Dortmund. Hektisch haben die Schulen sich auf den ersten Unterrichtstag nach dem Lockdown vorbereitet. In Dortmund zumindest lief er gespenstisch ruhig ab.
Heute ist zwar Donnerstag, aber in der Milchbar am Eingang mampft heute keiner die hiesige Spezialität Nuggetbaguette. Das Phoenix-Gymnasium in Dortmund-Hörde hat wieder geöffnet, doch es wirkt von außen wie von innen so gespenstisch wie in den Wochen zuvor. Was daran liegt, dass nur 24 Abiturienten die ersten zwei Stunden besuchen, die deren Nachnamen mit A bis H beginnen. Immer sechs besuchen einen von vier Leistungskursen, die je eine Viertelstunde versetzt anfangen. Gegen 10 Uhr verlassen alle ohne Pause das Schulgebäude und die nächste Gruppe tritt ein. So geht es viermal. Der einzelne Schüler hat also zwei Stunden Unterricht, oder besser: die Gelegenheit letzte Fragen zu stellen. Der einzelne Lehrer muss viermal das Gleiche erzählen.
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Fast jede Schule scheint ein leicht anderes Konzept zu fahren, um den „Schulneustart“ in NRW für die rund 88.000 Abiturienten und 308.000 weiteren Schüler hinzubekommen, die vor Abschlüssen stehen. Viele Schulleiter fühlten sich allein gelassen von der Landesregierung in der Vorbereitung. Es hagelte Kritik an Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) von Lehrer-, Eltern- und Schülerverbänden. Die dankte am Donnerstagnachmittag „allen Beteiligten für ihr großes Engagement“. Der Start sei gut gelungen.
„Eure Tische sind von mir eigenhändig geputzt und desinfiziert worden“, sagt die Schulleiterin. „Darum müsst ihr Euch keine Sorgen machen.“ Es war alles so kurzfristig, dass das Kollegium selbst zu Eimer, Lappen und Desinfektionsmittel griff.
Die Türe bleibt auf, so dass keiner die Klinke anfassen muss. Vor dem Wechsel wird gut gelüftet. „Bitte wasch dir die Hände“, fordert Erdkunde-Lehrer Patrick S. auch die fünfte Schülerin auf, die den Raum betritt. Nur ein Mitschüler ist nicht erschienen, vielleicht hat er Gesundheitsbedenken? Die Schülerin trägt eine Maske, was Annette Tillmanns in den Fluren vorgegeben hat, „wenn es enger wird“. Im Klassenraum aber stehen die Tische weit genug auseinander. Mit Maske unterrichten, das möchte sich Tillmanns lieber nicht vorstellen. Wäre Stoff nicht auch schnell zu feucht, bräuchte man nicht für jede Stunde eine neue Papiermaske?
„Es ist so ruhig hier wie noch nie“, sagt Patrick S. Ja, es ist der wohl ruhigste Unterrichtstag aller Zeiten. In vielen Schulen gibt es nun Einbahnflure! Flatterband-Korridore! Rechtslaufgebote! Kein Rennen, kein Rufen, keine Pause – der Kontrast ist umso stärker, da der Gong die Assoziation in Gang setzt. In Bochum spricht Kristian Reichstein, Leiter der Heinrich-Böll-Gesamtschule von „Totenstille in den Klassenräumen“ – obwohl 267 Schüler betreut werden. Für die Zehntklässler ist der Besuch sogar verpflichtend. Aber auch in Bochum werden die Schüler nur zwei Stunden in Kleingruppen unterrichtet – und Abstand ist ein Stimmungskiller.
Mit dem Stoff sind sie eigentlich durch
„Irgendwann muss man ja anfangen“, sagt Patrick S. in Dortmund. „Was es bringt, wird man sehen, wenn die Schüler ihre Abiklausuren geschrieben haben.“ Heute wäre eigentlich der Termin für selbige gewesen. Und wenn es nach Schulleiterin Annette Tillmanns gegangen wäre, hätten die Schüler sie auch geschrieben. Drei Unterrichtswochen fehlten nur noch, wovon eine als Mottowoche eher dem Leben-lernen gewidmet gewesen wäre. „Eigentlich waren sie durch.“
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Das findet auch Nils (18). „Wir haben zum Glück alles Wissen aus dem Unterricht und es gibt ja auch das Internet.“ Er glaubt auch, dass die Abschlussklausuren etwas einfacher ausfallen werden als üblich. „Uns wird wahrscheinlich geholfen, denn keiner will ein Loch bei den Ausbildungs- oder Studienplätzen.“ Die Abiklausuren, die ab dem 14. Mai nachgeholt werden, sieht Nils positiv. „Man hat die Chance, sich noch zu verbessern. Aber es kommt auf jeden Schüler an, ob man das fair findet.“ Youssra (18) dagegen empfindet es als Risiko, in die Schule zu kommen: „Sie ist ja ein Hauptansteckungsort. Ich glaube auch nicht, dass zwei Stunden pro Fach viel bringen werden. Andererseits geht es ums Abi.“
Darum starten sie sogleich mit einer Abiklausur von 2018: „Worum geht’s“, fragt Patrick S. – und merkt sofort dass es neue Spielregeln braucht, als eine Schülerin aufzeigt: „Ihr könnt einfach reden.“ – „Um sanften Tourismus.“ – „Aber zu welchem Zweck?“ – „Zur Raumentwicklung.“ – „Fast.“ Das eigentliche Thema sind Entwicklungsdefizite. Und vielleicht ist es doch ganz gut, diese Übung einzuschieben, damit niemand im Abi die Frage verfehlt.