Ruhrgebiet. Nach Schließung der Läden, die man nicht zum Überleben braucht, sind die Innenstädte nicht leer. Manche kaufen ein, es gibt auch andere Gründe.
Wenn es so etwas gibt wie halbwegs ausgestorben, dann ist das der Ruhrpark. 3510, 1493 und 2293 freie Parkplätze werden am Mittwochmittag angezeigt, nur Nagelstudio, Reformhaus und Brillengeschäfthaben gerade schlecht besucht auf, und selbst die Gastronomie ist komplett geschlossen. Einzelne Arbeiter putzen hier und reparieren da, ansonsten spielt der Wind mit Flatterband, Flatterband um Brunnen, Flatterband um Sitzbänke.
Doch vor dem Blumenladen tut sich was: Eine der wenigen Passantinnen bekommt einen Blumenstrauß in die Hand gedrückt. „Wir lieben unsere Blumen, wir verschenken sie jetzt, sagt die Chefin, sagt Bettina Pessara – verkaufen darf sie ja nicht mehr. Grünpflanzen verbleiben im Ladenlokal und bekommen weiter Wasser und Pflege, aber die Blumen sollen nicht verrotten. „Wir können den Leuten doch noch eine Freude machen.“
Die Rolltreppen transportieren heiße Luft aufwärts und abwärts
Mittwoch. Der erste Tag, an dem viele Geschäfte geschlossen bleiben müssen, damit Kunden einander nicht anstecken. Schuh und Bekleidung zu, Bücher und Schmuck zu, Galerie und Leiharbeitsbüro zu. Man kommuniziert schriftlich über zahlreiche, oft sehr freundliche Aushänge mit den „Lieben Kunden“ oder einfach „Euch“. Die Geschäftswelt wünscht: „Bleiben Sie gesund.“
Dortmund, die Innenstadt. Leerer als sonst, aber ausgestorben ist anders. Erst jetzt fällt wirklich auf, wie viele Bäcker und Friseure, Drogerien und Imbissbuden sich am Hellweg ballen. Anders ist es im Einkaufszentrum „Thier Galerie“: Wo nicht so viele Nahversorger sind, transportieren die Rolltreppen entschlossen warme Luft aufwärts und abwärts. Aber draußen? Ein Dortmund kriegst du nicht leer, noch nicht einmal ein Castrop-Rauxel, wie sich später zeigt. Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht raus – bleibt eine Vorstellung.
h&m hat die Gitter herunter, Karstadt Flatterband vor dem Eingang
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Im Eingang der Apotheke das Schild „Bitte hier warten. Wir rufen Sie auf.“ Klappt – und die Glieder der Warteschlange halten Abstand voneinander. Ein Supermarkt verweist darauf, von bestimmten Artikeln nur noch „haushaltsübliche Mengen“ zu verkaufen, und an der Kasse entspinnt sich der folgende Dialog zwischen Kassiererin und einer Kundin mit vier Kilo Mehl. „Zwei Pakete müssen Sie zurückstellen, tut mir Leid.“ – „Ich habe bisher nicht gehamstert“, sagt die Frau und nimmt zwei weg. Kassiererin wendet sich ab: „Irgendeine Ausrede hat jeder.“
h&m hat Gitter runter, Karstadt rot-weißes Flatterband vor dem Eingang; solches, wie es auch das Weihwasserbecken der Propsteikirche umgibt. Schaut aber niemand mehr hin, ist im Bereich der Normalität angekommen. Die meisten, die in der Stadt unterwegs sind, wollen einfach einkaufen. Andere wollen sich nicht den gefühlten Beginn des Frühlings verderben lassen, sitzen mit Kaffee in der Sonne und halten die Nachrichtenlage für „hysterisch“. Wieder andere müssen draußen arbeiten: Bauen ein Haus, reparieren die Straße. Und einige wirken wie Schaulustige, die sich die leere Stadt angucken wollen und ihrer eigenen Vorstellung buchstäblich selbst im Weg stehen.
Bettler: „Die denken, wir sind doch sowieso alle krank“
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Christian muss hier sein. Der Bettler sitzt in der Nähe der Reinoldikirche auf dem Boden, hat eine Plastkschale vor sih stehen, darin 1,50 Euro. „Wenn Sie überlegen, was sonst hier rumläuft, ist das wenig geworden“, sagt der junge Mann. Normal habe er um diese Zeit – es ist vielleicht halb elf – „schon mein Frühstück verdient, aber seit ein paar Tagen dauert es bis mittags“. Und die Menschen hielten zusätzlich Abstand: „Die denken, wir sind doch sowieso alle krank.“
Vielen, die geöffnet haben dürfen, fehlt die normale Laufkundschaft. „Wir gucken, was heute kommt, wenn nicht viel kommt, machen wir zu“, sagt Fausta Panciera im gleichnamigen Eiscafé. „Wir haben Strom und Personal.“ Und für 15 Uhr ist eh Geschäftsschluss verordnet. Auch der Taxifahrer klagt: „Dass die Kneipen zu sind, ist ein großer Schlag.“ Zwei von vier Taxis habe sein Betrieb schon stillgelegt.
„Wenn Sie sich hinsetzen, müssen Sie mir Name und Adresse aufschreiben“
Doch wie das immer ist in solchen Lagen: wächst das Rettende auch. Abgesehen von den zahllosen Angeboten im Internet, sind auch die Aushänge inzwischen unübersehbar geworden, durch die Menschen anbieten, zu helfen. „Wir sind drei Studentinnen . . .“, „Zögern Sie nicht, melden Sie sich gerne.“ Ein Pfarrer sagt: „Die Menschen, die helfen wollen, sind in der Überzahl.“
Merkwürdige Tage sind das. Ein Kollege will in einem Dortmunder Café etwas trinken. „Sie können das auch mitnehmen“, sagt der Kellner: „Wenn Sie sich hinsetzen, müssen Sie mir Name und Adresse aufschreiben.“ Klar, um nach einer Ansteckung die Kontakte zurückverfolgen zu können. „Sie können aber auch irgendwas schreiben. Ich kann ja schlecht Ihren Ausweis verlangen.“ Soweit isat es noch nicht.