Dortmund. . Mit der „Boulderwelt“ in Dortmund hat am Samstag Europas größte Boulderhalle eröffnet. Das Klettern ohne Seil in Absprunghöhe erlebt einen Boom.

Um die Ecke springen, ist schon physikalisch anspruchsvoll, aber Marc Stellbogen und Sergej Kaufmann haben Ehrgeiz. Immer wieder steigen sie in die Kletterwand, um diese unwahrscheinliche Bewegung zu schaffen: Die nächsten beiden Griffe befinden sich hinterm Winkel, man muss an ihnen vorbeispringen, um sie im Flug zu greifen und sich heranzuziehen.

Erschwert wird das Ganze dadurch, dass die Griffe nicht wirklich gegriffen werden können, sie funktionieren „auf Reibung“. Es ist eine Bewegung, die genau so noch niemand geschafft hat, denn Marc und Sergej haben sie sich ausgedacht. Sie konzipieren und schrauben die Kletterrouten in der „Boulderwelt“ – Europas größte Boulderhalle hat am Samstag in Dortmund eröffnet.

Auf Seile wird verzichtet

In herkömmlichen Kletterhallen geht es in die Höhe, entsprechend muss man sich sichern mit Gurtzeug und, Karabinern – vor allem aber muss der Kletterpartner am Boden das Sicherungsseil führen, während man in der Wand hängt. Das „Bouldern“ dagegen leitet sich ab vom englischen Wort für Felsblock, was andeutet, dass man nur in Höhen bis maximal 4,50 Metern kraxelt.

Auf Seilkram verzichten die Sportler, zur Sicherung schleppt man Schaumstoffmatten an den Fels, eine Halle ist natürlich damit ausgelegt. Auch einen Partner braucht es nicht.

Kopfüber in Australien

Es sieht so leicht aus, wenn Friederike Petri klettert, dass die Perspektive täuschen mag. Die Weltkugel ist von unten fotografiert.
Es sieht so leicht aus, wenn Friederike Petri klettert, dass die Perspektive täuschen mag. Die Weltkugel ist von unten fotografiert. © André Hirtz

Das Klettern in Absprunghöhe sei komplexer als das Seilklettern, schwärmt Athletin Friederike „Freddi“ Petri. „Du kannst mehr spielen, die Züge sind abgefahrener.“ Die Routen seien eher als Bewegungsrätsel denn auf Ausdauer angelegt. Freddi klettert bei WMs und World Cups oben mit und bietet am Wochenende in der Boulderwelt Einführungskurse an.

„Da du nicht deinen Partner sichern muss“, sagt sie, „hast du auch mehr Zeit, in der Gruppe Spaß zu haben. Und man muss auch nicht auf einem Niveau klettern.“ Fast alle Wettkämpfe, erklärt die 22-jährige Studentin, finden mittlerweile in Hallen statt. Aufgrund ihrer Größe bietet die Boulderwelt von Wettkampfwänden bis zum eigenen Kinderbereich alles an. Hingucker ist die von der Decke hängende Weltkugel. Als Freddi kopfüber Australien passiert, wirkt es, als habe sie ihre eigene Gravitation.

Halle mit 3250 Quadratmetern Kletterfläche

Vor neun Jahren war die Disziplin noch in „den dunklen Ecken der Kletterhallen“ zu finden, sagt Nadia Hoffmann von „Boulderwelt“. „Als wir damals die größte reine Boulderhalle weltweit in München eröffneten, haben uns alle für verrückt erklärt.“

Die neue Dortmunder Halle, gelegen im Indupark zwischen Metro und Dönerspießproduktion, Ikea und Trampolinhalle, ist mittlerweile die sechste des Unternehmens und mit 3250 Quadratmetern Kletterfläche doppelt so groß wie der Stammsitz ursprünglich war. Sie hat noch 1000 Quadratmeter Ausbaupotenzial, dann wäre sie auch die weltweit die größte – aber, schränkt Nadia Hoffmann ein, „es eröffnen ja im Wochentakt neue Hallen“.

Das Angebot an Kletterhallen ist groß im Ruhrgebiet

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„Boulderwelt ist denn auch nicht die erste im Revier. Bereits seit 14 Jahren gibt es „Citymonkey“ in Essen-Haarzopf, es kamen unter anderem die „Boulderbar“ in Wattenscheid und „Glücksgriff“ in Dortmund hinzu. Gerade in den letzten Monaten erlebt die Region einen Boom: Allein in Duisburg eröffneten im Januar „Monkeyspot“ und Mitte März „Einstein“. Auch die klassischen Kletterhallen haben die Disziplin längst aus der Ecke geholt, etwa an den drei Neoliet-Standorten in Bochum, Essen und Mülheim. Ebenfalls in Dortmund hat das „Bergwerk“ dem Bouldern eine eigene Halle eingeräumt.

Marc Stellbogen (li.) und Sergej Kaufmann haben einen sehr seltenen Beruf: Sie sind professionelle Routenschrauber in der „Boulderwelt“.
Marc Stellbogen (li.) und Sergej Kaufmann haben einen sehr seltenen Beruf: Sie sind professionelle Routenschrauber in der „Boulderwelt“. © André Hirtz

Der Anspruch des neuen Platzhirschen deutet sich auch bei den Routenschraubern Marc und Sergej an, die tatsächlich fest angestellt sind, um die 500 Routen ständig neu zu gestalten – alle zwei Monate wechselt der gesamte Parcours. „Wir wollen den Beruf professionalisieren“, erklärt Marc Stellbogen, Profi seit 20 Jahren.

„Zielvorgaben, Kundenorientiertheit, Qualitätskontrolle.“ Es gehe darum für jede Zielgruppe „die passende Herausforderung“ zu finden. Ihre Um-die-Ecke-Route gehört zur schwierigsten, zur weißen Kategorie. Extra für Dortmund hat die Boulderwelt übrigens ihre Fabkodierung geändert: der fortgeschrittene Anfängerbereich ist gelb-schwarz ausgezeichnet. „Wir müssen uns ja anpassen“, sagt Nadja Hoffmann. Auf Rot haben die Münchner generös verzichtet, was sie aber nicht bedachten: Die blauen Routen für Fortgeschrittene stehen weiter oben im Ranking.

>> Info: Bouldern wird olympisch

„Bouldern hat sehr niedrige Eintrittshürden. Man zieht die Schuhe an und kann sich einfach ranhängen“, erklärt Franz Güntner, Sprecher des Deutschen Alpenvereins (DAV) den Boom dieser Disziplin. Sie zeigt die mit Abstand höchsten Zuwachsraten, gerade beim Kletternachwuchs. 15 bis 25 Prozent der 1,2 Millionen DAV-Mitglieder bouldern, je nach Umfrage. 2020 in Tokio wird Bouldern als Teil des Sportkletterns olympisch.

Der Eintritt in die Boulderwelt kostet regulär 11,90, ermäßigt 10,90 und für Kinder (6 bis 13) 6,90 Euro. Es gibt auch 11er-Karten, Monats und Jahrestarife. www. boulderwelt-dortmund.de