Düsseldorf. . Im Loveparade-Prozess ringen die Beteiligten seit neun Monaten um Aufklärung. Ab kommender Woche vernimmt die Strafkammer die ersten Polizisten.

Wie viele Ausdrücke hat die deutsche Sprache für den einfachen Satz: „Ich weiß es nicht“? Im Strafprozess um die Loveparade von Duisburg hätte man sie in den ersten neun Monaten zählen können, mindestens sammeln. Seit es vor der 6. Großen Strafkammer um die Planung des Technofestes mit 21 Toten geht, lässt die Erinnerung der Zeugen deutlich nach. Nebenkläger, die nach acht Jahren auf Antworten gehofft hatten, sind enttäuscht.

„Das ist mir nicht erinnerlich“, hörten sie zuletzt von den Vertretern aus Politik und Verwaltung. „Das kann ich nur vermuten“, „keine Erinnerung“, „das sagt mir nichts“. Oder: „Ich war nicht informiert“, „Ich war nicht beteiligt“, „Davon habe ich keine Kenntnis“ . . . So schmerzhaft an manchen Prozesstagen zu Jahresbeginn die Erinnerungen der Menschen waren, die das Gedränge überlebt haben, so dünn werden sie bei denen, die an der Vorbereitung der Loveparade zumindest Anteil hatten. Mancher erinnert sich nicht einmal an Mails oder Aktenvermerke, die er selbst schrieb oder abzeichnete. Es ist, als ob Zeugen sich schützen möchten, obwohl sie gar nicht angeklagt sind – und die Gefahr auch nicht mehr besteht.

Angehörige „ohne Erwartungen“

Für die Angehörigen in den Reihen der Nebenkläger ist das schwer auszuhalten: „Was ist das für ein Bürgermeister, der nichts weiß?“, fragt der Spanier Paco Zapater, Vater der im Gedränge gestorbenen Clara, nach der Aussage des damaligen Oberbürgermeisters Adolf Sauerland. Gabi Müller, Mutter von Christian, ist eine der wenigen, die überhaupt noch teilnimmt an oft langen, zähen Verhandlungstagen – aber „immer ohne Erwartungen”. Sie sagt: „Ich will Antworten!“ und fühlt doch inzwischen ähnlich wie Manfred Reißaus, Vater der toten Svenja aus Castrop-Rauxel: „Das bringt alles nichts.”

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Trotzdem, der Prozess gegen zehn Angeklagte aus den Reihen von Stadt und Veranstalter kommt gut voran. Die Zeugenliste von Stadt und Feuerwehr ist weitgehend abgearbeitet. Das Gericht, sagt Sprecher Matthias Breiden­stein, habe „den gesetzten Zeitplan teilweise sogar beschleunigen können“. Daran hätten alle Verfahrensbeteiligten mitgewirkt, insbesondere auch die Verteidiger. Zuvor war befürchtet worden, sie könnten den Prozess durch Anträge in die Länge ziehen. „Das Bemühen um Sachaufklärung“, so Breidenstein, „ist auf allen Seiten deutlich spürbar.“

Gutachten mit 1500 Seiten

Derzeit sitzen die Beteiligten in einer zweiwöchigen Pause über dem zweiten Teil des neuen Gutachtens von Prof. Jürgen Gerlach. Der Wuppertaler Experte für die Sicherheit bei Großveranstaltungen hat in diesem Monat weitere gut 1500 Seiten vorgelegt, die sich mit den Ursachen für die „Menschenverdichtungen“ und dem eigentlichen Veranstaltungstag beschäftigen. Oft hatten Zeugen in diesem Zusammenhang die Polizei beschuldigt, im Chaos nicht geholfen zu haben.

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Kommende Woche schließt sich im Düsseldorfer Kongresszentrum, das für 29.000 Euro am Tag als Gerichtssaal dient, damit ein Kreis. Viele Prozessbeobachter hatten auf Ex-Oberbürgermeister Sauerland gezeigt, der zeigte auf seinen Ordnungsdezernenten Wolfgang Rabe, danach zeigte die Feuerwehr auf die Polizei. Und nun, nach neun Monaten und 57 Verhandlungstagen, kommt der erste Polizist. Am 4. September wird der Beamte aussagen, der damals Leiter des Führungsstabes war.

Für seine Aussage hat der Vorsitzende Richter Mario Plein fünf Tage angesetzt – so viel wie für keinen anderen Zeugen bislang. Der heute 56-Jährige, gegen den nie ermittelt wurde, soll bei früheren Vernehmungen als einziger hochrangiger Polizist Fehler eingeräumt haben. Viele Informationen, soll er gesagt haben, hätten ihn nicht erreicht. Was auch wieder eine Formulierung ist für „Ich weiß es nicht“.