Gladbeck. Gladbecker Gesamtschüler installieren Solaranlagen in Sambia, zusammen mit afrikanischen Jugendlichen. Ihr Lehrer sagt: Sie wachsen dabei.
Ein, zwei Monate nach der Rückkehr aus Sambia, wenn alle Mücken und Mühen vergessen sind, dann hört Guntram Seippel seine Schüler oft davon erzählen, „wie sie denen in Afrika das Licht gebracht haben“. Er mag es nicht, wenn sie so reden, „so von oben herab“. Aber er mag, was dahinter steckt: Dass seine Schüler begriffen haben, dass sie etwas bewirken können. Dass die Solaranlagen, die Jugendliche aus Gladbeck zusammen mit afrikanischen Teenager in deren Schulen in Sambia installieren, tatsächlich helfen. Weil die sambischen Schüler ihretwegen noch nach Sonnenuntergang lernen können, auch wenn der Strom wieder einmal ausgefallen ist. Und dass das wichtig ist. Für seine „Sambia AG“ und das Projekt „Licht zum Lernen“ wurde der Gladbecker Gesamtschul-Lehrer am Donnerstagabend mit dem Talent Award des Initiativkreises Ruhr ausgezeichnet.
2004 übernahm der 48-Jährige – ein gebürtiger Dortmunder, der seit 20 Jahren an der Gladbecker Ingeborg-Drewitz-Gesamtschule (IDG) Technik und Chemie unterrichtet – deren „Sambia AG“; eine freiwillige, altersgemischte Gruppe; die Partnerschaft zu zwei Schulen im Choma-Distrikt, 350 Kilometer entfernt von Sambias Hauptstadt Lusaka, bestand da schon lange. Seit 1986 besuchen sich Gladbecker und afrikanische Oberstufenschüler in kleinen Gruppen gegenseitig, im jährlichen Wechsel, jeweils für vier Wochen. Finanziert werden die Reisen (in beide Richtungen) durch Spenden, Stipendien oder Fördergelder. „Die Sambier könnten das nicht stemmen und wir haben hier auch keine reichen Eltern.“ Wer auf einen „Afrika-Urlaub für lau“ hofft, liegt trotzdem falsch.
Selbst erfahren, wie es sich lebt in Afrika: ohne fließendes Wasser, ohne Strom
Seippel gab der AG eine neue Ausrichtung. Er setzte auf die Vermittlung von Wissen zum Thema Nachhaltigkeit und erneuerbare Energien als Hilfe zur Selbsthilfe sowie auf praktische Zusammenarbeit statt auf „stundenlangen Unterricht in einer Sprache, die die Sambier gar nicht verstehen“; er organisierte einen Photovoltaik-Projekttag an der IDG, ließ seine Schüler zusammen mit den sambischen Gästen Mini-Solar-Modelle bauen, an denen Handys geladen werden konnten; diskutierte mit ihnen aber auch die Unterschiede von Reihen- gegenüber Parallelschaltungen -- sowie die ihrer beiden Welten. Als es im darauffolgenden Jahr mit acht Gladbecker Schülern nach Sambia ging, hatte Seippel vier Koffer dabei: mit Solarzellen, Messgeräten, Propellern und englischsprachigem Lehrmaterial für die beiden Gladbecker Partnerschulen in Macha und Mapanza. „Die Arbeitsblätter“, sagt er, „sind dort noch heute im Einsatz.“
Und doch ist „die ganze Photovoltaik“ für Seippel „nur Mittel zum Zweck“: „Durch die gemeinsame Arbeit kommen sich Jugendliche aus zwei aneinander fremden Kulturen ungezwungen näher, das ist wichtig“, betont der Lehrer, der zwischen Abi und Studium selbst ein Jahr als Freiwilliger in einem israelischen Kinderheim verbrachte.
Celine Köhler(18) und Jasmin Hammel (20), IDG-Schülerinnen der 13. Stufe , machten sich im vergangenen Jahr auf die 7000 Kilometer lange Reise nach Sambia. Und sie werden sie nie vergessen. Nicht die riesigen Spinnen an den Decken. Aber auch nicht, dass die ja die Mücken fressen. Sie wussten, bevor sie flogen, dass in Sambia nur knapp ein Fünftel der Bevölkerung ans Stromnetz angeschlossen ist und dass auf dem Land dort nur jeder Dritte Zugang zu sauberem Trinkwasser hat. Doch nun erlebten sie selbst, wie es sich lebt in Afrika; Gesamtschul-Lehrermanchmal ohne fließendes Wasser, oft ohne Strom. Sie besuchten ein Ghetto („wo wir wie Heilige behandelt wurden“), ein Krankenhaus („furchtbar“) sowie die Hostels der sambischen Schüler („Bett neben Bett und sonst gar nichts“) und sie erlebten beschämt, dass man in gefeiert wird – „nur weil man weiß ist“.
Riesige Spinnen an der Decke und Elefanten auf der Autobahn
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Zusammen mit ihren Gastgebern installierten sie zudem die 17. Solaranlage auf deren Schuldächern. Gewohnt haben die Deutschen bei den Familien der sambischen Lehrer. Celine (18) weiß seither, dass man Nshima (Maisbrei) mit Baumwurzeln und Hühnerfüßen „mögen muss“. Und dass 30 Tafeln Schokolade als Gastgeschenk für eine Schulklasse in Sambia bei weitem nicht ausreichen. Jasmins bleibendste Erinnerung ist – neben der an „sehr, sehr viel Arbeit mit der Spitzhacke“ – die an einen „wahnsinnigen Sternenhimmel“ und Elefanten auf der Autobahn. Beide schwärmen unisono von der Warmherzigkeit, mit der sie aufgenommen wurden. Celine telefoniert noch heute jeden Abend mit ihrer Gastmutter Nweemba. „Nur so, wir quatschen gern.“ Die Nummer hat sie unter „Mom Sambia“ abgespeichert.
Was der Lehrer ergänzen muss: Wie sehr die jungen Deutschen immer wieder darüber staunen, welche Bedeutung in Sambia das Lernen hat. „Die Jugendlichen dort wissen, Bildung ist ihre einzige Chance. Und sie nutzen sie.“ 600 Schüler säßen allabendlich in den Klassenräumen, nach Unterrichtsende, um Stunden vor- oder nachzubereiten. „Ohne Lehrer, und ist es mucksmäuschenstill“, sagt Seippel.
„Die deutschen Schülern lernen noch viel mehr als sie sambischen“
Für die meisten seiner Schüler, sagt Guntram Seippel, ist die Reise nach Sambia „ihre erste große“. Und die Gladbecker Jugendlichen, glaubt er, „lernen dabei noch viel mehr als die sambischen. Viel mehr, als sie zunächst selbst registrieren...!“ Sie lernten etwa, mit den Gegebenheiten vor Ort umzugehen, auf gewohnten Luxus zu verzichten. Am Anfang, weiß er von seinen bislang sieben Reisen nach Sambia, fällt das vielen schwer. Am Ende „hat es noch niemandem nicht gefallen“. „Sie müssen es meistern – und sie kriegen es hin. Dann merken sie: ist gar nicht so kompliziert. Und danach: fangen sie an zu leben.“ In den vier Wochen in Afrika, sagt Seippel, sieht er seine Schüler „wachsen“.
Im Übrigen: helfen sie wirklich! Er höre von seinen sambischen Lehrerkollegen, sagt Seippel, dass sich die Notendurchschnitte und Abschluss-Zensuren der Schüler von Macha und Mapanza deutlich verbessert haben. Mit Licht lernt es sich eben leichter. Eine der ehemaligen sambischen Austausch-Schülerinnen, Nangoma Hampuwo, trägt das Projekt „Licht zum Lernen“ inzwischen sogar vor Ort weiter. 2010 war sie in Gladbeck. Heute ist sie Lehrerin in Livingstone, Lehrerin für Physik.
>>>>> Info: Die Auszeichnung
Die Talent-Metropole Ruhr , Bildungsinitiative des Initiativkreises Ruhr, hat gestern Abend im Thyssenkrupp-Quartier zum siebten Mal ihre Auszeichnung für Talentförderer vergeben.
Die Projekte der Preisträger und sollen Mut machen und zur Nachahmung anregen. Der Preis ist mit insgesamt 20.000 Euro dotiert.
>>>>> Info: Die vier weiteren Preisträger
Nicht als Trainer, eher als Sozialarbeiter versteht sich Frank Striewe (49), Jugendleiter des BV Altenessen 06 – dem Fußballverein, der noch vor fünf Jahren vor allem für Spielabbrüche und Prügelszenen bekannt war. Der Professor für Technische Betriebswirtschaft kickte als Kind selbst für den Verein, wurde dort „sozialisiert“ – und wollte den ramponierten Ruf aufpolieren helfen. Denn Fußball sei ein gutes Vehikel, um Jugendliche anzusprechen, sie auch außerhalb des Sports zu fördern. Er organisiert mit anderen u.a. kostenlose Fußballcamps.
Mathematiker Mark Bienk (52) ist MINT-Beauftragter an der Gesamtschule Saarn in Mülheim. Sein Job ist es, Jugendlichen Spaß an Technik zu vermitteln, sie für Berufe zu begeistern, denen Nachwuchs fehlt. Dazu programmierte er eine Bildungskette: Studierende helfen Oberstufenschülern in technischen Disziplinen, vor allem im Bereich Robotik. Dabei erhalten sie auch das Rüstzeug, um ihrerseits Schüler in Klasse 5/6 anzuleiten. Diese geben ihr Wissen an noch Jüngere weiter, organisieren etwa an Grundschulen Robotik-AGs.
Für Elektronik und Computer begeisterte sich
Oliver Jantz schon als Kind. Die Eltern freuten sich, förderten ihn. Heute ist Jantz Elektro-Ingenieur in Duisburg. „Nicht alle haben nicht so viel Glück“, sagt der 53-Jährige. Deshalb gründete er mit ein paar Mitstreitern den Verein „DUISentrieb“, der Schülern und Schülerinnen EDV-Grundwissen in Technik-Workshops vermittelt. Zudem betreibt der Verein eine eigene Werkstatt. Dort bereiten Jugendliche ausrangierte Computer für neue Einsätze auf, etwa in der Flüchtlingshilfe oder Jugendarbeit.
Als 16-Jährige floh Schewa van Uden mit ihrer kurdischen Familie aus dem Irak. Sie weiß, was es heißt, sich durchbeißen zu müssen. Heute leitet die Diplom-Sozialwissenschaftlerin das Aletta Haniel Programm an der gleichnamigen Gesamtschule in Duisburg und hilft Schüler der Klassen 8 bis 10, Stärken zu entdecken, Noten zu verbessern und Berufspläne zu schmieden. „Sagt nicht ‘Ich kann das nicht’“, erzählt sie Jugendlichen als erstes. „Sagt, was ihr braucht, damit Ihr es könnt. Denn so kann ich euch helfen.“