Essen. . Eigentlich ist Jasmin fast selbst noch ein Kind. Und lebt, sagt sie, vom Kindergeld ihres zweiten Babys. Das reicht irgendwie.
Seit Jasmin ausgezogen ist beim Vater ihrer Kinder, kümmert er sich gar nicht mehr. Manchmal fragt die Zweijährige nach ihm, die Oma sagt dann: „Der Papa ist Fußballspielen.“ Die bald erst ein Jahr alte Schwester kann noch nicht fragen nach dem Mann, der nicht kommt. Und nicht zahlt, wie auch? Keine Ausbildung, kein Job, kein Geld. Auch Jasmin hat all das nicht. Dafür zwei Kinder, zum Leben nur das, was sie „Jobcenter“ nennt, aber Eltern, die helfen. Und eine Zukunft, in die sie mal mehr, mal weniger entschlossen blickt. Jasmin ist erst 19 Jahre alt.
Falls Jasmin, diese zierliche junge Frau, die selbst noch ein Mädchen ist, je einen Berufswunsch hatte, dann den, „was mit Kindern“ zu machen. Nun hat sie Kinder, aber keinen Beruf. Hat das Baby bei sich, in der neuen Wohnung mit den lila Wänden und dem Hello-Kitty-Teppich im Kinderzimmer. Und das Kleinkind bei den Großeltern, das Jugendamt wollte es so. Ein Leben, für das „das Jobcenter“ bezahlt.
Den rosa Herzchen-Pulli bekam das Baby zu seiner Taufe
Jasmin sagt immer „Jobcenter“. Und sie redet darüber, als habe das alles nichts mit ihr zu tun. „Schlimm“ findet sie Menschen, „die zuhause sitzen und alles vom Jobcenter kriegen“. Noch schlimmer Leute, denen man ansieht, „dass sie davon leben: Man muss das doch nicht sehen“. Diese Kleider, die zu groß sind, und „viele pflegen sich nicht richtig“. Und dann die Kinder: „Wie die manchmal aussehen, was die mit ihren Kinder machen. . .“
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Jasmin sagt nicht genau, was sie meint. Sie selbst hat neulich kleine Leggings für einen Euro gekauft. Den rosa Pulli mit den Herzchen hat das Baby im Sommer zur Taufe bekommen. Aber Jasmin weiß wohl: „Ich würde es auch nicht schaffen, wenn ich meine Mama nicht hätte. Ich weiß nicht, wie manche Leute sich das vorstellen.“
Eine Mitarbeiterin der Caritas hilft beim Haushalt-Führen
Jasmin spricht leise, sie wirkt schüchtern, unsicher, die langen blonden Haare legt sie sich um die Schultern wie einen Schutzmantel. Mit angezogenen Beinen sitzt sie auf dem Sofa. Sie hat es gekauft, als sie wegging, geradezu flüchtete aus der engen Wohnung des Ex-Freundes. Die Beziehung war „instabil“, sagt sie, es ist ein Behördenwort, klingt nach Jugendamt. Wie es wirklich war, sieht man an der zweijährigen Tochter: die gleich weint, wenn eine Stimme laut wird. „Ich musste eh alles allein machen“, sagt Jasmin.
Weil sie das eigentlich noch nicht kann, kommt Marzena Salamon zu ihr. Frau Salamon macht „Haushalts-Organisations-Training“ im Auftrag der Caritas. Sie legt Ordner an, zeigt Jasmin, wie sie kochen soll, kündigt Verträge, deren Raten die junge Frau gar nicht bezahlen kann. Vor allem guckt die gelernte Kinderkrankenschwester nach dem Baby. Sie bringt Jasmin das Leben bei.
Gemeinsam haben sie ein Haushaltsbuch angelegt
Gerade hat bei ihr mal wieder das Handy geklingelt, jemand redet auf sie ein, will ihr Zeitschriften verkaufen. Jasmin hört zu und schweigt. Marzena Salamon lächelt, schüttelt den Kopf, souffliert: „Nein, danke!“ „Ich brauche nichts“, sagt Jasmin schließlich, ihre Stimme ist ausdruckslos; es fällt schwer sich vorzustellen, die junge Frau könnte sich durchsetzen auf dem Amt. Telefonieren, Fragen stellen, gibt sie zu, „das fällt mir schwer“. Und dann diese Anträge, „da weiß man gar nicht, was man ausfüllen soll“. Manchmal fühlt sie sich „wie im Wald“. Wenn sie zum Jobcenter muss, nimmt sie Frau Salamon am liebsten mit.
Gemeinsam haben sie ein Haushaltsbuch angelegt, Jasmin füllt es mit runden Buchstaben. Die Miete von 483,35 Euro für 63 Quadratmeter, warm, hat sie unter „Einnahmen“ notiert. „Das ist eigentlich falsch“, weiß sie selbst. Es ist Geld, das sie nicht bekommt, das gleich an die Wohnungsgesellschaft geht. Es war der erste Schritt, den sie mit Marzena Salamon gegangen ist: „Überhaupt zu begreifen“, sagt die, „was steht mir zu.“ Sie haben Ziele gesetzt: einen Betreuungsplatz für die Jüngste finden. Und eine Schule für Jasmin.
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Sie will ihren Realschulabschluss nachholen und dann arbeiten. Als was? Schulterzucken, weiß sie nicht. Es geht nicht um einen Traumberuf, es geht darum, Geld zu verdienen. Jasmin will nicht, „dass meine Kinder mit ‘nem Zettel vom Jobcenter zur Schule gehen“. Sie hatte eine Freundin, die lauter Anträge stellen musste, auf Befreiung, auf Erstattung. . . „Sie hat sich so geschämt.“ Die 19-Jährige glaubt zu wissen: „Das ist nicht schön für ein Kind.“
„Meine Tochter soll nicht das Gefühl haben, dass ich nur arbeiten gehe“
Ihre Mädchen sollen ein normales Auskommen haben, weshalb Jasmin jetzt schon nachdenkt über Schichtdienste in einem Job, den sie noch gar nicht erahnt. „Meine Tochter soll auch nicht das Gefühl haben, dass ich nur arbeiten gehe und nicht für sie da bin.“
Noch hat sie viel Zeit für ihre Mädchen. Jasmin ist oft zuhause und nachmittags bei den Eltern, sie spielt mit ihren Kindern, animiert sie zum Krabbeln, Laufen, Sprechen – und wirkt im nächsten Moment abwesend, als wisse sie nichts mit ihnen anzufangen. Der Fernseher läuft, auf dem kleinen Spielplatz hinter dem Haus war sie noch nie. Sie ist da, wenn das Baby zur Steckdose krabbelt, die es neu für sich entdeckt hat. Dann hebt sie das Mädchen hoch und lacht – die Sicherungen hat sie immer noch nicht angebracht.
Für ihr Baby kocht sie selbst
Sie kauft im Kinder-Secondhandladen, ist Mitglied in Kleider-Tauschbörsen. „Es gibt immer jemanden, der was braucht“, sagt Jasmin. Sie findet das praktisch. Ihre Mutter aber glaubt, sie hat bloß noch nicht verstanden, dass beim Kaufen und Verkaufen am Ende immer ein Weniger herauskommt. Auch beim Einkauf ist die junge Oma skeptisch: zu viele Markenprodukte im Kühlschrank, findet sie. Jasmin sagt: „Manche Sachen kenn’ ich von zuhause, das sind Angewohnheiten.“ Nur die gute Margarine. Und den Rotkohl immer von der einen Firma. Sie kauft sowas im Angebot und niemals Fleisch. „Das wäre Luxus. Ein Vorteil, dass ich es nicht gern esse.“
Für die bald Einjährige kocht sie selbst. Saisongemüse durcheinander, das friert sie ein. „Gläschen kosten 85 Cent. Aber was kosten Kartoffeln?“ 15 Portionen Kartoffeln-Möhren-Mais hat sie gerade gemacht, „vielleicht fünf Euro“. Das Baby schmatzt vergnügt.
Das Handy ist teuer, aber sonst hat sie kein Internet
Was Jasmin sich selbst gönnt? „Wenig“, sagt Marzena Salamon. Jasmin zögert. „Ich weiß jetzt gar nicht, was.“ Nur ist da das Tabakpäckchen auf der Fensterbank und auf dem Balkon der Aschenbecher, mehr als randvoll. Und im Haushaltsbuch steht dieser Eintrag: „Handyvertrag 65 Euro.“ Das ist viel. Aber das Modell auch das Neueste vom Teuersten. „Ich habe ja sonst kein Internet“, sagt Jasmin.
Aber ein schlechtes Gewissen hat sie schon. „Das Kindergeld ist ja für sie“, sagt sie und zeigt auf das Baby, das spielt mit dem Spielzeug, das vor nicht langer Zeit noch der Mama gehörte. „Ich muss von ihrem Geld leben.“ Neulich hat sie für ihre Große eine Regenhose gekauft, ein Eis ist auch mal drin. Und für sich selbst? Wünsche? „Vielleicht. . . zum Friseur.“ Die Kinder „haben eigentlich alles, was sie brauchen. Dann habe ich lieber kein Geld.“
Die 19-Jährige ist auf einem guten Weg
Jasmin ist trotzdem dankbar, „ich kriege viel Hilfe“. Aber sie kriegt auch diese Sätze zu hören: „Geh arbeiten.“ Oder: „Dann müssen Sie keine Kinder in die Welt setzen.“ Sie wollte das ja auch nicht. Erst irgendwann, später. Sagt Jasmin. Ihre Mutter sagt: „Sie wollen erwachsen sein und meinen, sie wissen es besser.“ Marzena Salamon muss in den Familien oft mahnen: „Ein Kind ist keine Puppe, die man irgendwo abstellen kann. Man hat Verantwortung, auch finanzielle.“ Jasmin braucht sie das nicht zu sagen, dem Kindsvater würde sie es gern sagen. Sie hat ihn kennengelernt. Und erwartet nichts. „Aber wenn Väter ihre Kinder schon nicht finanziell unterstützen, sollten sie wenigstens für sie da sein.“
Salamon hat Eltern gesehen, die vor Überforderung ihre Kinder vernachlässigen, gar gewalttätig werden. „Sie geben ihren Kindern die Schuld: Du kostest Geld.“ Bei Jasmin macht sie sich darüber keine Sorgen. Sie sagt, die 19-Jährige sei auf einem guten Weg. Schon weil deren Eltern ihr vorleben, dass man arbeitet für sein Geld. Allerdings: „Wenn man’s nicht will, kann man es auch nicht schaffen.“