Düsseldorf. . Weit mehr als 1000 sexuelle Übergriffe zeigten Frauen in NRW nach der Silvesternacht an – in Köln, aber auch in Düsseldorf. Erstmals wurde in der Landeshauptstadt ein solcher Fall vor Gericht verhandelt.

Ein paar Tränen schießen Leonie N. in die Augen, als sie auf dem Zeugenstuhl Platz nimmt, ihre große Sonnenbrille ablegt und den Angeklagten sieht. So war das auch, als ein Polizist der 18-Jährigen vor ein paar Wochen das Foto des Mannes aus Marokko vorgelegt hat, der nun schweigend den Vormittag in Saal 1115 des Düsseldorfer Amtsgerichts hinter seinem Verteidiger und neben seiner Dolmetscherin verbringt: „Sie ist in sich zusammengesackt und hat geweint“, erinnert sich der Beamte, der sie befragt hat. Sie ist sicher: Der 33-Jährige, der nun unter anderem wegen sexueller Nötigung angeklagt ist, hat sie in der Silvesternacht in der Düsseldorfer Altstadt begrapscht, ihr das weiße Kleid hochgeschoben, in den Intimbereich und an den Po gegriffen.

Den mutmaßlichen Täter im Fernsehen erkannt

Die Silvesternacht. 1054 Anzeigen wegen sexueller Übergriffe, Raubes und Diebstahls in Köln, aber auch 118 in Düsseldorf. Dieser Prozess ist der erste, der sich mit den Grapsch-Exzessen befasst.

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Leonie N., Azubi aus Mönchengladbach, eine junge hübsche Frau, dezent geschminkt, mit langen braunen Haaren, rosafarbenem Flauschblazer und Strasssteinchen auf ihren Sneakern, sitzt hier, weil sie ganz offensichtlich eines der Opfer ist. Dabei wollte sie erst gar keine Anzeige erstatten, räumt sie ein. „Es hatte ja schon so viele Anzeigen gegeben, da dachte ich, das hat keinen Sinn mehr.“

Aber dann habe sie den Fernsehbericht „König der Taschendiebe“ von Spiegel TV gesehen, teilweise im sogenannten Maghreb-Viertel im Düsseldorfer Stadtteil Oberbilk gedreht, in dem viele kriminell aktive Nordafrikaner leben. Und sie sah den 33-Jährigen, der in aller Seelenruhe dem Reporter ein Interview gab. „Ich hab’ ein Foto vom Fernsehbild mit meinem Handy gemacht und bin zur Polizei gegangen“, erzählt sie dem Gericht.

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Leonie N. kann sich gut erinnern an die Silvesternacht, spricht leise, aber klar und ohne ins Stocken zu geraten. Von ihren Ängsten, als sie mit zwei Freundinnen gegen zwei Uhr früh in der Altstadt plötzlich von 20, 30 südländisch aussehenden Männern umzingelt ist, die sie bedrängen. „Das Schlimmste war die Angst, nicht zu wissen, was als nächstes passiert. Wir konnten nichts machen.“ Sie seien nicht hart geschubst, aber regelrecht herumgereicht worden. Richter Uwe Heemeyer muss es genauer wissen. Leonie scheint von der Zeugenbetreuerin, die neben ihr sitzt, gut vorbereitet auf das Geschehen in einem Gerichtssaal, sie bleibt ruhig und antwortet: „Sie haben uns an die Brüste gefasst, an den Popo und auch in den Genitalbereich.“

Drei Minuten, glaubt sie, habe es gedauert, bis sie sich befreien konnte und ein paar Schritte zu einem Bareingang gehastet sei. Doch der Angeklagte habe sie verfolgt, von hinten abermals begrapscht und mit der erhobenen Hand gedroht, als sie ihn angeschrien habe. Freunde hätte ihn zurückgehalten, andere Frauen hätten sie in die Bar hineingezogen.

Der drahtige Mann aus Marokko mit der Narbe auf der linken Wange und dem kurzgeschorenen Haar wischt sich immer wieder mit den Fingern durchs Gesicht, er bleibt beinahe regungslos, nickt nur ab und zu, wenn die Übersetzerin mit ihm spricht. Er ist seit April 2014 in Deutschland, sein Asylantrag wurde abgelehnt, er lebt in einem Asylbewerberheim, ist vorbestraft wegen Diebstahls, und wegen gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung wird ebenfalls gegen ihn verhandelt – im selben Prozess.

16-jährige Freundin des Angeklagten ist schwanger

Er schweigt, aber dafür sitzt seine deutsche Freundin im Zeugenstand, ein bleiches Mädchen mit langen Haaren. Die Freundin ist 16 und im fünften Monat schwanger. Mehrfach muss sie das Mikrofon näher an den Mund rücken, damit man ihr Stimmchen hören kann. Sie sei mit ihrem Freund von Mitternacht bis sechs Uhr früh in einer Altstadt-Disco gewesen, beteuert sie. Namen von Freunden, die das bestätigen könnten, mag sie nicht nennen. Vor der Saaltür sinkt sie schluchzend auf einen Stuhl. Eine Freundin nimmt sie in den Arm.

Der Prozess wird fortgesetzt.

Chronologie der Ereignisse