Ruhrgebiet. Der Regionalverband hat eine 42-Kilometer-Strecke für Mountainbiker angelegt. Der Sport soll so gefördert werden: und Naturzerstörung verhindert.

Eigentlich stünde Ben Zwiehoff jetzt kurz vor der Reise zu den Spielen in Tokio, aber tatsächlich steht er in einem nassen Wald in Haltern. Man kann sich’s halt nicht immer aussuchen. Aber wenigstens ist der Profi-Mountainbiker aus Essen am Donnerstag so etwas wie der Stargast bei der Eröffnung eines neuen Mountainbike-Rundkurses: „Haard on tour“, 42 Kilometer durch die Wälder im nördlichen Ruhrgebiet. Das ist jetzt hier willkommen, das Ruhrgebiet, also Sie alle, und die Strecke ist frei zugänglich. Für „Ruhrgebiet on tour“.

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Man wolle „die grüne Infrastruktur des Ruhrgebiets immer mehr verknüpfen“, sagt Nina Frense, die Dezernentin für Umwelt beim Regionalverband Ruhr (RVR). Der hat die Strecke für 50.000 Euro mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Union und des Landes angelegt. Aber nicht nur, weil er so nett ist, sondern die lobenswerte Sportförderung ist auch eine ordnungspolitischer Eingriff. Um Schwarzbauten und Naturzerstörung zu verhindern. „Wir müssen die Nachfrage nach Mountainbiking konzentrieren“, sagt Frense nämlich auch.

„Da fahren Leute mit Baggern in die Wälder und bringen sogar eigene Bauteile mit“

Thomas Kämmerling, Betriebsleiter des Eigenbetriebs „RVR Ruhr Grün“.
Thomas Kämmerling, Betriebsleiter des Eigenbetriebs „RVR Ruhr Grün“. © FUNKE Foto Services | Olaf Ziegler

Und zwar deshalb: Immer wieder („monatlich“) stoßen Förster und Revierpfleger in den riesigen Wäldern der Haard auf ungenehmigte Mountainbike-Strecken. „Das können Sie sich nicht vorstellen“, sagt Thomas Kämmerling, der Betriebsleiter des RVR-Zweiges „Ruhr Grün“: „Da fahren Leute mit Baggern in die Wälder und bringen sogar eigene Bauteile mit.“ Alle denkbaren Rampen habe man schon gefunden, „die betreiben einen Riesenaufwand“, aber da Ruhr Grün die Bauherren praktisch nie finde, bliebe nur der Abriss. Um die Anlagen sei es manchmal schade, aber nötig, um Schäden im Wald zu verringern.

Und das ist „Haard on tour“: Der 42 Kilometer lange Rundkurs berührt die Städte Datteln, Haltern, Marl und Oer-Erkenschwick. Einstieg und Ausstieg erfolgen über sechs Wanderparkplätze, der Weg bis zur Hauptstrecke ist ausgeschildert. Ebenso Abkürzungen, falls man sich keine 42 Kilometer antun will, aber wer will das schon nicht. Die Ausstiegsorte seien so gewählt, dass sie in der Nähe der Stadtzentren lägen und Bus und Bahn leicht erreichbar seien, so der Regionalverband.

Radler müssen hier jederzeit mit Leuten zu Fuß oder zu Pferd rechnen

Stelen an den Einstiegsorten machen allerdings auch nochmal deutlich, dass es hier vielleicht nicht um Ruhe, aber jedenfalls auch um Ordnung geht. Radler müssten „jederzeit mit Leuten zu Fuß und zu Pferd rechnen“, es sei „rücksichtsvolle Fahrweise notwendig“, und „Anordnungen von Behörden sind zu befolgen!“ Mit Ausrufezeichen.

Denn in der Haard ist es auch nicht anders als an anderen Orten, wo viele Menschen aufeinander treffen: Radfahrer und Fußgänger, Reiter, Läufer und Wanderer haben nicht immer genau dieselben Interessen und geraten gern schon mal aneinander.

„Es gibt gerade eine Riesennachfrage nach dem Produkt Wald“

Rot der Rundkurs, blau die Zuwege, gelb die Abkürzungen: Radler finden diese Darstellung an jedem Zutrittsort.
Rot der Rundkurs, blau die Zuwege, gelb die Abkürzungen: Radler finden diese Darstellung an jedem Zutrittsort. © FUNKE Foto Services | Olaf Ziegler

Die Haard, ein 55 Quadratkilometer großes Waldgebiet, hat sowieso Stress in diesen Tagen: durch die Trockenheit der letzten Monate, durch drei Brände in einer Woche und durch die vielen Menschen, die wegen Corona in die Natur drängen. „Es gibt gerade eine Riesennachfrage nach dem Produkt Wald“, sagt der 55-jährige Kämmerling. Rechnerisch kommen im Ruhrgebiet 120 Quadratmeter Wald auf einen Einwohner, das ist ein Zehntel des Wertes für ganz Deutschland.

Und Ben Zwiehoff, der Profi? Hat befunden, dass die neue Strecke „wahnsinnig Spaß macht“ und „für jeden etwas dabei ist“. Familien könnten „ein Ründchen drehen“, Sportler beispielsweise „42 Kilometer auf Zeit fahren“. Was braucht man denn für die ganze Strecke, Herr Zwiehoff? Unter zwei Stunden sei zügig, sagt der 26-Jährige, und wer sie in anderthalb Stunden schaffe wie er selbst: der könne im nächsten Jahr mitfahren. Nach Tokio.

Vier Millionen Menschen fahren in Deutschland intensiv Mountainbike

Auf allen erschlossenen Halden des Ruhrgebiets fahren Mountainbiker. Denn sie haben eine Wegenetz, die Fernsicht ist in der Regel hervorragend; und steckt nicht in dem Wort ,mountain’ auch ein ,montan’?

„Das ist kein Trendsport mehr, sondern ein stabiler Breitensport“, sagt jedenfalls Gerd Bongers (56) vom Regionalverband Ruhr (RVR), der die Szene im Ruhrgebiet kennt und selbst seit fast 30 Jahren fährt. In Deutschland betrieben ihn 12 Millionen Menschen ab und an und vier Millionen intensiv. Spezielle Zahlen für das Ruhrgebiet gibt es nicht; viele, würde man sagen, wenn man sich etwa auf Halde Hoppenbruch umschaut.

Vereine betreiben Anlagen in mehreren Städten

Dort betreibt der Verein „Free Rider Club Herten“ (frc-herten.de) eine eigens gebaute Anlage. Bei „Adler Bottrop“ (radler07.de) gibt es eine Strecke im Vorort Grafenwald („BMX Dirt Trail“), die sich mit vielen Schau- und Sprungelementen vor allem an Jüngere wendet. Die SG Neukirchen-Vluyn (sg-neukirchen-vluyn.de) im äußersten Westen des Reviers unterhält eine Strecke in der Disziplin „Downhill und Enduro“ auf der Halde Norddeutschland. Alle Vereine freuen sich über Interesse und Anfänger.

Die Entsorgung Dortmund GmbH (EDG) hat auf dem Deusenberg, einer früheren Deponie, mehrere Strecken unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade für Querfeldein-Radler angelegt. Sie ist öffentlich zugänglich (Tel. 0231/9111111).

Der größte Reiz ist eine attraktive Streckenführung

Der Profi Ben Zwiehoff macht seine Mountainbike-Mätzchen auf dem neuen Weg.
Der Profi Ben Zwiehoff macht seine Mountainbike-Mätzchen auf dem neuen Weg. © FUNKE Foto Services | Olaf Ziegler

Darüber hinaus gibt es etliche Mountainbike-Vereine ohne eigene Anlage. Denn man kann auch einfach im Gelände fahren. Dabei gelten etliche Auflagen des Natur- und Waldschutzes, und es dürfen auch nicht alle Wege befahren werden.

Dabei ist das grundsätzlich flache Ruhrgebiet keine, nun ja, Hochburg des Querfeldein-Fahrens. Die liegt in NRW im Sauerland, natürlicherweise wegen der Berge und menschengemacht durch das Bemühen der Städte dort, ein tragfähiges Angebot für Sommertourismus zusammenzutackern. Der Reiz, sagt Bongers, liege für viele Fahrer aber nicht in möglichst vielen „Tiefenmetern“, sondern in einer attraktiven Streckenführung: „Manche wollen nur durch Wald, andere wollen Abwechslung.“

Veranstalter bieten auch geführte Mountainbike-Touren an

Im Gegensatz zum Ruhrgebiet gibt es im Sauerland ein Ausleihsystem für Mountainbikes. Im Ruhrgebiet leihen, wie es heißt, nur die Anbieter von Fahrtechnik-Kursen die speziellen Räder aus. Im Angebot sind auch geführte Mountainbike-Touren über die Halden oder mehrtägige Fahrten durch die ganze Region.

Man kann die Geländefahrt auf zwei Rädern sehr unterschiedlich betreiben. Die meisten machen Touren, es gibt aber auch Strecken, auf denen es ausgesprochen sportlich wird und die Kondition stimmen muss.