Bochum. Einigen Heimen droht das Aus durch Sanierungsstau, warnen die Betreiber. Ein Besuch in Bochum zeigt Wasserschäden, defekte Klos – und Putzbedarf.
Schon die Schranke des Parkhauses ist kaputt und oben, dem pünktlichen Erscheinen beim Ortstermin im maroden Studentenwohnheim steht nichts im Wege. Dabei sieht er eigentlich ganz ordentlich aus, der Sumperkamp 9-15 am Bochumer Uni-Center, geschiefert und im Sonnenschein, das Gebäude ist immerhin rund 15 Jahre jünger als das aus der Zeit gefallene Betonensemble nebenan. Also von 1987. Doch man suche den Fehler – und findet ihn am Dach: Da fehlt ein großes Feld Schindeln. Wasserschaden!
Das Heim soll als Paradebeispiel herhalten, warum mehr als die Hälfte der 38.000 Studentenwohnheimplätze in NRW „dringend sanierungsbedürftig“ seien. Das sagen die Betreiber selbst. 300 Millionen Euro betrage der akute Sanierungsstau, warnt Jörg Lüken, Sprecher der Studentenwerke-Arbeitsgemeinschaft und Geschäftsführer der Werke in Bochum und Duisburg/Essen. Langfristig seien sogar 700 Millionen für Ersatzneubauten nötig. „Wenn es so weitergeht, muss in einigen Wohnanlagen irgendwann der Schlüssel umgedreht werden.“
Die Hälfte der 22 Anlagen in Bochum sollen sanierungsbedürftig sein. Jede Woche gebe es zwei, drei Wasserschäden, weil zum Beispiel eine alte Abflussleitungen aus Faserzement platze, sagt Jonathan Ludwig, Sprecher des Akademischen Förderungswerkes (Akafö) in Bochum. „Hinzu kommen Dusseligkeiten.“
Allein die Kernsanierung des Sumperkamps würde wohl etwa 16 Millionen kosten. Auch die Elektrik sei komplett veraltet. Die zwei Aufzüge des behindertengerechten Hauses fielen zuletzt fast täglich aus, nun mussten „zwangsweise“ neue her, ein Arbeiter im Schacht hantiert gerade mit Holzbalken.
Ob sich das noch lohnt?
Die Teppichfliesen: durchgewetzt. Rohe Platten als Verkleidung der Steigleitungen. Ein Etagenklo für zwanzig Bewohner. Das Urinal: defekt und mit einem Müllsack abgeklebt. Die Silikonfugen in der Dusche: schwarz. Und die lattenartige Deckenverkleidung biegt sich so kreuz und quer, dass hier ein besonders schlauer Student einen Seifenablageplatz gefunden hat.
Auch die Gemeinschaftsküche wirft Fragen auf: Warum nicht mal einen Lappen zur Hand nehmen? Wie viele Schuhberührungen braucht es, um eine Linoleumplatte komplett durchzuwetzen? Warum ersetzt die Hausverwaltung nicht den Spülunterschrank mit dem komplett durchgemoderten Boden (ein bisschen Silikon würde auch die Krümel fernhalten von der Verbindung zwischen Wand und Arbeitsplatte)? Haben diese Studenten von heute denn gar kein Interesse mehr an Sperrmüll (könnte das Mobiliar deutlich aufwerten)? Und nicht zuletzt: Wie konnte es soweit kommen?
Die Landeszuschüsse verharrten noch auf dem Niveau von 1994, obwohl sich die Zahl der Studierenden vervielfacht habe, klagt Lüken. Der Landeszuschuss von jährlich 40,5 Millionen Euro für allgemeine Aufgaben fließt nicht nur ins Wohnen, sondern auch in die Mensen, ins BAföG, in die Kitas und die Inklusions-Beratung. Das Finanzloch betreffe alle diese Bereiche, stopfen müssten es die Studierenden, kritisierten die Werke. Deren Sozialbeiträge sind stark gestiegen und hätten sich im Laufe der Jahre „zu einer zweiten Studiengebühr“ entwickelt. Die Studierendenwerke fordern vom Land mindestens 15 Millionen Euro zusätzlich.
Die Finanzierungslast hat sich verkehrt
Hätten Land und Studierende die Grundfinanzierung der Werke vor 15 Jahren noch hälftig mit 98 Euro pro Studierendem und Jahr unterstützt, habe sich die Verteilung der Lasten völlig verkehrt, berichtete Lüken. Heute bezahle das Land 68 Euro pro Kopf und Jahr, während die angehenden Akademiker 178 Euro berappen müssten. Ein Viertel der Einnahmen - knapp 103 Millionen Euro - stammten 2018 aus den Sozialbeiträgen. Weitere Erhöhungen drohten, wenn das Land die Mittel zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben nicht zur Verfügung stelle.
Das ist der politische Teil der Antwort. „Studierende sind eben auch nicht so krass häuslich“, sagt Jonathan Ludwig. Aber muss dieser bestaubte Schmierfilm über Leisten und Lampen sein? Die Mehrfachnutzung und die Fluktuation – keiner fühle sich zuständig, sagt Ludwig. „Sobald es einen gewissen Punkt überschritten hat, wird es verranzt.“ … Hier trifft sich offenbar die Einschätzung der Bewohner mit der der Betreiber:
Pflege lohnt kaum noch
„Wie wirtschaftlich ist es noch“, fragt Ludwig, „eine im Grunde verrottete Substanz ständig an der Oberfläche gerade zu ziehen?“ Der Kollege Hausverwalter sei durchaus „ständig bemüht, Reparaturen durchzuführen. Doch er kommt nicht hinterher. Und um ständig Fremdfirmen zu beauftragen, fehlen einfach die Mittel. Man ist an einem Punkt, an dem man mit Scheinreparaturen nicht mehr weiterkommt.“
Die Auslastung liege trotzdem bei 98 Prozent, sagt Ludwig. Auf die 4500 Wohnplätze in Bochum - 40 Prozent sind technisch auf gutem Stand - kommen rund 7000 Bewerber. Das Los entscheidet. Auch der Neubau nebenan, der erst Mitte September öffnet, ist schon voll belegt. Die Miete beträgt 227 bis 259 Euro und beinhaltet dabei Strom, Heizung, TV und Internet – das hilft. Ein chinesischer Bewohner sagt, er sei sehr zufrieden. Mit seinem privaten Appartement vorher habe er auch nur Ärger gehabt. Gestört habe ihn zwar, dass mal das Klo im Sumperkamp kaputt war. Aber als er aus dem Urlaub kam, sei es repariert gewesen. Was will man mehr? (mit dpa)
>> Info: Bafög-Anträge gehen zurück
Nur etwa jeder sechste Studierende in NRW beantragte 2018 BAföG-Förderung. Insgesamt waren es rund 103.500 Anträge, fast 9000 weniger als im Vorjahr. Die monatliche Förderung lag im Schnitt bei 467 Euro (2017: 469 Euro). „Damit bestätigt sich auch in NRW der bundesweite Trend des rückläufigen BAföGs“, stellen die Studierendenwerke fest.
Deren Sprecher Jörg Lüken sagt: „Für die finanzielle Chancengleichheit auf dem Campus ist es dringend notwendig, dass die Studierenden auf ein attraktives BAföG-Angebot zurückgreifen können.“ Die Studierendenwerke benötigten dringend mehr Landesmittel, damit die Anträge endlich digital und schneller bearbeitet werden könnten. Allein in der BAföG-Verwaltung sei 2018 aber wieder ein Defizit von 1,3 Millionen Euro in NRW entstanden.