Bochum. Das Hobby ist in die Jahre gekommen. Während im Ausland viel Geld mit Brieftauben verdient wird, finden Züchter in Bochum kaum noch Mitstreiter.
- Früher gehörten Brieftauben im Ruhrgebiet zum Alltag vieler Menschen
- Mittlerweile sind kaum noch junge Leute bereit, sich dem traditionsreichen Hobby zu widmen
- Doch die Züchter widmen sich ihrem Sport mit ungebrochenem Elan
Die 33 fliegt auf Erdnüsse. Sie pickt sie aus Wolfgang Paszkowiaks Hand und auch aus seinem Mund, wenn er eine Nuss zwischen die Lippen klemmt. Sie würde sie ihm auch aus den Ohren oder der Nase holen, sagt Paszkowiak, so sehr liebe sie diese Nüsse.
Die Taube mit der Ringnummer 33 ist Wolfgang Paszkowiaks zahmste. Zwischen all dem Gegurre und Geflatter hier im Schlag marschiert sie mit dem Selbstbewusstsein der Dienstältesten umher – 14 Jahre alt aber noch immer fit.
Weiter mit ungebrochenem Elan
Mit der 33 ist es wie mit dem Taubensport im Ruhrgebiet: Er ist in die Jahre gekommen, vielleicht macht er es nicht mehr lang, aber noch ist er höchst lebendig. Leben hauchen ihm Menschen wie Wolfgang Paszkowiak ein, Menschen, deren Eltern und Großeltern schon Tauben hielten und die bis heute nicht von dem Hobby lassen können. Es mit einem ungebrochenen Elan betreiben, ihr Leben damit füllen und das ihrer Familien gleich mit.
Um halb sechs am Morgen steht Wolfgang Paszkowiak auf: Die Tauben sollen um Viertel nach sechs in die Luft. Er kümmert sich ums Futter und den Badetag (immer montags). Er achtet auf ihre Nasen (die sind bei fitten Tauben weiß) und auf den Nachtkot (ist er graubraun mit einem weißen Punkt drauf, ist alles bestens), und wenn eine Taube verletzt ist, pflegt und päppelt er sie wieder auf.
Viele Kollegen haben es schwer
Früher, sagt Paszkowiak, konnte man das alles amateurhaft machen, „die Bergleute hatten ja alle Tiere, ein Schwein, ein Schaf, eine Kuh, und den ganzen Werner Hellweg runter war alles voller Taubenschläge“.
Heute hätten es viele Kollegen schwer: Einer müsse mit seinen Tauben zum Jahresende umziehen, weil der Hauseigentümer gewechselt habe, „dabei ist das die schlechteste Zeit, um die Tiere umzugewöhnen“. Ein paar Monate später, das könnte gehen. Aber ob der neue Eigentümer damit einverstanden ist?
In China werden „fantastische Summen“ verdient
Paszkowiak hat es da leichter, er ist nur auf die Unterstützung seiner Familie angewiesen. Und auf ihr Verständnis, wenn er mal wieder keine Zeit für den Besuch bei Verwandten und Bekannten hat, weil doch die Tauben erst versorgt werden müssen.
„Eine Wissenschaft für sich“ sei die Zucht eben, sagt er. Immer schnellere Tiere habe sie in den vergangenen Jahrzehnten hervorgebracht. In den Niederlanden und in Belgien würden mit dem Verkauf nach China „fantastische Summen“ verdient, erzählt Paszkowiak.
Gute Wettkampfvorbereitung ist alles
Brieftauben tragen dort nicht bloß Ringnummern, sondern Namen von berühmten Sprintern oder Fußballspielern. Schließlich schafft eine flotte Taube heute um die 100 Stundenkilometer, und immerhin noch 80 bei Gegenwind. Und irgendwie findet sie auch immer den Weg zum heimischen Schlag, ob man sie nun in Witten oder in Aschaffenburg starten lässt. Wie das genau funktioniert, sei bis heute ein Rätsel, sagt der Züchter. Das Ganze ist eben „eine Wissenschaft für sich“.
Eine solche ist auch die Wettkampfvorbereitung, das richtige „Reisesystem“ – Paszkowiak schwört auf die „totale Witwerschaft“: Dabei trennt man Weibchen und Männchen für eine bestimmte Zeit und bringt sie vor dem Wettkampf kurz zusammen. „Dann dürfen sie schmusen“, sagt Paszkowiak. Man müsse aber aufpassen, dass sie nicht zum „Treten“ kommen, sich also nicht paaren. „Damit sollen sie bis nach dem Wettkampf warten.“
Der Lockruf der Taubenväter
Über der Tür zum Schlag ist ein Holzschild angebracht, „Gut Flug“ steht darauf, der Eingangsbereich ist mit gerahmten Urkunden tapeziert; auch den Eingangsbereich zur Wohnung schmückt eine Trophäensammlung. „In der Wohnung darf ich ja nicht“, sagt Paszkowiak.
Seine besten Tauben haben es dennoch in die Wohnung geschafft, als hübsche Illustration. Abgebildet ist darauf auch Paszkowiaks „goldenes Zuchtpaar“, noch heute sein ganzer Stolz. Dessen Nachkommen waren geborene Gewinnertauben, erflogen einen Preis nach dem anderen.
533 ist gerade besonders gut in Form
Und wer sind in dieser Saison die Stars? Seine 533 sei gerade besonders gut, sagt Paszkowiak, und die eins. Namen gibt er aber auch den besten nicht, „ich sach höchstens mal ‚mein Liebling‘“. Und Hans. „Komm Hans, komm – komm wacker.“ Der typische Lockruf der Ruhrgebiets-Taubenväter.
Dabei rappelt Wolfgang Paszkowiak dann mit einem Messbecher voller Erdnüsse. Das Geräusch kennen alle Tauben, nicht nur die 33. Die hat ihre aktive Wettkampfzeit hinter sich. Sie genießt den wohl verdienten Ruhestand – im Gegensatz zu Wolfgang Paszkowiak, der mit seinen 78 Jahren noch bei jedem Wettkampf dabei ist.
Wenig Hoffnung für die Zukunft des Sports
Für die Zukunft des Taubensports sieht er trotzdem wenig Hoffnung. In seinem Verein gehöre er zur Jugendgruppe. „Zur Jugendgruppe!“ Er schüttelt den Kopf. „Eine Zukunft haben wir hier nicht mehr, mit unserem Taubensport.“ Aber wer weiß: Das alte Hobby ist robust. Wie die 33.