Düsseldorf. . Pfusch und Fahrlässigkeit führten 1996 zum verheerenden Brand im Düsseldorfer Flughafen. 17 Menschen starben. Ein Überlebender erinnert sich.
Dieser Text ist anlässlich des 20. Jahrestages des Unglücks im Jahr 2016 erschienen.
Auf den Tag genau 20 Jahre ist es heute her, aber Christian Reiling weiß noch alles so genau, als wäre es gestern gewesen. Was er gemacht und gedacht hat, wie es gerochen hat und was für Geräusche es gab. Alles. Weil man sich an alles erinnert, an einem Tag, an dem man beinahe gestorben wäre. Christian Reiling ist der Mann, den sie vergessen haben in der Lufthansa-Lounge am Flughafen Düsseldorf – am Tag als es brannte und 17 Menschen starben. 45 Minuten hat er dort um Überleben gekämpft. „Jede Sekunde war unglaublich lang.“
Er ist früh dran an diesem Tag. Ausnahmsweise. Am Mittag hat er bei einem Spargelessen in Bredeney noch einen Vertragsabschluss gefeiert, hat sich verquatscht und deshalb einen Termin in Dortmund ausfallen lassen. Ist stattdessen gleich zum Flughafen nach Düsseldorf. Dort will er am späten Nachmittag zurück nach Dresden fliegen, wo er Geschäftsführer eines großen Unternehmens ist. „Normal komme ich immer erst unmittelbar vor dem Abflug“, sagt Reiling.
Lounge im Flughafen Düsseldorf wird fast zur Todesfalle
Dieses Mal hat er Zeit. Die will der damals 36-Jährige Manager aus der Nähe von Coesfeld nutzen. „Ich wollte noch etwas arbeiten, deshalb bin ich hoch in die Lufthansa-Lounge gegangen.“ Sie wird um ein Haar zur Todesfalle.
Gegen 13 Uhr haben zwei Arbeiter in der Ankunftsebene des Terminals A mit Schweißarbeiten an einer Dehnungsfuge oberhalb eines Blumenladens begonnen. Eine Brandwache gibt es nicht. Die Firma der Schweißer hat vergessen, die Flughafenfeuerwehr zu informieren. Es ist nur eine von vielen Pannen an einem Tag, an dem Ignoranz auf Unvermögen trifft, Schlamperei sich mit Fahrlässigkeit paart und sich Versäumnisse der Vergangenheit bitter rächen.
Rauchmelder funktionieren nicht - Sprinkler gibt es nur wenige
Niemand bemerkt, dass bei den Arbeiten Dämmmaterial und Kabel in der Zwischendecke in Brand geraten. Rauchmelder funktionieren nicht, Sprinkler gibt es nur wenige. So kann das Feuer langsam vor sich hinkokeln, bis sich schließlich - angefacht durch Sauerstoff – von einer Sekunde zur anderen eine gewaltige schwarze Rauch- und Feuerwalze durch den Flughafenterminal wälzt. Erst da gibt es Durchsagen, die die Besucher auffordern, das Gebäude sofort zu verlassen.
Reiling kann sie nicht hören, er ist gerade auf der Toilette der Lounge. Als er sich anschließend die Hände wäscht, bemerkt er einen komischen Geruch. „Das musst du melden“, denkt er sich und verlässt das WC. Aber in der Lounge ist niemand mehr, dem er etwas melden könnte. „Alle waren weg, alles war verraucht, der Raum dunkel.“ Reiling eilt zur Tür. Sie ist abgeschlossen, die Fenster sind aus Sicherheitsglas, zu dick um sie zu zerschlagen. Es stinkt „als ob einer einen Berg LKW-Reifen verbrennt“, Ruß rieselt von der Decke. „Das war der Augenblick, in dem mein Puls sich beschleunigte.“
Flughafenfeuerwehr ist überfordert
Er wäre wohl noch höher gegangen, hätte Reiling gewusst, welches Chaos sich draußen abspielt. Die Flughafenfeuerwehr ist überfordert. Sie hat trainiert, brennende Flugzeuge zu löschen, keine Abfertigungshallen. Und die mittlerweile zu Hilfe gerufenen Kollegen von der Düsseldorfer Berufsfeuerwehr kennen den Flughafen nur als Reisende.
Keiner kommt auf die Idee, die Klimaanlage abzuschalten, die den giftigen Rauch im ganzen Gebäude verteilt. Und niemand nimmt die Aufzüge außer Betrieb. So fährt ein Bochumer Vater mit seinem kleinen Sohn vom Parkhaus aus direkt ins Inferno, Als die Türen sich auf der Ankunftsebene öffnen, lassen sie sich nicht mehr schließen. Der dichter Qualm blockiert die Lichtschranke. Vater und Sohn ersticken – nur wenige Meter neben einer rettenden Treppe.
"Wir sterben, kommen Sie schnell"
Reiling zieht sich in eine kleine Teeküche zurück, „Da war die Luft besser.“ Er legt sich feuchte Tücher auf Mund und Nase, durchsucht noch einmal die Lounge. „Da stand ein Telefon auf dem Tisch. Aber das konnte ich nicht bedienen.“ Im Nachhinein vielleicht ein Glücksfall. Denn in der nahe gelegenen Air-Fance Lounge telefonieren sich Menschen zur Notrufzentrale durch, sagen wo sie sind, flehen um Hilfe: „Wir sterben, kommen Sie schnell.“ Doch der Flughafen-Mitarbeiter, der dort sitzt, kennt sich offenbar weder mit den Örtlichkeiten am Flughafen aus, noch kann er die Telefonanlage bedienen. „Geben Sie mir mal ihre Nummer“, sagt der den Verzweifelten. Offenbar will er zurückrufen.
Reiling findet einen Schlüsselbund. Noch einmal kämpft er sich durch den Rauch zur Tür, probiert jeden Schlüssel aus. Keiner passt. Er schaltet sein Handy ein, ruft seine Sekretärin in Dresden an, schildert die Lage, bittet darum Rettungskräfte zu informieren. „Ihr müsst mir helfen, sonst verrecke ich hier.“
Er legt sich auf den Boden, will so wenig Energie wie möglich verbrauchen. „Der Lebenswille war immer da“, erinnert er sich. „Aber ich wusste, die Chancen stehen eher schlecht.“ Bilder seines Lebens ziehen an ihm vorbei, „Nicht chronologisch aber alles ganz klar.“ Dann hört er Geräusche. Seiner Sekretärin ist es über Umwege gelungen, die Feuerwehr über seine Lage zu informieren. In letzter Sekunde kommt ein Trupp, um ihn zu retten. Mit ihm kämpft sich Reiling ins Freie. Dort bricht er zusammen.
17 Menschen sterben, 88 werden verletzt
Im Krankenhaus kommt er wieder zu sich. Dort erfährt er, wie knapp es war. In der Air-France-Lounge neben ihm sind acht Menschen qualvoll erstickt. Insgesamt sterben 17 Menschen, 88 werden verletzt. Bei Reiling ist ein Lungenflügel kollabiert. Aber körperlich erholt er sich schnell. Die psychische Heilung dauert länger. Zwar steigt er schon kurz nach dem Brand wieder in ein Flugzeug, „nur den Düsseldorfer Flughafen habe ich lange gemieden“. „Aber mittlerweile habe ich auch damit keine Probleme mehr.“ In Hotels allerdings versucht er bis heute immer Zimmer in den unteren Etagen zu bekommen. „Und jedes mal präge ich mir ein, wo die Fluchtwege sind.“
Jahre nach dem Brand kommt es zum Strafprozess. Er fördert bis heute unfassbare Schlampereien zutage, trotzdem wird das Verfahren gegen elf Angeklagte nach 89 Verhandlungstagen gegen Zahlung von Geldauflagen eingestellt. Wenn überhaupt, treffe jeden einzelnen nur geringe Schuld, heißt es in der Urteilsbegründung. „Die schrecklichen Folgen des Brandes sind durch eine Kette tragischer Umstände entstanden“, sagt Richter Manfred Obermann.
"Ich habe mich einfach gefreut, dass ich noch gelebt habe"
Reiling, studierter Jurist, hat damals keinen der Beteiligten verklagt. Er war nicht wütend, nicht mal verärgert. „Ich habe mich einfach gefreut, dass ich noch gelebt habe.“ Und wenn er heute über den 11. April 1996 spricht, dann tut er das ganz ruhig und sachlich. „So bin ich nun mal gestrickt.“ Nur das alte Mobil-Telefon, das hat er verwahrt, das liegt bei ihm im Schrank. „Letztendlich“, sagt Reiling, „hat es mir schließlich das Leben gerettet.“
Zum 20. Jahrestag wird der Opfer am Düsseldorfer Flughafen in aller Stille gedacht. Es soll heute weder eine Gedenkfeier, noch Durchsagen oder eine Schweigeminute geben, teilt der Airport mit. Das sei mit den Angehörigen der Flughafenbrand-Opfer abgesprochen worden.