Ruhrgebiet. Nach den schlechten Nachrichten aus Mülheim zeigen viele Kunden Mitgefühl mit den Beschäftigten. Andere fürchten um ihre Nahversorgung.

Kurz nach zwölf erscheint die Kundin Ingrid Peter* an der Kasse mit einer Aubergine, einer Packung Alaska-Seelachs-Brotaufstrich und drei Pfund Mitgefühl. „Wie lange denn noch?“, fragt die ältere Dame völlig unvermittelt. „Keine Ahnung!“, sagt die Kassiererin. – „Mensch, Sie hängen jetzt total in der Luft.“ – „Zwei Jahre doch schon.“

Drei Jahre muss sie noch arbeiten. Hier, sonst irgendwo, irgendwie. Die Rente.

Schwarzer Freitag

Schwarzer Freitag, 14. Oktober, in einer Kaiser’s-Filiale im Ruhrgebiet. Der Ort tut nichts zur Sache: Genau so oder ganz ähnlich reden sie an diesem Tag überall miteinander, die Kunden und die Mitarbeiter. „Wie gesagt, da kann man nichts dran ändern“ hier. „Das sind alles nur Machenschaften“ da. Auf ihren Hemden steht der Werbespruch ihrer Kette: „Immer eine gute Idee.“ Tatsächlich aber fällt ihnen nichts mehr ein, jetzt, da die Zerschlagung doch noch droht und Entlassungen heraufziehen. Und wie seltsam plötzlich die Standard-Frage der Kassiererinnen klingt, die finale Frage nach den hauseigenen Rabattmarken: „Sammeln Sie die Treueherzen?“

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„Sammeln Sie die Treueherzen“ heißt an einem Tag wie diesem Freitag aber auch: Die Arbeit geht erst mal weiter. Sie räumen Flaschen ein, wiegen Gulasch ab, schleppen Obst nach draußen. Gegenüber Journalisten sind die Mitarbeiter einsilbig, zu groß ist ihre Furcht, etwas zu sagen, was schlimme Folgen hätte. „Wenn Sie etwas wissen wollen, rufen Sie die Zentrale in Mülheim an.“ Dabei zittert die Stimme der jungen Angestellten, und dann schüttelt sie zum Abschied mit kalten Fingern die Hand. Sie trägt Schwarz. „Wir wissen selbst nichts.“

Initiativbewerbungen sind gern gesehen

Schon am Donnerstagabend brachten die Kunden in Mülheim die schlechte Nachricht in die Geschäfte, am Firmensitz also. „Ich bin total enttäuscht“, sagt eine Verkäuferin, und eine andere erzählt, in den letzten Monaten seien immer wieder Händler der Konkurrenz im Laden gesehen worden – wohl, um sich ein Bild von seinem Zustand zu machen.

Initiativbewerbungen um die Fortführung einer Filiale seien jedenfalls gern gesehen, lässt eine Unternehmenssprecherin wissen. Auch ein passender Aushang findet sich in einer Filiale: And dem Brett, wo Kunden ihre Dienste anbieten können als Nachhilfelehrer, Hundeausführer, Babysitter oder was auch immer, da steht jetzt: „Suche eine zuverlässige und verantwortungsvolle Betreuung“ – grad so, als hätte das Geschäft selbst inseriert.

Leere Schaufensterfront

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Von Frank-Rainer Hesselmann und Mirco Stodollick

Doch auch die Kunden sind bestürzt: „Sind Sie morgen noch für mich da?“, fragt eine Rentnerin: „Wo soll ich in der Nähe noch einkaufen?“ In Sprockhövel fühlt sich Renate Loreka getäuscht („Da war doch noch kürzlich renoviert worden“), und die Umstehenden wissen eigentlich nur das Beste zu berichten: „Immer freundlich und kompetent“, sei das Personal, sagt Isa Zinkler und hebt dann zu einem interessanten Lob an: „Für mich hat dieser Laden nur Vorteile. Bank und Sparkasse in der Nähe, das Parken in der Tiefgarage ist frei, und viele andere Läden sind in unmittelbarer Nachbarschaft.“ Interessant: Der Laden selbst kommt gar nicht vor.

In Bochum-Stiepel kam das Aus schon Mitte September, vor fünf Wochen; seitdem grüßt in der Geschäftsstraße eine lange, leere Schaufensterfront: besenrein, aber bedrückend. „Die Produkte waren gut, aber es war auch ein teurer Laden“, sagt eine ehemalige Kundin. Eine aufgeklebte Handy-Nummer („Ansprechpartner Ladenlokal“) führt dann zum Hausbesitzer.

„Die Mitarbeiter wussten da auch nichts“

„Was ich gehört habe, kündigen die alle Filialen, deren Mietverträge auslaufen oder die sonst zu kündigen sind“, sagt er. Hörensagen also, denn von Tengelmann gab es keine spezielle Begründung für den Stiepeler Fortgang. „Wir kriegen ein Schreiben, und gut ist“, sagt der 53-jährige Hausbesitzer: „Die Mitarbeiter wussten da auch nichts.“

* Name geändert