Hattingen. Sebastian Kottmann produziert Lernvideos für seine 2a. Der „Kanal mit dem Fisch“ macht Spaß. Und soll besonders benachteiligten Schülern helfen.
Wenn Sebastian Kottmann sich nachmittags in seinem Arbeitszimmer mit „Plusaufgaben-Pärchen aus dem Zwanzigerfeld“ befasst oder mit „Geteiltaufgaben – Einmaleins umgekehrt“, entspricht das ziemlich genau den Erwartungen, die man an den Klassenlehrer einer 2a herantragen würde. Dass er dabei einen bunt zusammengeschnippselten Fisch als freundlichen Helfer bemüht, dass er mit Mikrofon und Handy-Kamera hantiert: das allerdings eher nicht.
Der 44-jährige Kottmann produziert Lernvideos. Mathe für Grundschüler. Die Arbeitsblätter zum Herunterladen für Übungen stellt er noch dazu ins Netz (https://mathe-grundschule.com). Kostet auch alles nichts. Und ist frei von Reklame. Das eigentlich Besondere aber ist: Während Lernvideos für Schüler der weiterführenden Schulen existieren sonder Zahl, gibt es für die Sechs- bis Zehnjährigen eher wenig. Und schon gar nicht so systematisch: Kottmann verfilmt quasi einen staatlichen Lehrplan. Er orientiert sich am nordrhein-westfälischen Lehrplan fürs Rechnen, hat in 50 Videos den Stoff der Klassen 1 und 2 komplett verfilmt und nimmt sich demnächst die 3 und die 4 vor. Die Jahrgänge also, in die seine Klasse demnächst hineinwächst.
„Ich merke, den Kindern tut es gut, und daran liegt mir etwas“
23 Kinder hat er da, von A wie Ahmet bis Z wie Zinet an der Grundschule Heggerfeld mitten in Hattingen, einem wuchtigen Bau von mehr als 100 Jahren mit hohen Decken. Die Schule, die er mit einer Kollegin kommissarisch leitet, sei „sehr speziell“, sagt Kottmann: „Sie hat einen schlechten Ruf, ich finde, zu Unrecht.“ Viele Kinder haben Migrationshintergrund, viele Eltern empfangen Sozialleistungen.
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Auf den Dreh mit den Lernvideos ist Kottmann eigentlich gekommen, um den Eltern seiner Kinder zu ermöglichen, zuhause mit ihnen zu üben, und dass nicht irgendwie, sondern didaktisch korrekt und in gutem Deutsch. „Ich möchte einen Beitrag zur Chancengleichheit leisten“, sagt er. Und: „Ich merke, den Kindern tut es gut, und daran liegt mir was.“
Die Hälfte der Jugendlichen lernt auch mithilfe von Youtube
Freilich neigen Filme in Kinderhand immer dazu, sich selbstständig zu machen; und natürlich ist es auch nicht verkehrt, wenn Eyub oder Tala sich die Lernvideos allein anschauen und dazu hören: „Wir rechnen 64 minus 26 in zwei Schritten, in 64 minus 20 und 44 minus 6.“ Ehrlich gesagt, gibt es sogar Kinder, die finden die Videos besser als den Unterricht. Aber das muss Lehrer Kottmann ja nicht erfahren.
In der Schulbildung gelten solche Filme heute als unverzichtbar. Nach der Studie „Jugend. Youtube. Kulturelle Bildung“, die allerdings 12- bis 19-Jährige befragte, lernt die Hälfte der Befragten auch mithilfe von Youtube. 60 Prozent würden sich wünschen, dass sich auch der Unterricht einmal mit Youtube befasst.
„Sie sind leicht verfügbar und können immer wieder angeschaut werden“
„Wir begrüßen Wege, die zum Lernen motivieren“, sagt Stefan Behlau, der Vorsitzende des „Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) NRW“: „Gute Lernvideos können eine sinnvolle Ergänzung sein. Sie sind leicht verfügbar und können immer wieder angeschaut werden.“
Ähnlich äußert sich Professor Stephan Schwan, ein Experte für den Erwerb von Wissen: „Selbstlernmedien haben gegenüber Präsenzveranstaltungen den großen Vorteil, dass sie es Lernern erlauben, den Lernprozess individuell nach ihren Bedürfnissen zu gestalten.“
Der Kanal mit dem Fisch
Wobei, leicht verfügbar . . . anfangs doch eher nicht. So witzelt Naima Bouzoubaa, deren Sohn in der 2a ist: „Wir lernen auch dabei, nämlich die Programme: Wie geht das.“ Und auch Kottmann erinnert sich mit einem breiten Grinsen an seine technischen Anfänge im Jahr 2018: „Ich filme das, und plötzlich ist das Bild hoch statt quer . . . Irgendwann kam mir auch die Idee, dass mit einem Mikrofon der Ton besser würde.“
An den Zugriffen sieht Kottmann, dass neben den ersten und zweiten Klassen der Heggerfeld-Grundschule zusehends auch Auswärtige auf seine Videos zugreifen. „Ich habe nicht die Absicht, Geld damit zu verdienen.“ Einen freundlichen Namen hat sein Kanal inzwischen auch. „Nachhilfe für Mathe in der Grundschule“ wäre ja auch allzu langweilig gewesen. Also heißt er: „Der Kanal mit dem Fisch.“ Die Ähnlichkeit mit der „Sendung mit der Maus“ ist aber rein zufällig.