Bochum. Bangemachen gilt vor Hunden und Spinnen, vorm Fliegen oder vor Prüfungen. Die gute Nachricht: Angststörungen in Deutschland nehmen nicht zu.
Da ist es wieder. Dieses Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Das Herz klopft wie wild, der Mund wird ganz trocken, Schweiß bricht aus, alles dreht sich. Das Gefühl: „Gleich sterbe ich!“ Und der Gedanke: „Weg hier! Nichts wie weg hier!“ Aber das geht nicht. Man kommt nicht raus: aus dem Aufzug, aus dem Flieger oder dem Meeting. Wir alle fürchten uns. Vor irgendetwas in unserem Alltag. Vor Hunden oder Spinnen, vorm Fliegen oder vor Prüfungen, davor, frei zu sprechen oder dass unser Partner sterben könnte. Gewinnt das die Oberhand über unser Leben, werden wir krank. Die gute Nachricht: Angststörungen in Deutschland steigen nicht weiter an.
„Angst ist etwas ganz Normales“, sagt Christina Totzeck, „sie ist natürlich. So wie alle Gefühle natürlich sind. Jeder Mensch kennt Angst.“ Seit 2012 arbeitet Totzeck am „Zentrum für Psychotherapie“ in Bochum, einem Institut, das der Ruhr Universität angeschlossen ist. Hier wird geforscht und ambulant behandelt, es gibt reguläre Therapieplätze und Lehrveranstaltungen. „Und: Angst ist auch wichtig“, so die Diplom-Psychologin und approbierte Psychotherapeutin, „sie bereitet uns auf Dinge vor und warnt uns vor Gefahren. Damit wir entweder fliehen können oder uns wehren und kämpfen.“
Die Furcht, im sozialen Kontext etwas falsch zu machen
Krankhaft wird Angst erst dann, wenn sie in einer so starken Ausprägung auftaucht, dass sie letztlich unkontrollierbar wird: „Wenn sie uns beherrscht und in unserem Alltag einschränkt. Wenn sie dazu führt, dass unsere Lebensqualität darunter leidet.“ Meist entwickelten sich solche Angststörungen eher schleichend: „Wenn ich etwa schon als Kind Angst vor Spinnen erlebt habe, aber später viel stärker darauf reagiere, als es der Situation angemessen ist. Und dann versuche, diese Situation zu vermeiden und dieses Vermeidungsverhalten beibehalte.“ Um beim Spinnenbeispiel zu bleiben: „Ich kann nicht mehr in den Keller gehen, weil ich weiß, dass es da eine Spinne gibt.“
Aus der Praxis weiß die 34-Jährige, dass Frauen häufiger als Männer davon betroffen sind. Und es nicht selten um sehr spezielle Ängste geht: „Wie um soziale Phobien. Dabei fürchtet man, in einem bestimmten sozialen Kontext etwas falsch zu machen oder sich falsch zu verhalten. Klassisch sind Prüfungsangst oder die Angst, vor anderen Menschen zu reden. Eine schlechte Leistung abzuliefern und dafür vermeintlich negativ bewertet zu werden.“ Im Extremfall, so die gebürtige Gelsenkirchenerin, könne das dazu führen, dass Menschen nicht mehr zur Arbeit gingen oder Schüler Prüfungen fernblieben.
Nicht mit Medikamenten gegen Angst vorgehen
Zwar belegen Zahlen, dass 25 Prozent der Deutschen schon einmal unter Symptomen einer Angststörung gelitten haben. Aber: „Dass diese Zahlen weiterhin ansteigen, ist nicht feststellbar. Im Gegensatz zu den USA. Dort ist auch beispielsweise die Selbstmordrate stabil, während sie bei uns signifikant gesunken ist.“ Erklärungen für diese Entwicklung gibt es verschiedene, beispielsweise, dass sich die Diagnostik hierzulande verbessert hat und Krankenkassen häufiger Therapiekosten übernehmen als früher.
Mit Medikamenten gegen Angst vorzugehen, hält die Psychologin für keine Lösung. Lieber setzt sie auf Verhaltenstherapie: „Es braucht Zeit, dem Kopf und dem Körper beizubringen, sich nicht mehr von Angst beherrschen zu lassen. Damit, dass der Therapeut mit dem Finger schnippt oder man eine kleine blaue Tablette bekommt und schon ist alles wieder gut, ist es nicht getan.“ Ob ergänzend zu einer Therapie Yoga oder Entspannungsübungen helfen können, sei eine Typfrage: „Die einen profitieren davon, andere powern sich lieber beim Sport aus.“
Als bräche der Boden unter den Füßen weg
Wenn die Angst die Oberhand über das eigene Leben gewinnt, kann das Frauen grundsätzlich ebenso treffen wie Männer. Aber warum widerfährt das Frauen dennoch häufiger? Die Angst-Expertin erklärt, dass zum einen hormonelle Unterschiede einen Einfluss hätten, aber es zum Beispiel auch eine Rolle spiele, wie Männer und Frauen mit Emotionen umgehen. Während Männer ihre Emotionen häufiger unterdrücken, reden Frauen offener darüber. Und nehmen deshalb, zum anderen, auch bereitwilliger Behandlungsoptionen wahr. Bei anderen psychischen Störungen ist das Verhältnis umgekehrt, beispielsweise erkranken Männer häufiger an Abhängigkeiten von Alkohol, Drogen und anderen Substanzen.
Angststörungen können auch schon bei Kindern auftreten: „Oft sind das Trennungsängste. Das Kind fürchtet, dass ihm selbst oder den Eltern etwas zustößt – und will dann konkret nicht bei Freunden übernachten.“ Wurden Trennungsängste früher nur Kindern zugestanden, zählen sie inzwischen auch unter Erwachsenen zu den Angststörungen, die in der Psychologie anerkannt sind. Hier bezieht sich das aber eher auf den Partner oder die Partnerin, Familienmitglieder und enge Freunde. So wie ein Kind in den Eltern Sicherheit, Wärme und Schutz verortet, können das auch Paare, Familienmitglieder und gute Freunde für den Erwachsenen tun. Besteht die Befürchtung, all das zu verlieren und manifestiert sich das, kann es sich so anfühlen, als bräche der Boden unter den Füßen weg. Obwohl er, eigentlich, noch da ist.
Auch die Gene haben Einfluss
Ob jemand tatsächlich erkrankt, kann von genetischen Ursachen abhängen, geht aber auch auf das Modell lernen („Mama hat Angst vor der Spinne, also hab’ ich die jetzt auch“) und auf Umwelterfahrungen (andere Kinder im Kindergarten haben Angst vor Spinnen) zurück. Besonders gefährdet ist man bei einer hohen Vulnerabilität (Verwundbarkeit), Stress-Situationen verstärken das noch: „Das können Probleme in der Familie oder im Beruf sein, ein Umzug oder eine neue Situation.“
Alles in allem bewertet Christina Totzeck die Situation in Deutschland eher positiv: „Im Vergleich zu vielen anderen Ländern haben wir in Deutschland durch Freiheit und Sicherheit und bessere Arbeitsbedingungen viele Vorteile. Trotzdem wären mehr Therapieplätze wünschenswert, um die Wartezeiten für Patienten zu verkürzen.“
Was ist was? Angst, Depression, Burnout und Phobie
Das sagt Christina Totzeck: Mitunter kann sich aus einer lebensbestimmenden Angst heraus eine Depression entwickeln, oder umgekehrt, eine Depression zusätzlich Angstsymptome erzeugen: „Burnout beschreibt einen eher depressionsnahen Zustand. Wenn ich sage: ,Ich habe mich so angestrengt und so viel für unsere Leistungsgesellschaft getan, und darüber bin ich krank geworden.’ Dann wird das eher akzeptiert als: ,Ich habe eine psychische Störung.’ Das wird bei uns noch immer stigmatisiert.“
Phobien hingegen gehören zu den Angsterkrankungen: „Man fürchtet sich vor sehr konkreten Dingen oder Situationen.“
Verbreitete Phobien sind beispielsweise: Arachnophobie (Angst vor Spinnen), Kynophobie (Angst vor Hunden), Akrophobie (Angst vor Höhe und Tiefe) oder auch die Aviophobie (Angst vor dem Fliegen). (sus)