Essen. Straßenkarneval feiern in einer Zeit, da die Angst vor dem Coronovirus umgeht? Der Essener Virologe Ulf Dittmer erklärt, was geht und was nicht.
Straßenkarneval in Zeiten des Coronavirus? Kann ich feiern gehen oder bleibe ich besser zuhause? Viele Menschen sind besorgt, fürchten, dass das Virus ihnen den Spaß verdirbt. Wir fragten einen Spezialisten fürs Thema, Prof. Dr. Ulf Dittmer: Geht das gut? Der 55-jährige leitet das Institut für Virologie am Essener Uniklinikum, das eng mit Medizinern in China, insbesondere in Wuhan, zusammen arbeitet.
Prof. Dittmer, medizinisch gesehen: Ist der Karneval in diesem Jahr gefährlicher als in anderen Jahren?
Dittmer: Im Moment gibt es im Rheinland noch keine mit dem Coronavirus infizierten Personen. Aber bis Karneval sind es ja noch zwei Wochen. Dann erst können wir die Lage einschätzen.
Würden Sie vorsichtigeren Naturen generell abraten, sich in größere Mengen zu begeben?
Ich würde abraten, wenn wir bis dahin konkrete Fälle hätten.
„Wir warten nach dem Neujahrsfest auf die Rückreisewelle aus China“
Rechnen Sie mit neuen Coronafällen in Deutschland nach Aschermittwoch?
Das ist schwer vorherzusagen. Aber wir warten derzeit auf die Rückreisewelle aus China. Viele Studenten und auch viele Firmen-Mitarbeiter sind für das Neujahrsfest nach Hause geflogen. Irgendwann kommen diese Personen zurück nach Deutschland...
Wahrscheinlicher als sich im Karneval das Coronavirus einzufangen, ist es, sich eine Grippe zu holen….
Das sehen wir jedes Jahr. Der Karneval ist neben der weihnachtlichen Reisezeit das „Hauptverbreitungsevent“ für grippale Infekte und die echte Grippe. Danach steigen die Infektionszahlen oft sprunghaft an. Klares, kaltes Wetter ist dabei am besten für die Übertragung von Grippeviren.
Manche und mancher kommt sich beim Feiern ja übers Bützen hinaus auch körperlich näher...
Tatsächlich haben wir nach Karneval einen Zustrom in unserer HIV-Ambulanz, wo wir inzwischen fast 2000 Patienten mit sexuell übertragbaren Krankheiten betreuen. Nach Karneval sprechen dort mehr Patienten als sonst vor, um aktuelle Probleme abklären zu lassen. Dass sich Menschen mit akuter HIV-Infektion vorstellen, erleben wir fast nur nach Karneval.
Der Mundschutz ist in wenigen Stunden durchnässt – und bringt dann nichts mehr
Wie kann ich mich vor einer Ansteckung schützen, bringt der Mundschutz etwas?
Nein, der normale ist in wenigen Stunden durchnässt und dann kommt da jeder Virus durch. Ein wirklich dichter, medizinischer Mundschutz ist sehr unangenehm zu tragen. Das tut man sich im Karneval nicht an.
Eigentlich müsste man dazu raten, andere möglichst wenig zu küssen und zu umarmen, sich keine Flaschen oder Gläser zu teilen, sich die Hände oft zu waschen.
Sie kommen aus Bremen, richtig?
Ich weiß ja, Abstand halten ist im Karneval schwierig...
Gibt es Möglichkeiten einer Ansteckung vorzubeugen?
Der beste Schutz vor Grippe, den wir haben, ist die Grippeschutzimpfung. Auch wenn sie nicht immer hundertprozentig schützt. Grundsätzlich hilft auch eine Vitamin-C-reiche, ausgewogene Ernährung.
Und wenn ich mich nach Karneval tatsächlich krank fühle – soll ich zum Hausarzt gehen oder lieber doch gleich die Bio-Taskforce der Essener Feuerwehr alarmieren, die sich um Corona-Patienten kümmern soll?
Gehen Sie zum Hausarzt, wenn Ihnen das noch möglich ist. Rufen Sie die 112 an, wenn es wirklich schlimm ist. Die entscheiden dann, ob die Taskforce kommen muss oder nicht.
Im Wartezimmer steckt man sich ja auch gern an...
Eigentlich müsste jede Praxis, jede Klinik zwei Eingänge haben, wie unsere neue Notaufnahme seit Anfang letzten Jahres. Einer ist eigens gedacht für Patienten, die vermuten, dass sie an einer ansteckenden Krankheit leiden. Aber leider gibt’s das in Deutschland kaum.
Notaufnahme der Uniklinik hat einen eigenen Eingang für „ansteckende“ Patienten
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Das Essener Institut für Virologie spielt eine Schlüsselrolle im Kampf des Landes gegen das Coronavirus. Landen auch viele Anrufe besorgter Bürger bei Ihnen?
Auch Düsseldorf, Köln, Bonn und Bochum haben inzwischen Tests etabliert. In Essen können Corona-Verdachtsfälle aus dem ganzen Ruhrgebiet betreut werden. Anrufe kommen vor allem von Arztpraxen und anderen Kliniken, die fragen, wie sie mit möglichen Verdachtsfällen umgehen sollen.
Ist die Angst vor dem Coronavirus, die ja auch geschürt wird von den Bildern aus China, begründet?
Das neue Virus ist eines, über das wir noch wenig wissen. Deshalb gilt es, es genau zu beobachten.
Tatsächlich tragen die drastischen Maßnahmen, die die chinesische Regierung ergriffen hat, ein bisschen zur Panik bei. Aber deren Reaktion jetzt ist historisch zu erklären. Man versucht die Schmach von 2002/2003 auszubügeln. Der damalige SARS-Ausbruch wurde komplett falsch gemanagt. Bei dem, was wir heute sehen, ist das neue Coronavirus aber weit ungefährlicher als das SARS-Coronavirus – oder sogar die Grippe. In der letzten schlimmen Grippesaison 2017/18 starben in Deutschland rund 25.000 Menschen.