Ruhrgebiet. Die Diagnosezentren im Ruhrgebiet machen täglich Hunderte Corona-Abstriche. Doch nicht jeder kann getestet werden. Patienten beschweren sich.
Fieber sollte man schon haben, Husten auch und mindestens Halsweh. Was Patienten sonst noch mitbringen müssen in die Diagnosezentren des Reviers, unterscheidet sich von Stadt zu Stadt und von Arzt zu Arzt. Habe ich Corona oder nicht? Der Test scheint derzeit fast so begehrt wie Toilettenpapier – und ist ebenso nicht für jeden zu haben.
Der Geschichten sind so viele von Menschen, die es endlich wissen wollen. Bei Familie K. in Essen lag fast die ganze Familie flach, die zwölfjährige Tochter war im Skiurlaub in Tirol, in einem Hotel mit anderen Infizierten. Die Stadt empfahl Quarantäne. Keinen Test. Mutter S. erzählt vom „starken Husten“ ihrer Tochter (zurückgekehrt aus Südtirol), 39,6 Grad Fieber und davon, wie sie sich ansteckte. Quarantäne, kein Test. „Bestimmt nur eine Erkältung, bleiben Sie zuhause“, hörte A., Angehöriger einer Risikogruppe. In Dortmund musste ein 79-Jähriger mit Lungenentzündung zu drei Ärzten, keiner machte einen Test. Und Frau M. berichtet von einer ganzen Familie mit drei Kindern, in der alle „eindeutige und typische Symptome“ hatten. Kein Test, Quarantäne nur für die Mutter: „Russisches Roulette“, sagt M.
Mülheim und Oberhausen kommen zusammen auf 90 Fälle
Tagelang standen die Leute zuletzt Schlange vor den Diagnosezentren, manche wurden nach Hause geschickt. In Mülheim mussten Anfang vergangener Woche Polizei und Ordnungsamt eine ungeduldige Menge auflösen, danach sicherten Feuerwehr und Sicherheitskräfte das Zentrum im Stadtteil Saarn. Die verfügbaren Tests seien begrenzt, sagte Dr. Frank Pisani vom Gesundheitsamt, „wir sind am Limit“. Noch immer müssen Patienten hier eine Überweisung des Arztes mitbringen, einen Abstrich gibt es nur mit Termin – und mit Symptomen. Bis Donnerstag hat Mülheim so 42 positive Fälle gezählt, Oberhausen 48.
Die strengen Zugangsregeln haben die Situation inzwischen leicht entspannt. Keine Schlangen mehr in Mülheim, in Oberhausen war das mit Planen verhängte „Drive In“ am Donnerstagmorgen schon um 10.30 Uhr verwaist, kein Andrang mehr. Andere Städte haben ihre Bedingungen für einen Test sogar entschärft: Dortmund, das täglich etwa 150 Patienten testet, tut das ohne Termin, ohne Überweisung, es reichen Corona-Symptome. Den Nachweis, in einem „Risikogebiet“ gewesen zu sein, verlangt selbst das Robert-Koch-Institut (RKI) nicht mehr. „Corona ist jetzt überall“, sagte RKI-Chef Lothar Wieler schon am Mittwoch. „Es macht keinen Sinn mehr, nach Gebieten zu unterscheiden“, sagt auch der Essener Virologe Prof. Dr. Ulf Dittmer.
„Als wenn man nur Privatpatienten testen würde“
Trotzdem klagen viele, die Tests reichten nicht aus: „Die gemeldeten Fallzahlen sind nur die Spitze des Eisbergs“, kommentiert R. einen WAZ-Artikel im Netz. Mehr noch: Hier werde, behauptet P., „systematisch versucht wird die Fallzahlen niedrig zu halten“. Dass Prominente getestet würden, „Normalos“ aber nicht, schreibt D., „ist genauso, als würde man nur die Privatpatienten testen und die anderen nicht“.
Dem widerspricht Prof. Dittmer scharf: „Aussagen, dass nur privilegierte Personen getestet werden“, sagt der Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Essen, „ist inhaltlich völlig falsch.“ In Essen teste man mit knappen Ressourcen vor allem Personen mit Vorerkrankungen und hohem Alter. „Diese Menschen haben oft gar keine Lobby und sind sicher nicht privilegiert.“ Auch die Art der Krankenversicherung spiele dabei überhaupt keine Rolle, schon weil der Test vom Gesundheitsamt und nicht von der Krankenversicherung bezahlt werde.
Zudem gebe es in Deutschland mit wöchentlich einer halben Million Tests mehr als anderswo, erklärt der Berliner Virologe Christian Drosten: „Der Grund, warum wir so wenige Todesfälle haben gegenüber der Zahl der Infizierten, ist dadurch zu erklären, dass wir extrem viel Labordiagnostik machen.“ Vorsorgliche Tests bei Menschen, die keine Symptome zeigen, seien darüber hinaus „medizinisch unsinnig“, sagt sein Kollege Dittmer. Wer noch keine Anzeichen der Erkrankung zeige, bei dem falle auch der Test meist negativ aus. „Ein negatives Ergebnis kann falsche Sicherheit vorgaukeln.“
Bei leichtem Verlauf daheim bleiben
Dittmer nennt flächendeckende Tests zudem einen „frommen Wunsch“: Man habe „Materialengpässe an allen Ecken und Enden“, „wir können nicht noch mehr testen“. Der Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Essen empfiehlt ebenfalls, bei einer leichten Erkrankung zunächst zuhause zu bleiben und sich auszukurieren. Bei Atemproblemen aber solle man „unbedingt ärztliche Hilfe“ in Anspruch nehmen. Menschen mit Vorerkrankungen indes sollten keine Zeit verlieren: „Genau für diese Menschen sind die Tests da, sie sollte man so schnell wie möglich testen, wenn sie Symptome haben.“
Die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) will in den kommenden Tagen eigene Behandlungszentren in den Städten einrichten, um Corona-Patienten zu untersuchen und zu behandeln. So sollen Kapazitäten gebündelt und Diagnosezentren wie Hausärzte entlastet werden. Wichtig sei, so KVWL-Chef Dr. Dirk Spelmeyer: „Wir weisen niemanden ab.“ Unterdessen hat in Duisburg ein Arzt seine eigene Idee gehabt, das Testproblem zu lösen: Dr. Jonny Bülthoff hat eine „Büdchen-Sprechstunde“ eingerichtet, seine Patienten bekommen Ansprache und Rezepte durch das geöffnete Fenster. Einen Abstrich können sie im „Corona-Stübchen“ selbst machen – unter Aufsicht.