Herne/Bochum. . Brieftaubenzüchter im Revier luden erstmals hinter die Kulissen ein. Auch, um Jüngere für ihr Hobby zu begeistern.

In der Nacht auf Sonntag hat sich der 77-jährige Heinz Pfankuche mal wieder in die Schlafzelle des Zehntonners gelegt, den er zuvor von Herne aus bis auf den Parkplatz des Obi-Baumarkts Meinerzhagen fuhr. Er macht das an vielen Samstagen seit Jahrzehnten, also sehr gerne, denn hinten drin sind ja die Tauben: tausende Brieftauben in bequemen 25er-Kabinen.

Jemand musste sie herfahren, muss sie noch füttern und tränken zur Nacht; muss am Sonntagmorgen ihre Kabinen entriegeln, damit sie heimfliegen können. „In 20 Sekunden sind alle in der Luft“, sagt Pfankuche, der offizielle „Fahrer 1“. Bis er danach mit dem Laster wieder in Herne auftaucht – „ich fahr lieber Lkw wie Pkw“ – sind die Tauben längst da. Tja, Luftlinie.

Einzelne Gäste ohne Tauben-Gen

Es ist der „1. Tag der Brieftaube“ überhaupt. Züchter sollen sich besuchen und über die Schulter schauen lassen, aber das kann ja nicht heißen, dass die „Reisevereinigung Herne/Wanne 1900“ einen geplanten Vorflug absagt – im Gegenteil! Immerhin, beim Einsetzen der Tiere am Nachmittag in den Kabinenexpress sind nicht nur die üblichen alten Herrschaften gekommen – es heißt ja auch: Taubenväter – sondern auch einzelne Gäste ohne Tauben-Gen.

Wie Valerie Bruhn und Jens Bruhn: „Das ist ja auch noch nie angeboten worden“, sagt er. Und: „Das ist ein Teil dieser Region wie Bergbau. In 20 oder 30 Jahren kann ich sagen, ich habe es noch gesehen.“

„Ich bin seit 40 Jahren hier der Jüngste“

Denn der Taubensport steht unter Aussterbeverdacht. Noch ist die Reisevereinigung aktiv, 28 Flüge stehen im „Reiseplan 2018“. Doch Georg Hochholzer (58), Dachdeckermeister und Vorsitzender, sagt in einem langen und spannenden Gespräch auch Sätze wie: „Ich bin seit 40 Jahren hier der Jüngste.“

Züchter setzen ihre Tauben ein in den Kabinenexpress. Er bringt die Tiere zu dem Auflassort, wo sie am nächsten Morgen starten.
Züchter setzen ihre Tauben ein in den Kabinenexpress. Er bringt die Tiere zu dem Auflassort, wo sie am nächsten Morgen starten. © Kai Kitschenberg

Oder: „Wir haben eigentlich alles, außer Tauben und Züchtern.“ Aber genau darum geht es ja beim „1. Tag der Brieftaube“, und man kann das schwarz auf weiß nachlesen, wenn man beispielsweise vor dem Haus in Bochum-Wattenscheid steht, wo Rita Greife und Jürgen Greife leben.

Kuchen, Würstchen, gute Laune

Da hängt der Aufruf des Züchterverbandes zum Brieftaubentag an der Türe, auch die Begründung („schafft Verständnis für unser Hobby und bestenfalls sogar aktive neue Sportsfreunde“). Vermutlich weniger der Verband als vielmehr einer der Greifes hat einen Rechtspfeil darauf gemalt und geschrieben: „Eingang zum Hof.“

Hinten sitzen die beiden draußen mit dem befreundeten Züchter Hans-Werner Baczewski und erwarten ganz offensichtlich Gäste. Wenigstens sprechen dafür die Würstchen und die Schnittchen und der selbstgebackene Kuchen, Bier, Kaffee, Wasser, Brezeln, Salzstangen, Weingummi und gute Laune.

Nachbarn und Kunden eingeladen

Selbst die Tauben gurren frohgemut in Volièren in der Morgensonne. Ihr Schlag im Garten ist aber auch eine Wucht. „Meine Frau hat gesagt, wir können hier Tauben halten, aber wenn sie aus dem Fenster guckt, muss es vernünftig aussehen“, sagt Jürgen Greife.

Der Markthändler hat vorgesorgt, Nachbarn und Kunden und Grillkumpane eingeladen und ist später am Tag dann doch ein bisschen enttäuscht, dass es „nur 25 oder 30 Gäste“ waren. Mensch, Greife!

Gesamtbilanz gibt es noch nicht

So etwas wie eine Gesamtbilanz gibt es am Sonntag nicht. In Herne jedenfalls sagt Georg Hochholzer zum Brieftaubentag: „Das hätte schon vor 30 Jahren sein müssen.“

Jetzt ist es vielleicht zu spät: Als die Reisevereinigung 2006 den Tauben-Lkw kaufte, den Pfankuche fährt, da murrte es im Verein, der Vorstand habe ein zu kleines Fahrzeug gekauft. Inzwischen murrt es: ein zu großes Fahrzeug gekauft.