Essen. Verdachtsfälle werden in NRW nach Essen oder Düsseldorf gebracht. Das Ruhrgebiet arbeitet aufs Engste zusammen mit den Medizinern in Wuhan.

Der Druck auf Xin Zheng ist gewaltig, sie leitet die Infektiologie der Uniklinik von Wuhan, der abgeriegelten Millionenstadt. Sie kämpft in China an vorderster Front gegen die Corona-Epidemie, an die 700 Patienten täglich kommen unter Seuchenverdacht in ihre Abteilung; die meisten haben „nur“ Grippe. „Aber Xin Zheng muss ja nicht nur Medizinerin sein, sondern auch mit Kollegen und der Öffentlichkeit arbeiten“, berichtet Mengji Lu. „Sie ist völlig erschöpft.“ Er kennt die Kollegin gut, telefoniert oft mit ihr, sie war die erste chinesische Studentin, die bei ihm promoviert hat – 1997 in Essen. Auch ihr Vorgänger in Wuhan hat vier Jahre lang in Essen geforscht.

Die Uniklinik Essen ist seit etwa dreißig Jahren aufs Engste verknüpft mit der in der zentralchinesischen Metropole. Professor Mengji Lu selbst lebt seit 25 Jahren im Ruhrgebiet. Mit 1800 Studenten aus dem Reich der Mitte ist die Uni Duisburg-Essen die wohl wichtigste deutsche Partneruni für China. Duisburg ist gar Partnerstadt von Wuhan und über eine Güterzugstrecke der neuen Seidenstraße direkt angebunden. Allerdings sind die Züge nur mit zwei Personen bemannt, die wegen der Reisedauer vermutlich in Russland erkranken würden. Dennoch gibt es einen regen Forschungs- und Wirtschaftsaustausch, der das Risiko einer Einschleppung birgt – aber auch die Chance, immer auf dem medizinisch neuesten Stand zu sein.

Die Virologen Mengji Lu und Ulf Dittmer von der Uniklinik Essen
Die Virologen Mengji Lu und Ulf Dittmer von der Uniklinik Essen © FFS | Ralf Rottmann

„Ich bin mir ziemlich sicher, dass es Verdachtsfälle geben wird“, sagt Ulf Dittmer, Direktor der Essener Virologie. Schon allein, weil gerade Grippesaison ist und sich die Symptome nicht unterscheiden, werden wohl viele Patienten untersucht werden müssen. Der gesamte Verlauf der neuen Krankheit ähnelt einer Grippe, nur dass das Coronavirus zu einer Lungenentzündung führen kann, die manchmal tödlich verläuft. In allen 17 bislang bekannten Fällen seien die Patienten durchs Alter geschwächt oder an der Lunge vorerkrankt gewesen.

So reagiert die Medizin bei Verdachtsfällen

Taucht irgendwo in NRW ein Verdachtsfall auf, wird die Essener Feuerwehr gerufen. Hier sitzt die „Bio Taskforce“ mit speziellen Fahrzeugen für den Transport von Isolationspatienten. Sie bringt die Patienten in die Unikliniken Essen oder Düsseldorf, wo eine noch speziellere Isolierstation bereitsteht. Doch Corona ist nicht Ebola. So müssen Ärzte bei der Behandlung keine geschlossenen Anzüge mit Atemgerät tragen, es genügt der Einmalanzug, ein Mundschutz höherer Klasse, Spritzschutz und Kopfabdeckung. Die Essener Isolierstation wirkt wie eine Intensivstation, nur dass die Einzelzimmer durch Unterdruck-Schleusen vom Gang getrennt sind. Im Zimmer herrscht noch ein tieferer Luftdruck, so dass der Luftsog stets nach innen weist.

Diese Station ist entstanden nach den Erfahrungen mit dem Mers-Virus um 2012. Damals sah sich die Uniklinik mit einem Patienten aus Katar konfrontiert, der Scheich hatte sich an einem Kamel angesteckt. Er konnte geheilt werden. Auch Mers gehört zur Familie der Coronaviren, die vor allem die Atemwege, die Lunge und die Niere angreifen. Hierzu haben die Essener geforscht und Methoden entwickelt, auch in Zusammenarbeit mit dem deutschen Corona-Experten Christian Drosten von der Charité Berlin.

Bei einem Verdachtspatienten nimmt der Arzt zunächst einen Nasen-Rachen-Abstrich, im Labor isoliert er an der Sterilbank die Erbinformationen und gibt sie in den „Thermozykler“, um die Probe aufzubereiten und anschließend zu analysieren. Hepatitis, HIV und Herpes sind die Forschungsschwerpunkte der Virologie, aber bestimmen können sie natürlich auch alle anderen bekannten Viren. Nach drei bis vier Stunden kommt das Ergebnis, hoffentlich ein negatives. Denn das würde bedeuten: Der Patient hat kein Corona.

Handlungsanleitungen aus China

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Die Virologen der Uniklinik bekommen alle Infos aus erster Hand. Die chinesischen Kollegen haben längst eine digitale Sequenz des Virus geschickt, mit Anleitungen, welche Stücke davon zur Bestimmung genutzt werden. Auch Anweisungen, wie man Patienten behandelt: „Das ist wichtig, damit sie nicht rumprobieren müssen“, sagt Dittmer. Es gibt bislang kein wirksames Mittel gegen das Virus; neue Medikamente, die SARS bekämpfen sollen, haben noch nicht alle Testphasen durchlaufen. Sollten sie aber dennoch erfolgreich in China zum Einsatz kommen, würde Essen sie auch sogleich bekommen. Solange werden nur die Symptome behandelt: Sauerstoff, Flüssigkeitshaushalt, vor allem muss das Immunsystem reguliert werden, damit es nicht zu stark oder zu schwach reagiert.

Mengji Lus Spezialgebiet sind Hepatitisviren. Die tricksen das Immunsystem recht ähnlich aus wie der neue Virus. Tatsächlich hat die Uniklinik denn auch am Donnerstag 50.000 Euro für ein Forschungsprojekt zu Corona freigegeben: Wie entwickelt sich die Krankheit? Warum erkranken einige Infizierte nicht und andere stärker? Warum reagiert das Immunsystem bei manchen sogar zu stark? Das Forschungskonzept entsteht in Essen; da das Gen-Material jedoch in Wuhan liegt und schlecht verschickt werden kann, werden deutsche Forscher wohl dorthin reisen. Die Uni Duisburg-Essen unterhält dort ohnehin mit der Huazhong-Partneruni ein gemeinsames Labor.

Sorge um die Familie in Wuhan

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Lus Frau ist zum Frühlingsfest nach Hause gefahren – und konnte noch zwei Tage vor Sperrung der Stadt ausfliegen zum hundert Kilometer entfernten Wohnort der Mutter. Am Donnerstagnachmittag stellten die chinesischen Behörden weitere angrenzende Städte unter Quarantäne. Lu hofft, dass seine Frau nach dem Neujahrsfest am 25. Januar wieder ausreisen kann.

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Shaoping Fu hatte sich in den ersten Tagen ihrer Reise seltsam gefühlt, als einzige mit Mundschutz. „Die anderen tragen ja auch keinen“, hat sie ihrem Mann gesagt. Doch Mengji Lu antwortete: „Du musst das machen.“ Jeden Tag telefonierte Mengji Lu nicht nur mit seiner Frau, sondern auch mit Freunden in Wuhan und jedes Mal gab er die gleichen Hinweise: Mundschutz, Hände waschen, nicht in große Menschenmengen begeben. „Vor ein paar Tagen war es schon sehr sorglos. Nun sind alle durch die Maßnahmen alarmiert.“ Andererseits: „620 Fälle sind wenig für eine elf Millionen-Stadt. Man muss nicht panisch werde und meinen, dass man dieser Gefahr ausgesetzt ist.“