Duisburg. In wenigen Tagen wird in Duisburg-Marxloh die größte Moschee Deutschlands eröffnet. Marxloh blieb verschont von den üblichen Protestmärschen, Unterschriftenlisten und Streitigkeiten, die sonst überall in Deutschland den Bau von Moscheen begleiten. Besuch an einem Ort, der versöhnen soll.

Es ist für Politiker durchaus üblich, den Menschen Wunder zu versprechen. In diesem Fall war es der damalige NRW-Bauminister Michael Vesper, der beim ersten Spatenstich im Frühjahr 2005 das „Wunder von Marxloh“ verkündete. In Anlehnung an den Film „Das Wunder von Bern“, der unter anderem vor der Kulisse des Duisburger Arbeiterviertels spielt. Heute steht inmitten dieses Arbeiterviertels ein Gebäude, das aussieht, als sei es direkt vom Bosporus ins Ruhrgebiet verschickt worden. Es ist die größte Moschee Deutschlands. Am 26. Oktober wird sie eröffnet. Ein steinerner Beweis dafür, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Aber auch der Versuch einer türkischen Gemeinde, den Klagen über Ghetto-Bildung und muslimische Parallelgesellschaften entgegenzutreten.

"Dies soll ein offenes Gotteshaus sein"

Moschee der Versöhnung

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    Auf den ersten Blick wirkt die Marxloher Moschee alles andere als modern. Sie sieht aus wie eine kleine Schwester der Hagia Sophia in Istanbul: ein klassisch-osmanischer Bau, gekrönt von einem silbernen Kuppeldach mit goldenen Halbmonden. Doch in die Fassade aus hellem Betonstein sind hohe Rundbogenfenster eingelassen. Sie geben den Blick ins Innere frei. Die Muslime wollen zeigen: Wir haben keine Geheimnisse vor Euch. Das Minarett ist 34 Meter hoch und damit niedriger als die Kirchtürme im Viertel. Es ist reine Zierde. Der Muezzin wird nie die steile Wendeltreppe erklimmen, um von der Spitze aus zum Freitagsgebet zu rufen. „Wir haben das erst gar nicht beantragt“, sagt Zehra Yilmaz. „Der Friede mit unseren christlichen Nachbarn ist uns wichtiger.“

    Zehra Yilmaz ist Mitglied der Ditib-Gemeinde in Marxloh, die die Moschee für rund 7,5 Millionen Euro gebaut hat. Sie ist außerdem Mitarbeiterin der Begegnungsstätte, die mit 1000 Quadratmetern fast die Hälfte des Baus einnimmt. Sie soll ein Ort für alle Marxloher sein. Hier sollen Muslime und Nicht-Muslime bei Festen, Seminaren, im Restaurant oder in der Bibliothek zueinander finden. Das Ganze trägt die Handschrift des Beirats, einer Allianz aus Kirchenvertretern, Politikern, Marxloher Bürgern und der Stadt. Sie haben den Moscheebau begleitet, Kompromisse ausgehandelt, Grenzen gesetzt und so Stück für Stück das Vertrauen der Marxloher gewonnen. „Wir wollten von Anfang an zeigen, dass wir die Ängste der Nicht-Muslime ernst nehmen“, sagt Zehra Yilmaz. „Dies soll ein offenes Gotteshaus sein.“

    Yilmaz ist eine Frau, die diese Offenheit selbst verkörpert. Sie trägt Kopftuch und einen knöchellangen Mantel. Doch die 44-jährige Muslimin spricht akzentfreies, geschliffenes Deutsch. Und hat evangelische Theologie studiert. „Ich wollte mehr über das Christentum erfahren, um besser mit Christen sprechen zu können“, sagt sie.

    Stolz und Hoffnung der Muslime

    Das Innere der Moschee erinnert an Märchen aus Tausend und einer Nacht. Die orientalische Pracht ist so überwältigend, dass sie bei den Gläubigen vermutlich Sehnsüchte nach der alten Heimat wecken wird. Die Wände sind mit bunten Ornamenten, goldenen Kalligrafien und Kacheln bedeckt. Unter der Decke der Hauptkuppel schwebt ein riesiger, vergoldeter Kronleuchter, der den purpurroten Teppich in gleißendes Licht taucht. Im Gebetsraum haben 1500 Gläubige Platz – 1200 Männer im Hauptraum, 300 Frauen auf der Empore.

    Was für ein Gegensatz zu den Hinterhofmoscheen, in denen die Duisburger Muslime bisher zusammen kamen. In Marxloh beteten sie in einer ehemaligen Zechenkantine, die gerade einmal 200 Gläubige fasste. An Festtagen saßen viele mit ihren Teppichen auf dem Parkplatz vor der Moschee und hörten die Stimme des Imam nur über Lautsprecher „Wir haben Kirchen und eine Synagoge in Duisburg, aber wir hatten bisher keinen repräsentativen Ort für den Islam“, sagt Zehra Yilmaz. „Für mich ist die neue Moschee ein Zeichen dafür, dass wir angekommen sind in Deutschland. Ich und meine Religion gehören zu dieser Gesellschaft dazu.“ Dieses Gefühl sei auch wichtig für die jungen Muslime in Marxloh, die sich häufig ausgrenzen würden, aus Angst, ohnehin nicht akzeptiert zu werden.

    Stolz und Selbstbewusstsein haben die Menschen in diesem Stadtteil nötig. Viele leben am Rande der Gesellschaft. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die deutsche Mittelschicht längst weggezogen. Ein Drittel der Einwohner Marxlohs sind Ausländer, ein Großteil davon Türken. Sie prägen das Viertel. Die Weseler Straße mit ihren zahlreichen türkischen Brautmoden-Geschäften hat sich zum Mekka für muslimische Paare aus ganz NRW sowie den Niederlanden und Belgien entwickelt. Hier sieht man auf der Straße selten ein deutsches Gesicht. Für manche Nicht-Muslime ist Marxloh das Ghetto schlechthin. Zehra Yilmaz hofft, dass die neue Moschee dabei hilft, den Stadtteil von diesem Image zu befreien.

    "Unter der Erde sind alle Menschen schwarz"

    Yilmaz ist keine Frau, die die Realität ausblendet. Sicher würden in Marxloh einige Straßenzüge nur von Ausländern bewohnt, sagt sie. „Es gibt türkische Nachbarn, Geschäfte, Ärzte und Anwälte - man braucht kein Deutsch, um in Marxloh leben zu können.“ Doch Integration scheitere nicht nur an den Ausländern, sondern auch am geringen Aufnahmewillen der Deutschen. Sie habe diese Ausgrenzung selbst erlebt. Als Muslimin mit Kopftuch habe sie große Schwierigkeiten gehabt, in einem anderen Stadtteil eine Wohnung zu bekommen.

    In Marxloh dagegen funktioniere das Zusammenleben gut, weil man über Jahrzehnte gemeinsam malocht habe. Ein deutscher Bergarbeiter, der auch im Beirat saß, habe einmal zu ihr gesagt: „Die Wurzeln dieser Moschee liegen tausend Meter unter der Erde. Da ist es egal, ob man Muslim oder Christ ist, da sind alle Menschen schwarz.“ Die Ditib-Gemeinde arbeitet zudem eng mit den christlichen Gemeinden in Marxloh zusammen. Seit über 15 Jahren gibt es den christlich-islamischen Dialog mit zahlreichen Veranstaltungen. Hier bewegen sich die Religionen aufeinander zu, tastend und in kleinen Schritten. Es gab eine Bibel-Lesung in der Moschee, und eine Koran-Rezitation in der evangelischen Kreuzeskirche.

    Auch die Stadt Duisburg, allen voran der CDU-Oberbürgermeister Adolf Sauerland, hat die Ditib-Gemeinde unterstützt. Ein Moscheebau in Duisburg-Walsum ist dagegen am Widerstand der Bürger und der Kommunalpolitiker vorerst gescheitert. Marxloh jedoch blieb verschont von den üblichen Protestmärschen, Unterschriftenlisten und Streitigkeiten, die sonst überall in Deutschland den Bau von Moscheen als grollendes Hintergrundrauschen begleiten. Lediglich Nazis von außerhalb haben einmal in einem anderen Stadtteil gegen die Großmoschee demonstriert.

    Katholischer Pastor kämpft für Moscheebau

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      Vom Eingang der Begegnungsstätte aus ist wenige hundert Meter entfernt der Turm der katholischen Kirche St. Peter zu sehen. Hier kämpft Pastor Michael Kemper mit widrigen Bedingungen. Seine Gemeinde leidet wie viele andere auch unter dem engen Sparkorsett des Bistums Essen. Die Fusionspläne ließen Marxloh nicht unberührt. St. Peter ist keine eigenständige Pfarrei mehr. Seitdem muss Pastor Kemper mit knappen finanziellen Mitteln auskommen. In seiner Gemeinde stieß der Moscheebau nicht nur auf christliche Gegenliebe. „Gerade bei den Älteren kamen Ängste hoch“, sagt Kemper. Sie haben miterlebt, wie die Türken mit und mit das Bild des Viertels veränderten. „Die machen uns alle platt“, bekam der Pastor vereinzelt zu hören.

      Dennoch hat sich Pastor Kemper, ebenso wie sein evangelischer Kollege in Marxloh, für den Moscheebau stark gemacht. Er hat in seiner Gemeinde für das Projekt geworben und versucht, Verständnis zu wecken. „Ich freue mich, dass die Muslime in unserem Stadtteil jetzt endlich in würdiger Weise beten können“, sagt er. „Christen und Muslime sollten in Frieden miteinander leben. Wir glauben alle an den einen Gott.“

      Zwischen der katholischen Kirche und der neuen Moschee liegt nur eine verwilderte Wiese. Hier wollen die Marxloher in den kommenden Jahren einen Rosengarten anpflanzen. Dann soll ein Weg die Moschee und die katholische Kirche verbinden. Zum Kulturhauptstadtjahr 2010 soll alles fertig sein und von Moslems, Christen und Juden aus Duisburg gemeinsam eingeweiht werden. Das wäre wahrhaftig ein kleines Wunder. Ein Wunder, das in Marxloh nur dann wahr wird, wenn alle so denken wie Zehra Yilmaz und Michael Kemper.

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