Bochum. 60 Kellerspinnen sind bestellt, und Susi, die Vogelspinne, wohnt eh an der Ruhr-Uni. Im Mai werden sie wieder Spinnenangst heilen. Phobiker vor!

Im Büro von Dr. Andre Wannemüller hängt eine Tafel, mit dickem Filz beschrieben. „To.do Zwang“ steht darauf, „To-do Flug“ und „To-do Spinne“, und man ahnt es jetzt allmählich: Wannemüller hat mit Ängsten zu tun. Deshalb wollen wir Ihnen jetzt die erste nehmen, die Versagensangst: „Nichts funktioniert in der Psychotherapie so gut wie Angstbehandlung“, sagt der 40-jährige Therapeut, Forscher und Ausbilder an der Ruhr-Universität Bochum.

Hier, im „Forschungs- und Behandlungszentrum für Psychische Gesundheit“ in der Innenstadt, haben sie auch schon Flugangst bekämpft und die Angst vor dem Zahnarzt. „Die Palette der Ängste ist sehr breit“, sagt Wannemüller und zählt nur einige wenige Beispiele auf: Enge, Höhen, Tauben, „manche Menschen haben panische Angst vor Tauben“; Löcher, Gewitter, Blut, Spritzen, Verletzungen, Erbrochenes; ja, es gibt sogar die tief sitzende Angst davor, von einer Ente beobachtet zu werden.

Spinnenangst führt zu Wahnvorstellungen: Sie greift mich an

Klingt lustig, ist aber für die Betroffenen alles andere als komisch. Die Phobie vor dem Zahnarzt kann dazu führen, dass man lieber die Zähne verrotten lässt, als sie behandeln zu lassen, und am Ende sitzt man zitternd und mit einem eitrigen Abszess dann doch da und bettelt um eine Vollnarkose. Liest eigentlich noch jemand?

Andre Wannemüller (40) befasst sich im „Forschungs- und Behandlungszentrum für Psychische Gesundheit“ der Ruhr-Universität mit Zwängen und Phobien.
Andre Wannemüller (40) befasst sich im „Forschungs- und Behandlungszentrum für Psychische Gesundheit“ der Ruhr-Universität mit Zwängen und Phobien. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Jedenfalls kann die Angst vor Spinnen zu richtigen Wahnvorstellungen führen wie: Sie rennt auf mich zu. Sie krabbelt in meinen Ärmel. Sie klettert mir im Schlaf in den Mund, oh Gott! Nichts davon stimmt auch nur ansatzweise. „Wenn wir ausatmen, ist das für die Spinne wie ein Orkan für uns“, sagt der Fachmann. Sie könne uns auch kaum sehen, sondern nur die Erschütterung durch unsere Schritte wahrnehmen.

Manche Menschen können nicht in einer Wohnung bleiben, in der eine Spinne ist

Und dennoch gibt es Menschen, die können nicht allein in einer Wohnung bleiben, wenn sie wissen: Irgendwo in diesen Räumen ist eine Spinne. Aber sie tut uns doch nichts in Mitteleuropa? „Es gibt Hinweise, dass Spinnenangst in uns angelegt ist“, sagt Wannemüller: Denn „der Mensch stammt aus Afrika, wo man tendenziell auch gefährliche und giftige Spinnen treffen kann.“ Das sei ähnlich der Angst vor Schlangen: der Fluchtimpuls als ein Schutz. „Man hat vielleicht nicht mehrere Versuche, zu erproben, wie man mit Schlangen umgeht.“

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Doch zurück zu den possierlichen Kellerspinnen. Schon in der Vergangenheit haben die Therapeuten hier Spinnenangst geheilt. Doch Forscher wollen immer ganz genau wissen, was zu was führt. Und so wird es diesmal drei Gruppen von Probanden geben: eine Gruppe wird als solche therapiert, die Mitglieder der zweiten Gruppe bekommen eine individuelle Therapie. Und die aus der dritten bekommen ein allgemeines Anti-Stress- und Entspannungstraining – und Monate später, falls es noch nötig ist, ihre Spinnenangst-Therapie.

„Wir ermutigen die Teilnehmer, das auszuprobieren, aber jeder entscheidet für sich“

Die Gruppentherapie im Hörsaal des Behandlungszentrums dauert von vormittags bis abends, sie beginnt mit Informationen über Ängste und über Spinnen. Stephan Loksa wird dabei sein, der „Spinnenmann vom Aquazoo“ (so die Zeitung „Rheinische Post“), der auch durch Schulen und Kindergärten tourt und nach drei Stunden viele Mädchen und Jungen so weit hat, dass sie seine Rotknie-Vogelspinne Carla streicheln. Dann muss aber auch Schluss sein, denn dann ist Carla erschöpft.

Die Annäherung an die Tiere erfolgt vorsichtig. Und jeder Teilnehmer kann selbst entscheiden, wie weit er gehen will.
Die Annäherung an die Tiere erfolgt vorsichtig. Und jeder Teilnehmer kann selbst entscheiden, wie weit er gehen will. © Lars Heidrich / FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Aber natürlich läuft es auch in Bochum darauf hinaus, dass die Menschen sich den Kellerspinnen annähern, ja, sie berühren. „Wir ermutigen die Teilnehmer dazu, das auszuprobieren, aber natürlich entscheidet jeder für sich“, sagt Wannemüller. Vergangene Therapien hätten gezeigt, dass die Teilnehmer einander hülfen.

Forscher suchen noch 100 bis 120 Teilnehmer

Das Prinzip dahinter ist bei allen Anti-Phobie-Trainings dasselbe: Man setzt Menschen einer Situation aus, die ihnen Angst macht – und lässt sie erfahren, dass ihre furchtbaren Vorstellungen gar nicht wahr werden. Keine Spinne kommt gelaufen. Sie haut eher ab. Sie ist ja nicht doof. Und hat Angst vor ekligen Zweibeinern, die sich unberechenbar bewegen.

70 bis 80 Prozent der Teilnehmer erreichten das Ziel, sagt Wannemüller; und die Auflösung der Angst sei oft auch dauerhaft. 100 bis 120 Probanden werden noch gesucht, die Nachfrage ist gerade eher schleppend, vermutlich wegen der grassierenden Furcht vor Menschengruppen in Zeiten von Corona.

Weitere Informationen finden Sie im Internet unter „hilfebeispinnenangst.de“, dort kann man sich auch anmelden (hilfe-bei-spinnenangst@ruhr-uni-bochum.de). Und sich stattdessen Spinnen einfach wegzuwünschen, ist gar keine gute Idee: Ein halbes Jahr später, hat Wannemüller gelernt, wäre die Erde mit einer 20 Zentimeter hohen Schicht toter Insekten bedeckt.