das hatten die Familien immer wieder betont. Die Erwartungen waren also hoch, das weiß auch Richter Lars Theissen, und doch: „Am Ende“, sagt er, „geht es doch ums Geld.“
Richter: "Ein Zivilprozess ist kein Untersuchungsausschuss"
Ein kurzer, hilfesuchender Blick, Klaus Radner sieht seinen Anwalt an, sein Kiefer malmt. Während Theissen erklärt, was er gar nicht tun müsste, faltet der trauernde Vater seine Maske bis zur Unkenntlichkeit. Die Plätze von sieben weiteren Klägern neben ihm sind leer geblieben, auch die klageführenden Rechtsanwälte sind zur Urteilsverkündung nicht erschienen. Zu glauben, sagt der Richter aber auch an ihre Adresse, hier würden „Schuldige vorgeführt“, sei „im Ansatz verfehlt“ gewesen. „Ein Zivilprozess ist kein Untersuchungsausschuss.“
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Zudem habe diese Untersuchung bereits stattgefunden. „Andreas Lubitz hat den Absturz verursacht und ist verantwortlich.“ Das sagen die Ergebnisse aller Ermittlungen; Klaus Radner aber sagt, Familie und Ärzte hätten „versagt“. Keiner habe den depressiven Piloten „dazu angehalten, seinen Beruf aufzugeben“. Auch nicht die Flugschule in den USA, eine Tochter der Lufthansa und ebenfalls Beklagte, die von der psychischen Erkrankung Lubitz’ gewusst habe.
Co-Pilot war am Tag des Unglücks krankgeschrieben
„Niemand“, sagt Richter Theissen dazu, „würde auf die Idee kommen, einen Fahrlehrer zu belangen, wenn sein Fahrschüler Jahre später in den Gegenverkehr fährt.“ Radner knetet seine Maske zu einem Ball. Man könne, so Theissen, auch nach heutigem Recht den Copiloten nicht lebenslang vom Flugbetrieb ausschließen.
Lubitz, das ist inzwischen hinlänglich bekannt, war bereits früher erkrankt und hatte sich kurz vor dem Absturz wieder in ärztliche Behandlung begeben. Am Tag des Unglücks war er sogar krankgeschrieben.
Gericht: Die Lufthansa war nicht Arbeitgeberin des Copiloten
„Vielleicht“, sagt Theissen, seien Fehler gemacht worden, vielleicht hätten Ärzte etwas übersehen, vielleicht „hätte es Gelegenheit gegeben, hinter seine (Lubitz’) Fassade zu schauen“. Aber selbst wenn, dann sei die Lufthansa dafür nicht haftbar zu machen. Flugmedizinische Untersuchungen seien Staatsaufgabe, das hatte die Kammer bereits beim Prozessauftakt im Mai angedeutet: Die Ärzte seien keine privaten Dienstleister, zuständig sei das Luftfahrtbundesamt. „Die Lufthansa war nicht Arbeitgeberin von Andreas Lubitz, sie war auch nicht Betreiberin der Flugverbindung.“
Überdies reiche für eine Haftung die bloße Forderung der Kläger nicht aus, „man hätte irgendetwas tun müssen“. Die Betroffenen, darunter auch die Eltern mehrerer Spanisch-Schülerinnen aus Haltern am See und einer ihrer Lehrerinnen, brächten mit diesem „irgendetwas“ ihre Ohnmacht zum Ausdruck, sie suchten nach Erklärungen und Trost. Aber „man kann nicht die Schuld auf jemanden schieben, den man sich selber aussucht“, nur weil Lubitz selbst nicht mehr zu belangen sei.
Das Gericht hat den Angehörigen keinen Gefallen getan
Zum Schluss seiner kurzen, schnellen Ansprache äußert Lars Theissen „Mitgefühl“, „Ihr Schmerz wird von niemandem negiert“. Die Urteilsbegründung gibt es schriftlich. Klaus Radner bleibt noch einen Moment sitzen, draußen, die Maske immer noch in der Hand, sagt er, er könne die Entscheidung „überhaupt nicht nachvollziehen“. Und: „Das Gericht war mit dem Sachverhalt überfordert.“ Was falsch sei an dem Urteil? „Alles.“
Rechtsanwalt Prof. Elmar Giemulla aus Berlin, der fast 200 Angehörige vertritt, wird später sagen, nun wisse man überhaupt nicht mehr, wer verantwortlich sei. „Die Lage wird noch unsicherer. Das Gericht hat den Angehörigen damit keinen Gefallen getan.“